von Dr. Armin König
«Unsere Wissenschaft ist kein System von gesicherten Sätzen, auch kein System, das in stetem Fortschritt einem Zustand der Endgültigkeit zustrebt. Unsere Wissenschaft ist kein Wissen [epistēmē]: weder Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit kann sie erreichen. Dennoch ist die Wissenschaft nicht nur biologisch wertvoll.» (Karl Popper, Logik der Forschung)
«Scio nescio», soll Sokrates gesagt haben – und das schon vor etwa 2400 Jahren. «Ich weiß, dass ich nichts weiß.» Was für ein schöner Marketing-Satz, denke ich, wenn ich ihn höre. Es ist eine Art Claim der antiken Philosophen und doch so modern, wie wir unter anderem von Karl Popper und Richard Rorty wissen, ein Slogan der Wissensarbeiterinnen und -arbeiter, ein Bonmot, vor allem aber eine Maxime.
Maximen sind subjektiv, für Kant sind sie subjektive praktische Gundsätze. Aber auch Wissenschaft ist in gewisser Hinsicht subjektiv. Am radikalsten sagt das der US-Philosoph Richard Rorty, der (eigentlich mit Blick auf die Menschenrechte, tatsächlich aber mit Blick auf alle sozialen Konstruktionen und Maximen) erklärt:
«Natürlich sind sie soziale Konstruktionen. Das gleiche gilt auch für die Atome und für alles andere ebenfalls. Denn dass etwas eine soziale Konstruktion sei, heißt, wie ich in der zweiten Vorlesung angedeutet habe, nichts weiter, als dass es das intentionale Objekt einer bestimmten Menge von Sätze ist; und diese Sätze werden in manchen Gesellschaften verwendet, in anderen dagegen nicht.» (Rorty 2018, 84)
Mit seiner neuen Definition des Pragmatismus schlägt dieser revolutionäre amerikanische Denker Richard Rorty, der in Europa lange nur eine Nebenrolle spielte, vor, an die Stelle des klassischen Wahrheitsanspruchs die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu setzen. Dafür aber muss man Zweifel zulassen.
Die Sprache hat dabei eine fundamentale Bedeutung, weil «wir nie imstande sein werden, aus der Sprache herauszutreten, dass wir nie imstande sein werden, die Realität ohne Vermittlung durch eine sprachliche Beschreibung zu erfassen». (Rorty, 38) Das verbindet ihn mit Wittgenstein («Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«), wenngleich Rorty sich in der Konsequenz des Denkens deutlich von Wittgenstein unterscheidet.
Scio nescio. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Die Philosophinnen und Philosophen wissen, was gemeint ist. Der Satz wird als Klassiker schon ewige Zeiten von Mund zu Mund, von Buch zu Buch wiedergegeben. In der Wissenschaft ist der Zweifel Grundlage allen Forschens. «Das Zweifeln gehört mit zum Kerngeschäft der Wissenschaft», erklärt Prof. Christian Kehrt (TU Brauschweig) im Interview mit dem Deutschlandfunk.
«Zweifeln ist quasi der Eintritt in die Wissenschaft, also das, was vorher selbstverständlich oder gar nicht als problematisch erschien im Alltag, das Alltägliche wird hinterfragt und neu entdeckt, neu diskutiert, neu justiert, indem man wissenschaftlich geleitete Fragen stellt.»
Deshalb bin ich als alter Zweifler gern Forscher, Wissenschaftler, Philosoph: Scio nescio. Ein Satz, der Geschichte geschrieben hat. Es ist also eine Jahrhunderte alte Erfolgsgeschichte des wissenden Nichtwissens innerhalb der Wissenschaft, wenngleich in der jüngsten Moderne die Allwissenden dabei sind, die Herrschaft zu übernehmen.
Postmodernes Allwissen und Wikipedia
Begonnen hat dieses postmoderne Allwissen mit Wikipedia und dem absurden Glauben, dass der Schwarm klüger sei als der Brockhaus oder der Meyer, was letztlich zum verheerenden Ergebnis geführt hat, dass die exzellenten Reallexika mit ihren oft exzellenten Autorinnen und Autoren verschwunden sind und einem halbgaren Wiki-Wissen Platz gemacht haben, das jederzeit von politischen Interessenten, Ideologen, Esoterikern, Sektierern und Querdenkern manipuliert werden kann. Zuweilen aber ist auch dieses Wiki-Wissen brauchbar. Das ist aber, wie ich selbst erfahren habe, nicht bei jedem Eintrag der Fall. Es hat ja Gründe, warum Wikipedia als Quelle in wissenschaftlichen Qualitätsarbeiten unzulässig ist.
