Wie wir die Generationendebatte neu beleben können
von Dr. Armin König
23.4.2023
A. Essentials zur Demografie
1 Demografischer Wandel ist Realität
Demografischer Wandel findet statt. Er ist kein Phänomen von morgen, sondern Realität heute. Damit müssen sich Politiker aller Ebenen auseinander setzen. Nach jetziger Kenntnis wird der demografische Wandel die Gesellschaft in einem Prognose-Zeitraum von 30 Jahren spürbar verändern. Das Land wird ethnisch heterogener, die Bevölkerung wird tendenziell älter, da die Lebenserwartung gestiegen und die Fertilität gesunken ist. Die niedrige Fertilitätsrate ist die Hauptursache der Schrumpfung und der relativen Alterung. Negativeffekte aus der Schrumpfung und der Alterung der Bevölkerung können sich gegenseitig verstärken.
Die Deutschen sterben aber nicht aus. Entsprechende Äußerungen sind statistisch selbst für einen langen Prognosezeitraum zu widerlegen. Die wachsende ethnische Heterogenität durch Zuwanderung hat Auswirkungen auf das Alltagsleben. Menschen mit Migrationshintergrund werden eine zunehmende Rolle auf lokale Policies haben. Auch als Wähler und Repräsentanten werden sie relevant. Die massiv erhöhte Zuwanderung erfordert einen Paradigmenwechsel mit verstärkten Integrationsbemühungen und dem Werben um junge, gut ausgebildete Zuwanderer erfordern. Das Problem ist derzeit ungelöst.
2 Paradigmenwechsel
Deutschland erlebt einen generellen Wandel vom Wachstumsparadigma zu einer notwendigen Akzeptanz der Konsolidierung, stellenweise auch der Schrumpfung, vom Jugendmythos zur alternden Gesellschaft. Das Land und seine Menschen sind darauf bisher kaum eingestellt. Probleme werden vielfach verdrängt, aktuelle Herausforderungen nicht gesehen. Um dies zu ändern, sind offensive Information der Öffentlichkeit, Transparenz und direkte Kommunikation mit den Einwohnern notwendig. «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar», hat Ingeborg Bachmann geschrieben. Die Akzeptanz der Realität ist zwingend notwendig, um die richtigen politischen Konsequenzen ziehen zu können.
Schrumpfung, Alterung, Leerstände sind vor allem in Ostdeutschland Alltag, doch inzwischen ist auch die Hälfte der westlichen Bundesländer betroffen. Während die Negativ-Effekte des demografischen Wandels im auch finanziell schwer gebeutelten Saarland flächendeckend auftreten, sind es in Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vor allem die dünner besiedelten ländlichen Gebiete. Auch Städte in den alten Montan- und Industrieregionen schwächeln oder zeigen unverkennbar Symptome eines beschleunigten Niedergangs. Die Ergebnisse des Zensus haben viele Stadt-Verantwortliche schockiert: Ihnen sind tausende Einwohner über Nacht abhanden gekommen.
Auch die, die bisher den Kopf in den Sand gesteckt haben, sind nun in der Wirklichkeit angekommen: Weniger Einwohner heißt weniger Kaufkraft, schwächere Infrastrukturauslastung, Leerstände, steigende Entsorgungsgebühren, höhere Kosten, niedrigere Schlüsselzuweisungen und oft auch höhere Verschuldung. Inwieweit die Zuwanderung die Schrumpfungstendenzen umkehrt, lässt sich derzeit nicht seriös absehen.
Vorbei die Zeit, als man sich auf alte Rezepte verlassen konnte, auf die Profis in Politik und Institutionen, auf Experten und Investoren. Vorbei die Zeit, als Wachstum garantiert war. Vorbei die Zeit, als es immer nur aufwärts ging. Die Ressourcen sind endlich, der demografische Wandel führt gerade im Saarland und im Westen von Rheinland-Pfalz und in ländlichen Gebieten Hessens zu Schrumpfung und Alterung, zu Krisen und Problemen.
