Was für eine Sensations-Schlagzeile in der Saarbrücker Zeitung: „Autobranche läuft Sturm gegen Verkehrs-Pläne im Saarland: ‚Schlag ins Gesicht'“ – Oh Gott! Seit wann schlägt die manchmal doch sehr brave Umweltministerin Petra Berg jemanden ins Gesicht? So kennen wir sie doch nicht. Nein. Sie hat niemanden geschlagen. Und „die Autobranche“ ist der ehemalige SR-Autotester und heutige Autolobbyist und Verbrenner-Schnellauto-Fan Armin Gehl. Gut, das ist auch ein bisschen subjektiv. Er ist Geschäftsführer des Netzwerks Autoregion, hat beim Automotive-Netzwerkaufbau durchaus viel geleistet und ist nach eigener Ansage „überzeugter Kolbenmotor“-Verfechter. Also Lobbyist. Also Interessenvertreter. Daraus machen der hinreichend bekannte altbackene Kolumnist Lothar Warscheid und die Redaktion eine militaristische Schlagzeile. Sturmlauf: Den haben die Literaturklassiker erfunden, als es um Schlachten ging. Sturmlauf gegen den Feind. Oder den Sturm der Wellen im Meeresgetöse. Aber Sturmlauf der Autobranche? Im Saarland? Es gibt kein Schlachtfeld und kein wildes Meer. Und ich kann auch keinen Sturm und keinen Lauf sehen, obwohl ich viele Zulieferer kenne.
Nee: Da hat einer (Armin Gehl) eine Presseerklärung mit bösen Worten geschrieben und dann wird daraus eine durch nichts gedeckte Aufmacherschlagzeile. Ich könnte nun titeln: Wenn Kolbenmotor Hirn verbrennt.
Und das hat durchaus Gründe.
Wenn ich nämlich den folgenden Gehlschen Unsinn lese, schwillt mir tatsächlich der Hahnen-Kamm: „Wenn Ministerin Berg im ÖPNV den Ausstoß des Klimagases CO₂ verringern will, „muss sie sich verstärkt für den Einsatz von synthetischem Diesel (HVO100) einsetzen“. Dieser sei zwar etwas teurer als der Standard-Diesel. „Doch als Anreiz sollte das Land die Differenz zwischen Standard- und Biodiesel übernehmen“. Das ist völliger Quatsch und politischer Irrsinn: Landesschulden für Dieselförderung, während Schulen, Infrastruktur und Kommunen den Bach runtergehen? Niemals, Herr Gehl! Und seit der korruptionsverdächtigen Affäre um den Bundesverkehrsminister, seinen Staatssekretär und den Synthetik-Fuel-Verein sind wir ja auch alle viel sensibilisierter, wenn es um puren Lobbyismus für Verbrenner und E-Fuel-Fake News geht.
Fünf Punkte Klartext:
1. Die Autoindustrie und wir als Autofahrer können uns nicht davor verschließen, dass beim Thema Verbrenner deutliche Verhaltensänderungen notwendig sind. Ich habe übrigens ein Auto verkauft und fahre oft Bahn und Bus oder E-Bike oder gehe zu Fuß. Das ist billiger, gesünder und umweltfreundlicher. Früher bin ich auch gern BMW gefahren. Oder Audi. Ich habe meine Prioritäten geändert.
2. Wir sind mitten in der größten Transformation der Autogeschichte. Die Adaptionsstrategie funktioniert derzeit nicht. Wir brauchen dringend einen realistischen Plan B. Der ist in Deutschland und Europa nicht da.
3. Die unseligen Polit-Autolobbyisten im Saarland (bis in die Politik) haben uns schon bei FORD, S-Volt und Co das Blaue vom Himmel heruntergelogen. Es ist Zeit, sich der Realität zu stellen. Lest seriöse überregionale Zeitungen, dort steht, wo die Baustellen und die Schwachstellen sind: Falsche Modellpolitik, viel zu hohe Preise, Arroganz der deutschen Hochpreis-Autobauer, unfähige Vorstände. Und eine Politik der Ampel, der mit ihrem Förder-Zickzack ganz Deutschland verwirrt hat. Schluss mit Testosteron-Marketing von und für Verbrenner-Enthusiasten!
4. Man vergisst gern, wie Winterkorn und Co mit Abgasbetrug die Welt erobern wollten. Das ist bis heute nicht aufgearbeitet. Man will die Melkkuh weiter bis zum Umfallen melken und vergisst die Zukunft. Zeit, die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten und einen klaren Schnitt zu machen – für neue Wege.
5. Was wir brauchen, sind realistische Szenarien für eine zukünftige Mobilitätspolitik im Saarland (und in Deutschland). Brechstangen-Lobbyismus funktioniert so wenig wie verbale Übertreibungen.
Stattdessen ist eine Mischung aus Power-Management, Preispolitik, EU-Förderung (Alternativantriebe) und Kundenoffensive nötig. Und ein Bewusstseinswandel bei uns. Man muss nicht jeden Kilometer mit dem Auto fahren.
Petra Berg hat im Kern recht: Wir müssen im Saarland einfach weniger Auto fahren.
Die Umsetzung muss mit dem Bürgerinnen und Bürgern zusammen debattiert werden.
Armin König
P.S.: Wenn der Geschäftsführer des „Automotive-Netzwerks“ Saar erklärter Kolbenmotor-Enthusiast und Verbrenner-Freak ist, darf man sich nicht wundern, dass die Autobranche im Land auf keinen grünen und CO2-armen Zweig kommt.