Scio nescio. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Und ich weiß, dass Wikipedia manchmal zu wenig und manchmal das Falsche weiß.
Wir müssen es nur wissen.
Oder mit Rorty, der uns davon überzeugen will, «dass das platonische Streben – der Versuch, hinter die Erscheinungen bis zum inneren Wesen der Realität vorzudringen – aussichtslos ist.» (Rorty 40)
Es genügt, dass wir das Streben nach letzter Erkenntnis fallenlassen «um einer besseren Hoffnung willen«, und zwar «der Hoffnung auf die Fähigkeit, eine neue Welt zu schaffen, in der unsere Nachkommen leben können, eine Welt mit mehr Vielfalt und Freiheit, als wir uns zur Zeit ausmalen können. Die Einzelheiten dieser in höherem Maße erwachsenen und entwickelten menschlichen Welt können wir uns ebenso wenig vorstellen, wie unsere Vorfahren in der Bronzezeit imstande waren, sich von den Einzelheiten unserer heutigen Welt einen Begriff zu machen.» (Rorty 34-35)
Die Zeitkritik-Falle
Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, des bestialischen Hamas-Terros in Israel und anderer furchtbarer Ereignisse fällt es uns zugegebenermaßen schwer, diese Hoffnung zu nähren. Aber hilft es, beim allenthalben zu beobachtenden populistischen Skeptizismus im Status Quo zu verharren?
Ich weiß es nicht. Scio nescio.
Wir stecken in der Zeitkritik-Falle. Weil wir gefangen sind in unserer Zeit.
Trotzdem will ich Rorty in diesem Falle Recht geben.
Was Sokrates gesagt hat
Tatsächlich wissen wir nicht, was Sokrates gesagt hat. Wir haben es von einem Dritten gehört und gelesen, und zwar von Plato. In dessen Apologie des Sokrates, also der Verteidigungsrede, klingt der prägnante Sokrates-Satz vom Nichtwissen und vom Wissen ein bisschen anders. Vor allem aber gewinnt er besondere Bedeutung durch den Vergleich des Philosophen mit einem Politiker, einem Rhetor, der sich selbst für besonders weise hält, wie es auch heute in der Politik gang und gäbe ist, wo sich die Protagonistinnen und Protagonisten geradezu unwiderstehlich und weise dünken, es am Ende aber tatsächlich nicht ist. Warum erinnert mich das so an die 27 Jahre, die ich (irrtümlicherweise?) als Zweifelnder und stets Kritischer in der politischen Arena verbracht habe und immer unter Rechtfertigungsdruck gegenüber den Nichtwissenden, aber fest an politische Grundsätze Glaubenden stand.
Was ist schon politischer Glaube, ihr Merz-Jünger, ihr Wagenknechte, ihre Rechtsradikalen?
Aber was ist schon politischer Glaube, ihr Merz-Jünger, ihr Wagenknechte, ihr Rechtsradikalen, ihr Kommunisten, ihre Neoliberalisten?
Ein Nichts. Es gibt keine unumstößlichen politischen Wahrheiten, sowenig wie es den Gott der Päpste gibt.