Die Zukunft gehört denen, die neu denken, die Zukunft gehört denen, die Mut zum Handeln unter veränderten Bedingungen haben, die Zukunft gehört denen, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen und sich selbst neu erfinden. Die Hoffnung vieler Lokal- und Landespolitiker, den Status Quo ohne Veränderungen erhalten zu können, ist trügerisch. Zu stark sind die äußeren Einflüsse, als dass man alles beim Alten lassen könnte.
3 Vorrang für lokale Generationenpolitik
Bisher findet lokale Generationenpolitik (Kottmann 2014), die diesen Namen verdient kaum statt. Zu einer modernen Generationenpolitik gehören die Schwerpunkte Bildung, Kinderbetreuung, Erziehung, Schule, Barrierefreiheit, Seniorenpolitik, Pflege und Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesellschaftliche Dialoge sowie öffentliche Familienleistungen und generationenübergreifende Freiwilligendienste. Wichtige Ziele einer lokalen Generationenpolitik sind Gerechtigkeit, Verantwortung, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit. Damit sollen unterschiedliche Interessen und mögliche Spannungsfelder nicht ausgeblendet oder zugekleistert werden. Vielmehr geht es darum, im lokalen Bereich die Politik so zu organisieren, dass alle Generationen profitieren und dass dies zu einer produktiven und sozial verantwortbaren Entwicklung führt, in der Junge und Alte ihre Persönlichkeit frei entfalten können. Dies stärkt den sozialen Zusammenhalt und fördert die Entwicklung einer Kommune.
Generationenpolitik unter tatkräftiger Einbeziehung der Bevölkerung wird möglicherweise neue Schwerpunkte setzen. Gemeinderäte und -verwaltungen müssen diese Profilierung unterstützen und dürfen sie nicht blockieren. Das kann auch Bereiche umfassen, die bisher nicht unter den Vorzeichen der Generationenpolitik gesehen wurden, etwa die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Wo Schwerpunkte der Politik verändert werden, ändert sich in der Regel auch die Ressourcenverteilung. Auch dies kann zu Konflikten führen.
Andererseits verschiebt sich im demografischen Wandel die Generationenbalance. Es ist also legitim, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Mittelverteilung innerhalb der Kommunen verändert. Das belegt, dass demografischer Wandel auch zu veränderter Politik führt.
4 Nicht abwarten, sondern handeln: Infrastruktur optimieren
Kommunen dürfen im demografischen Wandel nicht abwarten, sondern müssen agieren und optimieren (Boll 2014), denn Bevölkerungsschwund führt zu Einnahme-Schwund, Auslastungsproblemen in der Infrastruktur und Kostensteigerungen. Ziel ist es, robuste (Infra-)Strukturen zu sichern oder neu zu schaffen, damit die Zukunft bewältigt werden kann. Im Gegensatz zu den großen Bevölkerungstrends können Infrastrukturausstattungen beeinflusst werden. Durch Kooperationen, multifunktionale Nutzungen und optimierten IT- und Technikeinsatz können Kosten gesenkt und Auslastungsquoten verbessert werden. Gleichzeitig geht es darum, durch kluge Sanierungsentscheidungen die Substanz des kommunalen Vermögens nicht nur zu erhalten, sondern auch zukunftssicher zu machen.
In Schrumpfungsgebieten – die wird es auch weiterhin geben – wird es allerdings auch zur Schließung kommunaler Einrichtungen kommen. Das wird zu Konflikten führen. Die Ursachen müssen der Bevölkerung umfassend erklärt werden. Auch in diesem Zusammenhang gilt der 1. demografische Hauptsatz: Die Wahrheit ist den Bürgerinnen und Bürgern einer Kommune zumutbar.
Demografischer Wandel bedeutet aber nicht zwingend Abbau, Rückbau und Schließung. Die Modernisierung der Infrastruktur bietet auch Chancen zu optimierten Neubauten. Aufgabe der Planer und Entscheider ist es, Zukunft weisende und nachhaltig wirksame Projekte auf den Weg zu bringen, die ökonomisch und ökologisch optimiert und energieeffizient sind. Dadurch bieten sich neue Chancen für Architekten, mit neuen Konzepten Zukunft (auch optisch-ästhetisch) zu gestalten.
