Ein Hinweis aus Lehrerkreisen hat mich auf einen Artikel bei EuWis (Erziehung und Wissenschaft, dem Informationsdienst der GEW) aufmerksam gemacht, wo Rolf Jüngermann im marxistischen Jargon über das Gymnasium herzieht.
Dort liest man folgenden Quatsch, von dem Teile der GEW-Funktionärskaste möglicherweise infiziert sind ( – und wir wüssten schon gern von Bildungsminister Kessler, ob er, der ehemalige GEW-Vorsitzende, sich davon distanziert -):
„Die schichtenspezifische Wirksamkeit des gymnasialen Habitus … liegt auf der Hand. Er trifft zwar nicht ausschließlich aber doch mit besonderer Härte vor allem jene SchülerInnen, denen er auf Grund ihres sozialen Hintergrundes als etwas völlig Fremdes gegenüber tritt. Damit wird deutlich, dass es sich hier um ein gewolltes Verfahren zur Durchsetzung von Klasseninteressen handelt.“
(…)
Es ist sicher zutreffend, dass der gymnasiale Habitus nicht ausschließlich an Gymnasien zu Hause ist. Die eine oder andere Komponente – wie z.B. den Frontalunterricht – wird man durchaus auch an anderen Schulen vorfinden. Das Gymnasium jedoch ist der Ort, wo dieses ganze Ensemble schulischer Verhältnisse zum Wesen einer fest gefügten Institution gemacht wurde, bewusst und gezielt als strukturelle Gewalt der Funktionsweise einer eigenen Schulform installiert ist, als Medium sozialer Selektion über viele Generationen weiterentwickelt, den Zeitläufen angepasst und bis heute verbissen verteidigt wird.“
Es ist ein unglaublicher Hirnriss, was hier verzapft wird.
Um Empirie kümmert man sich nicht. Jüngermann plappert ins Ungefähre:
Nach neuesten Erhebungen erreichen in Deutschland 83 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien die Hochschulreife gegenüber nur 23 Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien. Wie hoch – genauer gesagt wie niedrig der Anteil der Kinder aus den Familien der “A-Klasse“, der Arbeiter, Angestellten und Arbeitslosen liegt, wird bei dieser Untersuchung erst gar nicht gefragt. Es werden weniger als 10 von 100 sein. Und hätte man bei der Erhebung nur jene Abiturienten berücksichtigt, die von den Gymnasien kommen, wären die Ergebnisse noch deutlich negativer ausgefallen.“ (Jüngermann, Rolf: Die verheerende Rolle des Gymnasiums in: EuWis 11(2009, S. 8-9)).
Nostalgische Erinnerungen an mein Studium (Lehramt für Gymnasien in Saarbrücken für Deutsch, Geschichte und Sport): Wir lernten nicht nur das Wichtigste aus der Fachwissenschaft, wir waren auch pädagogisch auf dem neuesten Stand, hatten Top-Professoren und mussten Statistik belegen, um empirische Untersuchungen nicht nur zu verstehen, sondern auch selbst durchführen zu können. Ich frage mich, wo Rolf Jüngermann gelernt hat…
Natürlich haben wir auch damals schon (es war die Nach68er Zeit) soziologisches Geschwurbel über strukturelle Gewalt und die negativen Effekte von Leistung gelesen und gehört. Doch das ist glücklicherweise Vergangenheit. Ein paar alte Zausel scheint es aber immer noch zu geben. Und die GEW gibt es dies in diesen unseren Tagen als Aktualität aus.
Für meine alte Schule, das Illtal-Gymnasium, kann ich diesen Stuss nicht bestätigen. Es ist außergewöhnlich, wie viele A-Klassenkinder dort Abitur machen konnten und auch gemacht haben: Schätzungsweise über 90% (Mir war auf die Schnelle leider keine empirische Erhebung möglich; aber ich war damals dort Abiturient – als A-Kind unter lauter A-Kindern). Das ist ein extrem signifikanter statistischer Wert, der alle EuWis-Zahlen Lügen straft. Dagegen sind die GEW-Horrorzahlen Mythen.
Eine Grundsatzdiskussion über die Rolle des Gymnasiums ist unverzichtbar, auch wenn es dabei in der Jamaika-Koalition knirscht und kracht. Wir wollen jetzt wissen, wohin die Reise geht.
Armin König