Scio nescio ist also in der Argumentation des Sokrates und der Berichterstattung Platos eine sehr spannende Angelegenheit. Lesen wir die Übersetzung Schopenhauers, denn ein bisschen intellektuelle Anstrengung darf schon sein:
«Bedenkt nun, weshalb ich dieses sage: Ich will euch nämlich erklären, woher doch die Verleumdung gegen mich entstanden ist. Denn nachdem ich dieses gehört, gedachte ich bei mir also: Was meint doch wohl der Gott? Und was will er etwa andeuten? Denn das bin ich mir doch bewußt, dass ich weder viel noch wenig weise bin. Was meint er also mit der Behauptung, ich sei der Weiseste? Denn lügen wird er doch wohl nicht; das ist ihm ja nicht verstattet. Und lange Zeit konnte ich nicht begreifen, was er meinte; endlich wendete ich mich gar ungern zur Untersuchung der Sache auf folgende Art: Ich ging zu einem von den für weise Gehaltenen, [c] um dort, wenn irgendwo, das Orakel zu überführen und dem Spruch zu zeigen: »Dieser ist doch wohl weiser als ich, du aber hast auf mich ausgesagt.« Indem ich nun diesen beschaute – denn ihn mit Namen zu nennen ist nicht nötig; es war aber einer von den Staatsmännern, auf welchen schauend es mir folgendergestalt erging, ihr Athener: Im Gespräch mit ihm schien mit dieser Mann zwar vielen andern Menschen auch, am meisten aber sich selbst sehr weise vorzukommen, es zu sein aber gar nicht. Darauf nun versuchte ich ihm zu zeigen, er glaubte zwar weise zu sein, wäre es aber nicht; [d] wodurch ich dann ihm selbst verhaßt ward und vielen der Anwesenden. Indem ich also fortging, gedachte ich bei mir selbst: weiser als dieser Mann bin ich nun freilich. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht. Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen. Hierauf ging ich dann zu einem andern von den für noch weiser als jener Geltenden, [e] und es dünkte mich eben dasselbe, und ich wurde dadurch ihm selbst sowohl als vielen andern verhaßt.» (Platon, Des Sokrates Verteidigung, https://www.textlog.de/platon-sokrates-fragen-orakels.html)
Snippets
Das ist nun tatsächlich nicht so ganz einfach zu verstehen in einer Zeit, in der Snippets, also Textschnipsel, das Maß aller Dinge sind. Man kann sie für alle möglichen Zwecke per Drag and Drop einmontieren, wo auch immer. Sie sind Appetithäppchen, die nicht selten in die Irre führen, weil sie mir versprechen als sie halten. Sie sind extrem kurze Zusammenfassungen für den extrem eiligen Leser, die extrem eilige Leserin. Und sie verführen dazu, nicht mehr zu lesen, sondern nur noch kurz hinzuschauen wie bei Blitzmeldungen. Blitzmeldungen waren die Vorgänger Eilmeldungen im Journalismus. meist bestanden sie nur aus ein, zwei telegrafischen Sätzen.
Sokrates-Forschungsprojekt
Erklären wir wir also ausführlicher, worum es bei Sci nescio eigentlich ging: Sokrates ist verleumdet worden. Hintergrund ist offenbar, dass das Orakel Apolls – der Gott im Text von Schopenhauer – Sokrates einen der Weisesten genannt hat, obwohl dieser sich für «weder viel noch wenig weise » hält. Und so fragt der Philosoph: Was meint dieser griechische Gott also mit der Behauptung, ich sei der Weiseste? Denn lügen wird ein Gott doch wohl nicht; das ist ihm ja nicht gestattet, auch einem Apoll nicht. Meint jedenfalls Sokrates. Aber wer weiß? Also FORSCHT er nach, der alte Zweifler, und startet eine Untersuchung objektiver Art.
Es ist ein Sokrates-Feldforschungsprojekt mit Interviews, Fragen und Dialogen. Wobei Sokrates wie immer nicht zimperlich ist. Er begibt sich auf die Suche nach jemandem, der als weise gilt – und findet einen Staatsmann, einen Rhetor, einen Politiker. Eine schöne Pointe, wie ich meine, weil sie auch heute noch aktuell sein könnte.
Der Feldforscher Sokrates geht also zuallererst zu einem «für weise Gehaltenen», einem Staatsmann, den er gar nicht erst mit Namen nennt, weil man ihn kennt, um im Dialog mit ihm das Orakel zu überführen, dass es (vermutlich) falsch ausgesagt habe. Kurz gesagt: Der Staatsmann müsste doch wohl weiser sein als er, der Philosoph Sokrates. So sagen es jedenfalls die Leute, und so glaubt es wohl auch der Staatsmann. Er ist aber einer von den Politikern, deren Attitüde man zur Genüge kennt. Große Reden, große Ankündigungen, wenig Weisheit, wenig Wissen, wenn überhaupt.