Funktionalität ist wichtig. Aber Funktionalität allein ist nicht alles. Form, Gestaltung, energetische Optimierung und neue Raumkonzepte sind gefragt. Wo Kommunen auch architektonisch Neues wagen, steigen ihre Chancen, wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Attraktive Kommunen können zur neuen Heimat im demografischen Wandel werden, wenn sie bezahlbare Häuser (auch gebrauchte, die architektonisch pfiffig umgestaltet werden), gutes Sozialklima, sehr gute Kinder- und Familienbetreuung, soziale Nähe und vor allem Sicherheit bieten. War bisher die Urbanisierung als Trend nicht in Frage gestellt, könnte gerade die wachsende Sicherheits-Debatte dazu führen, dass die bereits totgesagten ländlicheren Kommunen zu den Gewinnern in Zeiten von Migration und Demografie werden. Das ist aber noch nicht klar zu erkennen. Insbesondere suburbane Kommunen haben in dieser Lage Chancen. Das gilt nicht für abgelegene kleine Dörfer.
5 Neupositionierung der Kommunen
Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass die Verantwortlichen in den Kommunen selbst aktiv werden müssen und nicht rein defensiv auf eine immer schwierigere Umwelt reagieren dürfen. Innovationsfähigkeit, Kreativität und Aufgeschlossenheit sind dabei unverzichtbar.
Ziel ist die strategische Neupositionierung der Kommunen, wobei die wichtigsten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken und die wesentlichen Ressourcen beachtet werden müssen. Gerade für kleine Kommunen, aber auch für kleine kommunale Einheiten (Eigenbetriebe, Werke, Kulturbetriebe) kann es wertvoll sein, sich gegen die Großen kreativ und flexibel zu positionieren.
Eigendynamik, Innovationskraft, Kommunikation, Ganzheitlichkeit, Nachhaltigkeit, Vertrauen in kompetente Mitarbeiter, gemeinsame Ziele, Beweglichkeit, Begeisterungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und die Bereitschaft, die Organisation «neu zu erfinden» helfen, auch in Umbruchs-, Krisen- und Transformationszeiten neue Perspektiven zu eröffnen. Dabei spielt Wirtschaftlichkeit, die sich anhand von Kennzahlen und Indikatoren abbilden lässt, eine wichtige Rolle. Sie ist aber nicht das einzige Kriterium.
Geschichte, Tradition, Kultur können vor allem in Phasen des Übergangs Identität stiften und neue Kreativitätspotenziale eröffnen, um so den Übergang zu einem neuen Lebenszyklus der Organisation zu erleichtern.
Veränderungsprozesse müssen offensiv kommuniziert, mit umfassenden Informationen unterlegt und aktiv moderiert werden, um Vertrauen zu schaffen. Dabei sollen die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen sehr früh einbezogen werden. Der Stakeholder-Prozess muss durch Führungskräfte mit Visionen gesteuert werden.
Veränderungsprozesse brauchen mutige Promotoren, eine gute demokratische Basis, neutrale, professionelle Moderatorinnen und Moderatoren und ausreichende Finanz- und Sachmittel.
Die Verantwortlichen müssen so flexibel handeln, dass sie im Laufe des Prozesses Korrekturen und fremde Ideen zulassen, mit denen die gesamte strategische Ausrichtung der Kommune bzw. der Verwaltung sich ändern kann. Regelmäßiges Feedback ist notwendig und soll zu Feinabstimmung der Strategie beitragen, damit der Prozess nicht aus dem Ruder läuft und Frustrationen erzeugt.
