Dr. Armin König
Nein, wir haben nicht vorausgesehen, wie dramatisch sich die Folgen des Klimawandels auf das Leben in deutschen Regionen auswirken, weder an der Ahr noch im Saarland noch in Süddeutschland. Und was für Deutschland gilt, gilt auch für andere europäischen Länder. Allein 2021 mindestens 220 Tote in Deutschland und Belgien, Verletzte, zwischen 45 und 50 Milliarden Euro Sachschäden, noch größere immaterielle Schäden, unwiderbringliche Verluste. 2024 folgten erneut immense Katastrophenschäden. Betroffen waren etwa 2 Millionen Menschen. Bei diesem Hochwasser- und Starkregenereignis ist von einer Sachschädensumme von 2 Milliarden Euro auszugehen. Auch diesmal gab es wieder Tote und Verletzte und unermessliche Folgeschäden. Allein im kleinen Saarland und in Rheinland-Pfalz wird die Summe der versicherten Schäden auf 200 Millionen Euro geschätzt. Es waren tatsächliche Katastrophen, die die so hochgerüstete, digitalisierte, automatisierte, gesicherte Zivilisation ins Mark trafen, und sie häufen sich, gehorchen keiner statistischen Wahrscheinlichkeit mehr. Welchen Sinn hat es, wenn Tiefbauplaner die Dimensionierung von Abwasseranlagen und Regenüberläufen anhand von DIN-Normen auf ein Jahrhundertregenereignis berechnen, wenn sich diese Grundlagen so dramatisch geändert haben, dass Jahrhundertereignisse Tag für Tag eintreten können? Sind wir darauf eingestellt? Im Sommer 2021 – das Jahr der Ahrtalkatastrophe – erlebte Deutschland eine Abfolge von Starkregenereignissen aus, wie man sie vorher nur partiell erlebt hatte. Neben den dramatischen Flutschäden (Ahr u.a.) waren auch die Entwässerungsanlagen einer außergewöhnlichen Belastung ausgesetzt. 2024 wiederholte sich das Drama. Auch diesmal wieder die Erkenntnis: Einstige statistische Jahrhundertregenreignisse können theoretisch täglich auftreten. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Entsprechend ist auch die DIN-Norm schon geändert worden. Es muss auch in die Köpfe ovn Politiker:innen und Planer:innen: Starkregen, Hochwasser und Dürreperioden sind keine seltenen Ereignisse mehr, sondern wiederkehrende Herausforderungen, die unser aktives Handeln auf allen Ebenen fordern – von der Politik über die Wirtschaft bis hin zu jedem Einzelnen. Dramatische Naturphänomene sind nicht mehr länger als singuläre, extreme Ausnahmeerscheinungen zu verstehen, sondern als neue Realität. Der Deutsche Wetterdienst beschreibt Starkregen als hohe Niederschlagsmengen, die in kurzer Zeit auftreten. Sie sind meist mit intensiver Konvektion wie Cumulonimbuswolken verbunden und treten häufig bei Gewittern auf. Der Wetterdienst nennt als Beispiel 25 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde. Nach DIN 1986-100 dient die Regenmenge von 500 bis 800 Litern je Hektar pro Stunde (r(5,100), Fünfminutenregen alle 100 Jahre, „Jahrhundertregen“) zur Dimensionierung von Notüberläufen. Das entspricht 15 bis 24 Litern pro Quadratmeter. Starkregen kann somit gemäß DIN 1986-100 als „Jahrhundertregenereignis“ gelten.
Megathema Hochwasserprävention
Weil dies ein Megathema ist, haben wir es zu einem Schwerpunkt dieser Polygon-Ausgabe gemacht. Ich freue mich, dass wir mit Gerhard Matzig einen bedeutenden Publizisten (Süddeutsche Zeitung) als Autor gewonnen haben, der in gewohnter Klarheit auf das hinweist, was Politiker und Wirtschaft, aber auch die Bürgerschaft nicht sehen und wahrhaben wollen: dass der Klimawandel Realität ist, dass er nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch Folgen hat, die Millionen Menschen betreffen. Es geht um Leib und Leben, um Eigentum, um Natur- und Umweltschutz, um Prävention und Siedlungsentwicklung, um Geld und Personalressourcen. Es wird unbequemer in Deutschland.
Gigantische Verluste und Schäden zwingen zur Neuausrichtung
Das Jahr 2024 hat uns erneut eine bittere Lehre erteilt: Die Pegel stiegen in mehreren Regionen Deutschlands auf historische Höchststände, Tausende von Menschen mussten ihre Häuser verlassen, und die wirtschaftlichen sowie emotionalen Verluste sind unermesslich. Doch trotz dieser alarmierenden Ereignisse scheinen die Konsequenzen aus diesen Katastrophen nicht weitreichend genug zu sein. Anstatt grundlegende Fragen zu stellen und mutige Antworten zu formulieren, dominieren oft kurzfristige Reaktionen und Symbolpolitik die Diskussionen. Dort, wo es konfliktreich werden könnte (Baulandpolitik, Investitionen, Retentionsflächen ohne Nutzung), wird abgewiegelt, vertagt, vertröstet. Das ist lebensgefährlich und grob fahrlässig. Diese Sammlung von Texten will informieren, analysieren und zur Diskussion anregen.