Und so spricht der Forscher Sokrates forsch: Ihr Athener, soll ich euch was sagen? Im Gespräch mit diesem Politiker habe ich vor allem eins gelernt:
Er scheint zwar auf viele andere Menschen (Anhänger?) weise, stark, klug, intellektuell zu wirken und am meisten kommt der Selbstbewusste sich selbst wissend und weise vor; die Realität aber sieht anders aus. «In Wirklichkeit aber kommt es mir so vor, als sei er gar nicht weise», stellt Sokrates fest. Und wer sagt‘s dem Herrn Staatsmann? Der unerschrockene Wahrheitssucher, Forscher, Kommentator, Philosoph. Also konfrontiert Sokrates ihn mit dieser Meinung: dass der Interviewpartner, Herr Staatsmann, zwar selbst viel von sich halte, insbesondere von seiner Weisheit, und daran glaube; er sei aber gar nicht weise oder klug oder wissend. Anders gesagt: Er sei nicht der coole, kluge Typ, für den er sich halte und ausgebe. Klare kritische Ansage eines kritischen Denkers und Publizisten.
Und so macht sich der forsch forschende Sokrates nicht nur beim interviewten Politiker verhasst, sondern auch bei vielen Anwesenden – vielleicht Anhängern. Das wissen wir natürlich nicht, wir können es aber als These formulieren. Eine schöne These, wie ich finde.
Noch schöner klingt allerdings, was nun folgt: Als er ging, dachte Sokrates bei sich: «Weiser als dieser Mann bin ich nun freilich.»
Vor allem die Begründung überzeugt:
«Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht. Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.»
Des Pudels Kern
Das also ist des Pudels Kern: Vielleicht weiß und kann keiner von uns beiden etwas ganz Außergewöhnliches. Aber der Eine, der Politiker also, meint viel zu wissen, obwohl er nicht(s) weiß. Ich aber weiß nichts, und so glaube ich auch nicht, dass ich etwas weiß. Ich scheine also um dieses Wenige weiser zu sein als er. Weil ich schon gar nicht glaube zu wissen, was ich nicht weiß.
Ganz schön viel Umweg also für das Bonmot: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Scio nescio.
Und ich?
Weiß es auch nicht.
Wikipedia
Bei Wikipedia habe ich überraschenderweise viel dazu gefunden. Es waren Kundige und Wissende am Werk.
Scio nescio – das bedeutet nun nicht, dass Wissenschaft nichts weiß. Schon gar nicht bedeutet es, dass Wissenschaft irrelevant ist. Das Gegenteil ist der Fall.
Genau diese Irrelevanz aber haben im Zuge der Corona-Pandemie Fundamental-Kritiker und Quertreiber behauptet. Das ist nun wirklich die komplette Ignoranz.
Ich weiß, dass diese «Aluhüte» nicht nur nichts wissen, ich weiß auch, dass sie Falsches behaupten. Wider besseres Wissen? Nein, sie wissen ja nicht. Aber sie gehen fehl, weil sie Irrgläubige sind.
Zu viele Absolutheitssätze
Warum es überhaupt soweit gekommen ist? Es gab in all den Jahren seit 2000 zu viele Absolutheitssätze der angeblich objektiven empirischen Wissenschaftsdisziplinen und der großen Politik und zu wenig Bereitschaft, den Zweifel, der den Philosophen eigen ist, anzuerkennen
und wenigstens den Diskurs zuzulassen. Das mögen die Etablierten nicht gern hören, aber es trifft zu, und man ist kein Querdenker und kein Quertreiber und kein Feind der Demokratie, wenn man dies rational feststellt. Ich mache mich ja nicht gemein mit den Querdenker-Fakenews. Ich will nur das Nachdenken über Einreden zulassen – und das Diskutieren. Nun, da die Emotionen über Pandemiemaßnahmen abgekühlt sind, kann man ja im Sinne des unbedeutenden Herrn Spahn über den Satz reden:« Wir werden viel verzeihen müssen.» (Spahn, o.D.) Wobei das, was Spahn sagt, im Rorty-Sinne Nonsens ist.
Es geht nicht ums Verzeihen, es geht um den Diskurs über Wörter und angebliche Wahrheiten und Absultheitssätze.
Eine Wissenschaftlerin hat auch daran mitgewirkt: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit ihren Aussagen zur Alternativlosigkeit von Entscheidungen.
Dabei gibt es nur selten alternativlose Entscheidungen, wie die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte zeigt. Es mag alternativlose Scheidungen geben. Alternative Ent-scheidungen sind dagegen viel seltener.
