Das ist ein guter, ein richtiger, ein wichtiger Ansatz: „Das Land entgiften“. Warum? „Weil wir Wichtigeres zu tun haben“. Es sei höchste Zeit für ein „Ende der Dauer-Empörung“ in Deutschland. Das wünscht und fordert ZEIT-Redakteur Jochen Bittner in seinem süffig zu lesenden Buch „Zur Sache, Deutschland! Was die zerstrittene Republik wieder eint“, erschienen in der Edition Körber.
Bittners Befund ist ebenso klar wie richtig: Das politische Klima in Deutschland ist vergiftet, die öffentliche Wahrnehmung scheuklappenartig „auf das fixiert, was unser Land spaltet. Und die Lautstärke von Debatten wird mit ihrer Dringlichkeit verwechselt.“ Da ich die Debatten auch zuweilen in diesem Sinne befeuere, habe ich Bittners Buch mit Gewinn gelesen. Da gab es auch für mich manchen Aha-Effekt.
Bittner, der seit Jahren für die ZEIT schreibt, auch als Europa- und Nato-Korrespondent, ist seit neuestem für ZEIT-Debatte zuständig und setzt auch dort Impulse für eine neue Debattenkultur.
„Play the ball, not the man“ – dieses Sprichwort hat er seinem Buch als Leitmotiv vorangestellt: „Spiel den Ball, nicht den Mann“.
Ausgangspunkt seiner Analyse der „Nach-Mauer-Zeit“ ist sein Befund dass wir eine „nervöse Berliner Republik“ haben, die von „fünf deutschen Spaltungen“ geprägt ist:
1. Von Globalisten und Nativisten – Wie viel Entgrenzung darf sein?
2. Die neue Ost-West-Teilung – Frontstaat Deutschland
3. Das beste Deutschland aller Zeiten? – Die neue Verteilungsungerechtigkeit
4. Weil es so einfach ist – Identitäten als Ersatzschlacht
5. Follow me – Die Berliner Twitter-Republik
Da gibt es Politiker, Bürger, Publizisten (war da „Bild“ gemeint?), die „kaputter machen wollen, was angeschlagen ist.“ AfD-Anhänger neigen in besonderem Maße dazu, aber nicht nur sie. „Zerstörung und Abriss sind die schnellsten und billigste Art von Opposition, und Schadenfreude ist ihr Antrieb. Anti-Establishment-Politik als Affekthandlung ist das Erfolgsrezept von Populisten, von Donald Trump, Nigel Farage und von Recep Tayyip Erdogan. Deutschland New Kids On The Block ist die AfD. Ihr Feindbild ist so klar, wie ihr Zukunftsbild unklar ist.“ (26)
Und was machen wir? „Statt die Populisten gelassen zu demontieren, werden sie dämonisiert.“
Aber so einfach ist das auch wieder nicht.
Bittner bietet einen Alternativvorschlag: „Eine ehrliche Fehleranalyse anzustellen und, in einem weiteren Schritt, Vorschläge für Reparaturen zu machen.“
Bittner unterscheidet etwa zwischen Flüchtlingen und Migranten und spricht von einer „Pflicht gegenüber Verfolgten“ UND deren „Pflicht gegenüber dem Land“ (105). Das wird derzeit nicht gern diskutiert. Bittner sagt, der Islam sei „eben keine Religion wie jede andere“ (134) und belegt das auch. Es sei eine der „unausgetragenen und deshalb zuverlässig entflammbaren Identitätsfragen der Berliner Republik“ (134). Es gehe dabei gerade nicht darum, Muslime zu stigmatisieren. Und es sei eine Binsenweisheit, dass „der Islam faktisch zu Deutschland gehört“. Aber dann benennt Bittner glasklar die „heißen Eisen“ (136): Da ist insbesondere der Anspruch des Islam, „verbindliche Regelungen nicht nur für die persönliche Lebensführung, sondern auch für die Dritter“ zu setzen.“ (136)
Auch das benennt Bittner in erfreulicher Klarheit:
„Das beginnt mit der Beschneidung von Jungen, reicht über Gebote gegen unsittliche Kleidung, Ernährung, unerlaubten Sex bis zu eigenen Vorstellungen von Familien-, Erb- und Strafrecht.“ Weiter geht es über Homosexualität, über den Anspruch, dass der Islam nicht nur religiöse, sondern auch Rechtsquelle sein soll.