6 Zurück in die Mitte – Warenangebote sichern
Wo Städte und Dörfer schwächeln, schrumpft auch das Angebot an Waren. Das wird sich in den nächsten Jahren durch den Internethandel erheblich verschärfen. Die Bereitschaft, des Handels, diese Entwicklung wahrzunehmen und ihr kreative Konzepte entgegenzusetzen, ist derzeit nicht sehr asugeprägt. Und so zeigen sich in wachstumsschwachen Regionen zeigen sich in vielen Kommunen Erosionstendenzen, die, wenn sie erst einmal begonnen haben, kaum revidiert werden können. Das hat Folgen: Nicht nur die Bevölkerungskurve tendiert ins Negative, sondern auch die lokale Wirtschaftsentwicklung. Zu den quantitativen und qualitativen Folgen verschärften demografischen und wirtschaftlichen Wandels zählen eine zurückgehende Nachfrage nach Häusern, Wohnungen und Gewerbeflächen, eine geringere Auslastung von Infrastruktureinrichtungen, was zu tendenziell steigenden Kosten führt (Vorhaltekosten, Grund- und Finanzierungskosten, erhöhter Aufwand pro Kopf der Bevölkerung), sinkende kommunale Steuereinnahmen, steigende Zahl von Leerständen und Brachflächen. Damit verbunden ist eine sinkende Attraktivität des Standorts.
Um Erosionstendenzen entgegenzuwirken, müssen Kommunen die Innenlagen stärken und mit dem Planungsrecht die Expansion in Außenlagen stoppen. Dieses Problem ist immer noch nicht ausreichend erkannt. Auch weiterhin werden Randlagen und nicht integrierte Standorte so genannten «Einkaufsmagneten» zur Verfügung gestellt, damit diese das Handelspotenzial großflächig abgreifen und damit den innerörtlichen Handel töten können.
Das klingt provokativ und hart, beschreibt aber die Realität. Ein Musterbeispiel dafür ist da Saarland, wo der Handelskonzern Globus 2016 am Rande der Stadt Neunkirchen im Naturschutzgroßvorhaben Landschaft der Industriekultur Nord an einem nicht integrierten Standort großflächigen Einzelhandel gegen alle Regeln und Gesetze der Raumordnung mit politischer Rückendeckung insbesondere der Stadt Neunkirchen und des Wirtschafts- sowie des Umweltministeriums erzwingen will, um seine Marktposition auf fragwürdige Weise zu verbessern.
Die Gewerbetreibenden selbst müssen sich stärker engagieren und kreative Lösungen für Marketing, Kundenbindung und Warenpräsentation finden. Lösen können sie ihre Probleme durch Kooperationen und Innovationen. Die Kommunen sollten sie dabei nachhaltig unterstützen.
Außerdem ist es Aufgabe der Kommunen, interkommunal Standortaufwertung zu betreiben und Sicherheit und Sauberkeit zu gewährleisten.
7 Aus Verantwortung Flächen schonen
Deutschland braucht einen Paradigmenwechsel in der Flächenpolitik: Boden ist kostbar und muss geschont, Flächenverbrauch vermieden werden. Wer Verantwortung für Kinder und Enkel übernehmen will, wer Generationen gerechte Politik anstrebt, kann die ruinöse Inanspruchnahme von Böden nicht länger akzeptieren. Das entspricht der Intention nachhaltiger Politik, wie sie die Brundtland-Kommission schon 1987 formuliert hat: «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.»
Durch einen verschwenderischen Umgang mit unbebauter Landschaft, der nicht notwendige Bebauung, Versiegelung und Zersiedlung wird der Lebensraum für Tiere und Pflanzen weiter eingeschränkt. Landschaft und Naturräume werden auf unnatürliche Weise zerteilt, auch lokal nimmt die Biodiversität ab. Auf Dauer schädigt dies nicht nur ländliche Räume, sondern das Land insgesamt.
Deshalb ist ein radikaler Kurswechsel in der kommunalen Flächen-Politik notwendig. Neubaugebiete in Außenbereichen sollten in wachstumsschwachen Regionen grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden. Flächenschutz soll gesetzlich verankert werden. Eine strikte Begrenzung von Neubaugebieten über die Landesplanung erscheint deshalb als zwingend.