Perspektiven der Hochwasserprävention und der Siedlungspolitik
In den folgenden Beiträgen werden vor allem drei Perspektiven auf die Problematik der Hochwasserprävention und Siedlungspolitik beleuchtet:
Analysiert werden die Versäumnisse und Chancen in der deutschen Siedlungspolitik. Unser Beitrag verdeutlicht, dass es ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel und eine stärkere Einbindung der Bürger:innen keine nachhaltigen Lösungen geben wird. eine Umkehr hin zu einer verantwortungsbewussten und vorausschauenden Stadt- und Regionalplanung, die sowohl die aktuellen Risiken als auch die langfristigen Konsequenzen berücksichtigt, ist unverzichtbar.
Gerhard Matzig, Bauexperte der Süddeutschen Zeitung mit seinem scharfen Blick für die Zusammenhänge von Klimawandel und Baukultur, mahnt eindringlich eine Abkehr von der gewohnten Versiegelungspolitik hin zu einer ökologischeren Stadtplanung an. Seine Idee der Schwammstadt zeigt, dass urbane Räume auch resilient und zugleich lebenswert gestaltet werden können. Sein Beitrag ist ein Appell an alle, die Verantwortung tragen – von Architekt:innen und Stadtplaner:innen bis hin zu den politischen Entscheidungsträger:innen.
Anke Rehlinger, die saarländische Ministerpräsidentin, ergänzt die Diskussion mit einer praktischen Perspektive aus der politischen Verantwortung. Sie betont, wie wichtig der Zusammenhalt von Landespolitik, Kommunen und Bürger:innen ist, um Katastrophenfolgen zu bewältigen und Präventionsmaßnahmen effektiv umzusetzen. Rehlinger zeigt auf, wie eine kooperative Herangehensweise, die finanzielle Unterstützung und partizipative Entscheidungsprozesse vereint, nachhaltige Fortschritte ermöglichen kann.
Eine integrative Herangehensweise an Hochwasserprävention
Die Texte decken ein breites Spektrum an Themen ab: von der Notwendigkeit einer radikalen Umkehr in der Siedlungspolitik über innovative urbane Konzepte wie die Schwammstadt bis hin zu den politischen Herausforderungen und finanziellen Notwendigkeiten der Hochwasserprävention. Dieses Buch ist nicht nur eine Analyse, sondern auch ein Appell. Es fordert uns alle auf, aktiv zu werden – in unseren Gemeinden, bei der Gestaltung unserer Lebensräume und in der politischen Diskussion.
Ein entscheidender Punkt, der in allen Beiträgen hervorgehoben wird, ist die Dringlichkeit einer integrativen Herangehensweise. Hochwasserprävention ist keine Aufgabe, die allein von einer einzelnen Institution oder einer Verwaltungsebene bewältigt werden kann. Sie erfordert die Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Ohne diese Vernetzung bleiben wichtige Potenziale ungenutzt, und die Gefahr einer erneuten Katastrophe steigt.
Die Schwammstadt als Symbol eines Paradigmenwechsels
Ein wichtiges Konzept, das hier behandelt wird, ist die Idee der Schwammstadt. Dieses Konzept steht für einen radikalen Wandel in der urbanen Planung. Es kombiniert innovative Technologien mit naturbasierten Lösungen, um Wasser nicht nur effizient zu managen, sondern es als Ressource zu nutzen. Die Schwammstadt zeigt, wie eine nachhaltige und resiliente Zukunft aussehen kann: Grüne Dächer und Fassaden, die Wasser speichern und Verdunstung fördern, durchlässige Oberflächen, die die Versickerung von Regenwasser ermöglichen, sowie Rückhaltebecken und renaturierte Flussläufe, die Überflutungen abmildern. Dieses Konzept ist mehr als eine technische Lösung – es ist ein Ausdruck des Willens, unsere Städte an die neuen Realitäten anzupassen.
Verantwortung und Zukunft
Der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels und die Anpassung an seine Realitäten sind keine Aufgaben, die auf die lange Bank geschoben werden können. Jede Verzögerung bedeutet höhere Kosten und gravierendere Konsequenzen. Die hier versammelten Texte zeigen, dass es möglich ist, eine Balance zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen zu finden. Doch dafür bedarf es entschlossener Entscheidungen und eines neuen Bewusstseins, das sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft widerspiegelt.
Diese Beiträge erinnern uns daran, dass wir nicht Zuschauer:innen, sondern aktive Gestalter:innen unserer Zukunft sind. Hochwasserprävention ist eine gemeinsame Aufgabe, die nur durch Zusammenarbeit, Kreativität und Mut bewältigt werden kann. Lassen Sie uns die Lehren aus der Vergangenheit nutzen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.