Bittners Analyse ist eindeutig und geht deutlich über das hinaus, was üblicherweise (auch von mir und meinen Freunden) diskutiert wird: islamische Gebote können „in einem besonderen Spannungsverhältnis zum Grundgesetz stehen“ und „kollidieren auch immer wieder mit Grundrechten.“
Und damit wären wir bei der „Pflicht gegenüber dem Land“, indem man lebt.
Die Verfassung ist Maßstab des Handelns, nicht der Islam. Er kann hier nicht „Kodex einer Zivilisation“ (137) sein.
Und es steht noch ein Satz mit Sprengkraft in Bittners Buch:
„Die Vorstellung, dass die Welt erst dann friedlich sein kann, wenn die Welt islamisch ist, ist eben keine Denkweise von Extremisten, sondern Teil der Lehre Mohammeds“. (137)
Bittner plädiert dafür, dem aufklärerischen Islam der Idschithad-Lehre, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Propagiert wird er von der kanadischen Publizistin Irshad Manji.
„Die Freiheit, seine Religion auszuleben, endet … dort, wo gleichrangige Freiheitsrechte anderer betroffen sind.“ (147)
Das hat Folgen.
„Die Garantie der Freiheitsrechte gebietet…, dass der demokratische Rechtsstaat keinen Millimeter von seinen Grundsätzen abrücken darf, sobald die Rechte Dritter bedroht sind.“ (148) Das gilt etwa bei der Teilnahme von Kindern am Sport- und Schwimmunterricht. Der ist einer Muslimin „zumutbar, egal was die Eltern denken“.
Fundamental ist „die Gleichberechtigung von Kindern und Frauen ebenso … wie die gleichberechtigte Anerkennung anderer Religionen.“ (155)
Das sind Sätze, wie wir sie in der seriösen, klassischen Debatte ebenso selten finden wie die Aussage zum Dschihad, dem Heiligen Krieg.
„Wer den militanten Dschihad attraktiver findet als den zweifelnden Idschithad, der gehört ebenso wenig zum Deutschland des 21. Jahrhunderts wie Rassisten, Nativisten und Suprematisten.“
Ein Spreng-Satz ganz gewiss.
Bittner hat aber noch andere Zumutungen parat. Er fordert dazu auf, „linke und rechte Lebenslügen“ zur Integration (etwa von Türken) aufzugeben. Er plädiert dafür , die Integrationsanstrengungen zu professionalisieren und den Turbo einzuschalten.
Er will einerseits Brückenbau, will ein Bundesintegrationsministerium im Sinne dieser Professionalisierung.
Aber er stellt auch Ansprüche an Menschen mit Migrationshintergrund. Brückenbau bedeute eben auch, „freiheitliche Prinzipien freundlich, aber nachhaltig einzufordern“ (165). Ganz nebenbei stellt er fest, dass auch Wähler mit Migrationshintergrund AfD wählen. Und nicht zu knapp.
Bittner setzt sich auch mit Leitkultur, Heimat, Feminismus und Journalismus auseinander, spürt dabei starre Denkschablonen auf und setzt sich dafür ein, „miteinander um die Sache zu ringen“, will eine „Entgiftung“ der Atmosphäre.
Seine Überzeugung: Deutschland, du kannst es besser!
Ich musste mehr als einmal schlucken, als ich das Buch gelesen habe. Ich bin auch nicht mit jedem Satz einverstanden. Muss ich auch nicht. Aber Bittner ist kein Rechter, kein Linker, kein Idealist. Er beschreibt die Welt, wie sie ist und sucht nach Lösungen.
Das Buch ist flüssig geschrieben, sehr sachlich, mit Beispielen unterfüttert und gibt wichtige Impulse für eine neue Debattenkultur.
Jochen Bittner: Zur Sache, Deutschland! Was die zerstrittene Republik wieder eint. 272 Seiten. ISBN 987-3-89684-270-1. Es kostet 18 Euro.
[Dies ist keine Werbung, sondern eine neutrale Buchkritik.]
Dr. Armin König