Solche Grundsatzbeschlüsse sind aber in der kommunalen Politik sehr konfliktträchtig, denn es ist eine radikale Abkehr von Erfolgsrezepten der Vergangenheit. Jahrzehntelang konnten Politiker mit der Ausweisung von Neubaugebieten Wahlen gewinnen.
8 Partizipation und MIT-KOMM-Strategie
Partizipative Entwicklungsplanung ist möglich und Erfolg versprechend. Offenheit und Transparenz sind wesentlich. Wenn Politik und Verwaltung mutig sind, sind auch die Bürger mutig.
Die vitale Kommune braucht unternehmungslustige Kinder und Jugendliche, sie braucht Erwachsene, die Lust haben, politisch mitzumischen, sich gesellschaftlich einzumischen, die Neues ausprobieren und Bewährtes bewahren. Sie braucht aktive Vereine, eine funktionierende Nahversorgung, bei der auch kleine Geschäfte und Marktstände eine Chance gegen Discounter und Filialisten haben, sie braucht eine vielfältige lokale Kultur, die nicht «eventisiert», sondern authentisch ist.
Eine vitale Stadt braucht aber auch eine Verwaltung, die flexibel ist, die Mut zu unkonventionellen Ideen hat, die auf Partizipation und Kooperation mit den Bürgern baut, und sie braucht Politiker, die das Wohl der Einwohner über Parteiräson und eingefahrene Rituale stellen. So gehören zum Paradigma der vitalen Kommune Zukunftsfähigkeit, Innovationskraft, Entwicklungsfähigkeit, die konsequente Nutzung der Ressourcen, Wirtschaftlichkeit, Bürgernähe, Identität und Authentizität.
Das kann nicht von oben verordnet werden. «Was alle angeht, können nur alle lösen», hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben. Das gilt im demografischen Wandel in besonderem Maße.
Wer Zukunft sichern will, braucht Commitment, also Zustimmung und Vertrauen. Direkte Partizipation ist unverzichtbar. Das Motto heißt: Einmischen und Mitmischen. Notwendig sind Offenheit, Fairness, Transparenz, Kommunikation. Die Bürgerinnen und Bürger sollen aber nicht in erster Linie über Verzicht bestimmen, sondern über künftige Schwerpunkte, Profile, Stärken (POSITIV-Ansatz).
Als Instrumente bieten sich die M-I-T-Komm-Strategie und die F-I-T-Komm-Strategie an. Die M-I-T-Komm-Strategie setzt auf Motivation, Information und Kommunikation, die zu Veränderungen in den lokalen Politikschwerpunkten führen sollen.
Zukunftswerkstätten, Ideenwerkstätten, World-Cafés, Planungszellen sind ein geeigneter Rahmen, um zu informieren, zu kommunizieren, zu verhandeln, zu motivieren, zu mobilisieren und um Commitment zu erreichen.
Die F-I-T-Komm-Strategie umfasst Fokussierung, Information, Transformation und Kommunikation, um Gemeinden fit und überlebensfähig zu machen. Bürger müssen allerdings einen Mehrwert für sich erkennen, bevor sie bereit sind zu direkter politischer Beteiligung. Um dies zu erreichen, müssen sie nicht nur rational angesprochen werden, sondern auch emotional.
Wer emotionalisiert, kann die Menschen besser erreichen. Partizipationsprojekte müssen klar strukturiert und zeitlich begrenzt sein. Sie sollen zielorientiert aufgebaut und alltagsnah sein.
B. Wissenschaftliche ERkenntnisse
1 Alter(n)sbilder
Die Wissenschaft in den USA, Europa und Deutschland hat sich intensiv mit dem Thema Altersbilder befasst und betont die Bedeutung von positiven Altersbildern für die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in verschiedenen Lebensbereichen.