Viele einst richtige Entscheidungen haben sich im Nachhinein als falsch herausgestellt, ganze Leergebäude sind über Nacht eingestürzt, als das Neue, Bessere in die Welt kam.
Lassen wir noch einmal Richard Rorty zu Wort kommen, den Anti-Autoritären, den Neo-Pragmatiker, den Zertrümmerer des Gottesglaubens und der transzendenten Wahrheiten.
Er erklärt uns, «dass Prognosen über die Zukunft der soziokulturellen Evolution auf der Basis der verfügbaren dürftigen Daten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ein ebenso aussichtsloses unterfangen darstellen wie der Versuch des Dinosauriers, anhand der im Jura zu Gebote stehenden Daten Vorhersagen über die Menschenaffen zu machen.» (Rorty 33)
Ich weiß, dass ich nicht nichts weiß
Ein wenig möchte ich Sokrates dann doch korrigieren. Schließlich bin ich sowohl Politiker als auch Forschender als auch Publizierender im Welt-Diskurs.
Ich weiß, dass ich nicht nichts weiß. Aber ich weiß, dass ich viel zu wenig weiß. Was ich aber weiß, weil ich 27 Jahre Teil des Systems war, ist, dass Politik oft nichts weiß und trotzdem so tut, als sei sie allwissend.
In Anlehnung an die Anfangs-Thesen von Karl Popper komme ich in Bezug auf Politik zu einer klaren Aussage:
Unsere Politik ist kein System von gesicherten Sätzen, auch kein System, das in stetem Fortschritt einem Zustand der Endgültigkeit zustrebt. Unsere Politik hat kein Wissen. Weder Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit noch Klarheit kann sie erreichen. Die Hybris der Nichtwissenden gefährdet die Zukunft.
Denn die Dummheit vor allem ist in der Politik weit verbreitet.
Das bestätigt auch Laszlo, der, wenngleich höchst umstritten, ein paar Sätze geschrieben hat, über die ich gern diskutieren würde:
«Es gehört zum Wesen der Politik, dass sie sich keine grundsätzlichen und langfristigen Themen aussucht. Stimmzettel tragen überwiegend Namen von Personen, die nach Macht streben und von Konkurrenzdenken geprägt sind. Menschen, die lieber kooperieren als konkurrieren, Wissen der Macht vorziehen und sich um langfristige Probleme kümmern, lassen sich selten zu Wahl aufstellen.» (Laszlo 81)
Ich kann dem aus 27jähriger Erfahrung als Bürgermeister nicht hundertprozentig zustimmen, denn ich gehörte zu denen, die sich spätestens 2004 grundsätzliche und langfristige Themen aussuchten und immer wieder danach handelten. Allerdings fand ich in der Politik wenig Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Der Widerstand gegen notwendige Veränderungen und neue Weichenstellungen war immer gewaltig. Fakt ist:
Es gibt zu viele Machtspiele und zu wenig Wissen in der Politik, und noch mehr fehlt Klugheit. Die Klugen haben auch deshalb keine Chance, weil die Masse der Wählerinnen und Wähler die Dummheit der Populisten eher goutiert als die Veränderungsaufrufe der Weisen.
Die Klimapolitik ist das beste Beispiel.
Und so ahnen wir mehr, als dass wir wissen: Wer nicht wissen will, wer nicht hören will, wer nicht lernen will, muss fühlen und leiden.
Ein Absolutheitsanspruch aber verbietet sich auch hier.
Es gibt keine alternativlosen Sätze.
Deshalb noch einmal der von mir hoch geschätzte Richard Rorty:
«Da niemand die Zukunft kennt, weiß auch niemand, welche Überzeugungen ihre Berechtigung behalten und welche nicht; und daher gibt es nichts Ahirstorisches, was sich über die Erkenntnis oder die Wahrheit sagen ließe.» (Rorty 33)
Zukunft gestalten
Wir sollten tatsächlich unseren Blick auf die Zukunft richten in der «Hoffnung auf die Fähigkeit, eine neue Welt zu schaffen, in der unsere Nachkommen leben können, eine Welt mit mehr Vielfalt und Freiheit, als wir uns zur Zeit ausmalen können». Mehr ist dazu nicht zu sagen.
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