„I’m from Lenaland“, twittern die einen (z.B. @DaanielG46). „Hab mir zum ersten Mal Lena angeschaut/ gehört. Ist ja unterste Schublade. Hat übrigens auch nix mit Deutschland zu tun“, wettern andere (@mcschindler), die allerdings klar in der Minderheit sind. Wobei Marie Schindler ohnehin Schweizerin ist und keine Ahnung vom deutschen Lena-Hype hat. Dass die sonst seriöse Marie sich überhaupt zu einem solchen Bashing hinreißen lässt, überrascht.
Selten wurde so viel und so heftig getwittert wie beim European Song-Contest in Oslo. Vor allem Grand-Prix-Abstinenzler unter den Twitterern stellten fest, dass ihre „Empfänger“ – die Timeline – geflutet wurden von Kommentaren zum Contest allgemein und zu den Teilnehmern im besonderen. Das gefiel nicht jedem oder jeder. Die aktiven Eurovisions- und Lena-Fans aber hatten viel Spaß im Netzwerk der 140-Zeichen-Mailer.
Die deutschen Twitterer hatten schon Tage vorher begonnen, die Stunden bis zum Auftritt von Lena Meyer-Landruth zu zählen. Würde sie es wenigsten unter die Top 10 oder die Top 5 schaffen? Optimisten und Zweifler hielten sich zunächst in den Tagen vor dem großen Event die Waage. So konnten die Skeptiker auf die permanente Erfolglosigkeit deutscher Teilnehmerinnen und Teilnehmer seit Nicoles Hit „Ein bisschen Frieden“ verweisen, den nur noch die Jungsenioren kennen. Nach den Halbfinals waren aber dann doch viele sicher, dass die Konkurrenz nicht übermäßig stark sei. Die Medien verstärkten den Hype und rechneten Lena gute Chancen aus.
Kein Wunder, dass am Samstagabend viele Fernsehzuschauer ihr iPhone oder ihr Laptop parat hielten, um parallel zur Sendung zu twittern: interaktive Medienwelt, wie sie die Gurus der Szene vor 20 Jahren nicht annähernd erwartet hatten. Es gibt ihn also doch, den Rückkanal für aktive TV-Zuschauer, wenn auch in einem Parallel-Universum zu Opas Flimmerkiste.
Parallel zum Programm der ARD, die um 20:15 Uhr mit ihrer Sendung begonnen hatte, legten sich also die Twitterer ins Zeug, um zu kommentieren, zu kritisieren, anzufeuern, zu schmähen. Über 20.00mal gab die Twitteria ihren Senf zu den Hashtags „ESC“, „lena“ und „Eurovision“. Allein @LeBjoern griff 250mal in die Tasten, um mit Hunderten anderen Zwischenrufern Ansichten auszutauschen.
„Albania not too bad“, hieß es zum Beispiel, oder: „Turkey rockt – nicht schlecht“, aber auch „Tokio Hotel für Arme“ oder „grausame Briten“. Wo gehobelt wird, fallen Späne, wo man twittert, lässt man sich nicht immer ruhig nieder. Das gilt vor allem für Moderatoren, denn die müssen sich plötzlich gnadenlos(es) Zuschauer-Feedback gefallen lassen. „Peter Urban sabelt fast den gleichen Kram wie in den Semifinals“, nölte LeBjoern, andere fanden den ARD-Moderator einen absoluten Langweiler. Ich auch.
Und Lena? Als sie endlich auf der Bühne auftauchte, drückten ihr auch auf Twitter tausende die Daumen – und feuerten die sichtlich lampenfiebrige Abiturientin aus Hannover an: „Beweg dich“, hieß es. Aber auch: „Die ist ja festgenagelt“, weil sie nicht so spritzig tanzte wie üblich.
Trotzdem kamen sie und ihr Lied europaweit gut rüber. Es regnete Punkte an diesem Abend und irgendwann meldeten die Ersten: „Kein scheiß leute wir packen das“ oder „geil, lena we love you“. Um 0:06 Uhr stand endgültig fest, dass Lena die Sensation geschafft hatte und zum 1. Mal seit 28 Jahren für Deutschland gewann. Mit 246 Punkte hatte sie am Ende einen Riesenvorsprung vor der Konkurrenz.
Lena hat ganz Europa bezaubert. Und Mentor Stefan Raab hat wieder mal allen gezeigt, dass er ein Händchen für die richtigen Medien-Typen hat.
Dass an diesem Abend die deutsche Fußball Nationalelf 3:0 gegen Ungarn gewann und Klitschko ebenfalls siegte, passte ins Bild.
Die schönste Tageszusammenfassung lieferte @twxtian: „Lena gewinnt 3:0 gg. Ungarn, Aserbaidschan geht (Klitsch)KO in Runde 246 und die DFB-Elf holt den #ESC nach Berlin“.
Uns hats gefallen. Ich selbst habe fleißig mitgetwittert.
In einem waren sich übrigens Lena-Fans und Lena-Hasser einig: Mindestens ebenso schön wie Lenas Sieg war der Tanz-Flashmob quer durch Europa. Das war wirklich ein Hammer.