Dazu gehören
- Altersbilder
- Stereotypen gegenüber älteren Menschen
- Wahrnehmung von Altern
- Gesundheit und Altern
- Arbeitswelt und Altern
- Soziale Teilhabe im Alter
- Sexualität und Alter
- Positive Altersbilder
- Werbung und Altersbilder
- Staatliche Kommunikation und Altersbilder
Studien aus diesen Regionen zeigen, dass negative Altersbilder, die Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen enthalten, zu einer Benachteiligung älterer Menschen in Bereichen wie Gesundheit, Arbeitswelt, soziale Teilhabe und Sexualität führen können. Diese Vorurteile können zu Diskriminierung, Ausgrenzung, unzureichender medizinischer Versorgung, Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz und sozialer Isolation führen, was sich negativ auf die Gesundheit und Lebensqualität von älteren Menschen auswirken kann.
2 Stereotypien überwinden
Es ist an der Zeit, Stereotypen und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen entgegenzutreten und eine inklusive Gesellschaft zu fördern, in der Menschen jeden Alters respektiert und geschätzt werden. Indem wir unsere Denkmuster und Überzeugungen über das Altern hinterfragen und positive Altersbilder fördern, können wir eine gerechtere und integrativere Zukunft schaffen.
Stereotypen sind Bilder in unseren Köpfen, die Vorstellungen und Erwartungen über Gruppenmitglieder, wie beispielsweise „die Alten“, beinhalten. Sie erfüllen wichtige Funktionen in unserem Alltag, da sie uns helfen, unsere komplexe soziale Umwelt in einfache Strukturen zu bringen. Aber sie sind oft falsch und ungerecht.
Stereotype beinhalten Vorstellungen und Erwartungen, die sich im Kopf eines jeden Wahrnehmenden befinden. Diese Vorstellungen führen in unserer Gesellschaft zu gemeinsamen Auffassungen über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern, so auch über „die Alten“.
Hier sind 16 wichtige Punkte zum Thema Stereotypen und Altersbilder:
- Stereotypen sind Vorstellungen und Erwartungen, die sich im Kopf jedes Wahrnehmenden befinden und zu gemeinsamen Auffassungen über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern, wie „die Alten“, führen.
- Stereotypen ermöglichen eine schnelle Verarbeitung neuer Eindrücke, da sie auf Vorwissen und Erwartungen basieren.
- Sie dienen auch als Entscheidungshilfe in überraschenden Situationen, da sie uns ermöglichen, schnell zu handeln.
- Stereotypen unterscheiden sich von Vorurteilen, da sie sowohl positive als auch negative Eigenschaften einschließen.
- Vorurteile bestehen eher aus einseitig negativen Voreingenommenheiten gegenüber bestimmten Menschen.
- Zahlreiche Studien zeigen, dass die Aktivierung von Stereotypen ein unbewusster Prozess ist, der automatisch abläuft, sobald wir einer Person oder Gruppe begegnen.
- Die automatische Aktivierung von Altersstereotypen erklärt auch negative Eignungsurteile über ältere Arbeitnehmer im Rahmen der Personalauswahl, die oft im Gegensatz zu ihrer wirklichen Leistungsfähigkeit und Berufserfahrung stehen.
- Studien haben gezeigt, dass alte Menschen oft verzerrt wahrgenommen werden, indem ihre negativen Eigenschaften besser erinnert werden als die positiven.
- Dieses Ergebnis zeigt, dass die Erinnerung durch das Alter beeinflusst wird und mehr negative als positive Eigenschaften alten Menschen zugeschrieben werden.
- Unternehmen sollten die tatsächlichen Fähigkeiten und Qualifikationen von Jobbewerbern berücksichtigen und nicht das Alter.
- Im Berufsleben werden ältere Mitarbeiter oft pauschal als „unflexibel“ beurteilt, was zu Vorurteilen führt, dass sie Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Technologien haben oder nicht willig zur Weiterbildung sind.
- Diese Vorverurteilungen sind jedoch falsch und führen zu Diskriminierung älterer Arbeitnehmer.
- Es ist wichtig, dass Unternehmen auf eine objektive Bewertung der Fähigkeiten und Qualifikationen von Mitarbeitern achten, unabhängig von deren Alter.
- Die Bekämpfung von Stereotypen und Vorurteilen ist besonders wichtig, um Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu vermeiden.
