Content
von Elias Hirschl
Für mich ist es einer der Top-Romane des Jahres.
Die Welt in der Region Staubloch – Ruhrgebiet – geht unter, doch bis dahin arbeitet die Ich-Erzählerin in diesem ziemlich überdrehten, stellenweise irrwitzigen Social-Media-Roman in der Content-Farm „Smile Smile“.
Das innovative, aber gescheiterte Schreib-Prekariat des Metaverse- und X-Zeitalters schreibt Listicles – also Listen über alles und jedes bis zum Irrsinn. Kolleginnen produzieren wahnwitzigen Youtube-Content. Motto: Geringster Aufwand, maximale Reichweite.
Sie schreddern alte Nokia-Handys, lassen Obst und Gemüse und andere Objekte in Mikrowellen explodieren – und Schlimmeres. Hauptsache Reichweite.
Die Content-Produzent:innen arbeiten in einer heruntergekommenen und nun für Startups hergerichteten Kokerei, derweil gegenüber ein Lieferando-Klon in einer hochsubventionierten und hoch kontaminierten Stahl- und Bergbau-Ruine expandiert. Das kann nur eine Zeitlang gut gehen, zumal es hier wie an der Ruhr oder im Saarland hoch kontaminiertes Erdreich, giftiges Grubenwasser, unbekannte Höhlen, Stollen und Strebe gibt, die wie immer für völlig ungefährlich erklärt werden.
Don’t worry, be happy. Du musst nur Clicks produzieren in der Content-Farm, auch wenn sie deine Texte in kafkaesken ContentfarmStrukturen bis zur Unkenntlichkeit redigieren. Ob die Farm-Zentrale im Untertage-Keller, in Zypern sitzt oder von Russland gesponsert wird, weiß keiner so genau. Ist auch egal für die Protagonistinnen.
Alle wollen nur eins: Berühmt sein, anerkannt sein wie beispielsweise Jen Statsky oder Megan Amram die ihren Komikerinnen-Kultstatus früheren Content-Produktionen in Social Media-Kanälen verdanken.
Okay: Alle wollen ihre Firmen zu hoch profitablen Einhörnern pushen – aber mit Con-tent, den niemand braucht und der auch keinerlei Gewinn abwirft – als habe es nicht die Dot-Com-Blase der 2000er Jahre gegeben. Andererseits: Zuckerberg und Musk haben’s genauso praktiziert – auf Kosten und vor allem mit Daten und Content der Nutzerinnen und der Produzentinnen. Die sind irgendwann völlig am Ende – und doch selig.
Erst landet Karin in der Klapse, dann wird es für die Ich-Erzählerin metaphysisch. Ein Ransomware-Angriff und eine Umweltkatastrophe sorgen für ein dystopisches Setting, zumal die KI nun die Kontrolle übernimmt.
Mehr darf nicht verraten werden – kein Spoiler!
Eine Roman-Satire nennt Elias Hirschl sein Buch über die Generation ChatGPt, politisch, prophetisch, aber auch realistisch mit Anklängen an TrollFarmen in Nordmazedonien, Überwachung, Selbstausbeutung, Polit-Manipulation, Clickbaiting.
So richtig lustig ist es nicht immer, von wegen Satire, aber schräg und unterhaltsam. Und brillant formuliert von einem großartigen österreichischen Poetry-Slammer.
Fazit
Dieser Roman gehört auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises in Frankfurt. Buch des Monats war er beim ORF schon zweimal.