- Es ist Aufgabe der Gerontologie und anderer relevanter Akteure, aktiv gegen Stereotypen und Altersbilder anzugehen und Bewusstsein für die Bedeutung von Alter und Altern in unserer Gesellschaft zu schaffen.
- Dazu gehören Maßnahmen wie Sensibilisierungskampagnen, Bildungsprogramme und die Förderung von intergenerativen Aktivitäten, um Vorurteile abzubauen und ein positives Bild des Alterns zu fördern.
Setzen wir an die Stelle von Stereotypen und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen objektive Erkenntnisse, um inklusive Gesellschaft zu fördern, in der Menschen jeden Alters respektiert und geschätzt werden.
3 Positive Altersbilder
Es wird betont, dass positive Altersbilder, die die Vielfalt und das Potenzial des Alterns betonen und ältere Menschen als aktive, kompetente und wertvolle Mitglieder der Gesellschaft darstellen, zu einer besseren Gesundheit und Lebensqualität im Alter beitragen können. Solche positiven Altersbilder können das Selbstbild und die Selbstwirksamkeit älterer Menschen stärken und zu einem aktiveren und gesünderen Altern beitragen.
4 Die Kommunikation muss sich ändern
In Bezug auf die Werbung und staatliche Kommunikation wird diskutiert, dass auch hier positive Altersbilder gefördert werden sollten, um negative Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen zu vermeiden. Werbung kann dazu beitragen, positive Altersbilder zu vermitteln, indem sie ältere Menschen in verschiedenen Rollen und Lebenssituationen zeigt und ihre Vielfalt und Ressourcen betont. Eine staatliche Kommunikation kann ebenfalls dazu beitragen, positive Altersbilder zu fördern und ältere Menschen als aktive Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, die wertvolle Beiträge zur Gesellschaft leisten können.
Es wird betont, dass die Förderung von positiven Altersbildern in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, einschließlich Werbung und staatlicher Kommunikation, ein wichtiger Schritt ist, um negative Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen zu überwinden und eine inklusive und altersgerechte Gesellschaft zu fördern. Dies erfordert ein Bewusstsein für Altersbilder und die Förderung von positiven Altersbildern in der Gesellschaft, um das Wohl älterer Menschen zu verbessern und ihr Potenzial zu nutzen.
Armin König
Altersbilder: Wie Veränderung gelingen kann
Die Wissenschaft in den USA, Europa und Deutschland hat sich intensiv mit dem Thema Altersbilder befasst und betont die Bedeutung von positiven Altersbildern für die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in verschiedenen Lebensbereichen.
Dazu gehören
- Altersbilder
- Stereotypen gegenüber älteren Menschen
- Wahrnehmung von Altern
- Gesundheit und Altern
- Arbeitswelt und Altern
- Soziale Teilhabe im Alter
- Sexualität und Alter
- Positive Altersbilder
- Werbung und Altersbilder
- Staatliche Kommunikation und Altersbilder
Studien aus diesen Regionen zeigen, dass negative Altersbilder, die Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen enthalten, zu einer Benachteiligung älterer Menschen in Bereichen wie Gesundheit, Arbeitswelt, soziale Teilhabe und Sexualität führen können. Diese Vorurteile können zu Diskriminierung, Ausgrenzung, unzureichender medizinischer Versorgung, Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz und sozialer Isolation führen, was sich negativ auf die Gesundheit und Lebensqualität von älteren Menschen auswirken kann.
Es ist an der Zeit, Stereotypen und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen entgegenzutreten und eine inklusive Gesellschaft zu fördern, in der Menschen jeden Alters respektiert und geschätzt werden. Indem wir unsere Denkmuster und Überzeugungen über das Altern hinterfragen und positive Altersbilder fördern, können wir eine gerechtere und integrativere Zukunft schaffen.
Stereotypen sind Bilder in unseren Köpfen, die Vorstellungen und Erwartungen über Gruppenmitglieder, wie beispielsweise „die Alten“, beinhalten. Sie erfüllen wichtige Funktionen in unserem Alltag, da sie uns helfen, unsere komplexe soziale Umwelt in einfache Strukturen zu bringen. Aber sie sind oft falsch und ungerecht.
Stereotype beinhalten Vorstellungen und Erwartungen, die sich im Kopf eines jeden Wahrnehmenden befinden. Diese Vorstellungen führen in unserer Gesellschaft zu gemeinsamen Auffassungen über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern, so auch über „die Alten“.
Hier sind 16 wichtige Punkte zum Thema Stereotypen und Altersbilder:
- Stereotypen sind Vorstellungen und Erwartungen, die sich im Kopf jedes Wahrnehmenden befinden und zu gemeinsamen Auffassungen über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern, wie „die Alten“, führen.
- Stereotypen ermöglichen eine schnelle Verarbeitung neuer Eindrücke, da sie auf Vorwissen und Erwartungen basieren.
- Sie dienen auch als Entscheidungshilfe in überraschenden Situationen, da sie uns ermöglichen, schnell zu handeln.
- Stereotypen unterscheiden sich von Vorurteilen, da sie sowohl positive als auch negative Eigenschaften einschließen.
- Vorurteile bestehen eher aus einseitig negativen Voreingenommenheiten gegenüber bestimmten Menschen.
- Zahlreiche Studien zeigen, dass die Aktivierung von Stereotypen ein unbewusster Prozess ist, der automatisch abläuft, sobald wir einer Person oder Gruppe begegnen.
- Die automatische Aktivierung von Altersstereotypen erklärt auch negative Eignungsurteile über ältere Arbeitnehmer im Rahmen der Personalauswahl, die oft im Gegensatz zu ihrer wirklichen Leistungsfähigkeit und Berufserfahrung stehen.
- Studien haben gezeigt, dass alte Menschen oft verzerrt wahrgenommen werden, indem ihre negativen Eigenschaften besser erinnert werden als die positiven.
- Dieses Ergebnis zeigt, dass die Erinnerung durch das Alter beeinflusst wird und mehr negative als positive Eigenschaften alten Menschen zugeschrieben werden.
- Unternehmen sollten die tatsächlichen Fähigkeiten und Qualifikationen von Jobbewerbern berücksichtigen und nicht das Alter.
- Im Berufsleben werden ältere Mitarbeiter oft pauschal als „unflexibel“ beurteilt, was zu Vorurteilen führt, dass sie Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Technologien haben oder nicht willig zur Weiterbildung sind.
- Diese Vorverurteilungen sind jedoch falsch und führen zu Diskriminierung älterer Arbeitnehmer.
- Es ist wichtig, dass Unternehmen auf eine objektive Bewertung der Fähigkeiten und Qualifikationen von Mitarbeitern achten, unabhängig von deren Alter.
- Die Bekämpfung von Stereotypen und Vorurteilen ist besonders wichtig, um Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu vermeiden.
- Es ist Aufgabe der Gerontologie und anderer relevanter Akteure, aktiv gegen Stereotypen und Altersbilder anzugehen und Bewusstsein für die Bedeutung von Alter und Altern in unserer Gesellschaft zu schaffen.
- Dazu gehören Maßnahmen wie Sensibilisierungskampagnen, Bildungsprogramme und die Förderung von intergenerativen Aktivitäten, um Vorurteile abzubauen und ein positives Bild des Alterns zu fördern.
Setzen wir an die Stelle von Stereotypen und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen objektive Erkenntnisse, um inklusive Gesellschaft zu fördern, in der Menschen jeden Alters respektiert und geschätzt werden.
Es wird betont, dass positive Altersbilder, die die Vielfalt und das Potenzial des Alterns betonen und ältere Menschen als aktive, kompetente und wertvolle Mitglieder der Gesellschaft darstellen, zu einer besseren Gesundheit und Lebensqualität im Alter beitragen können. Solche positiven Altersbilder können das Selbstbild und die Selbstwirksamkeit älterer Menschen stärken und zu einem aktiveren und gesünderen Altern beitragen.
In Bezug auf die Werbung und staatliche Kommunikation wird diskutiert, dass auch hier positive Altersbilder gefördert werden sollten, um negative Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen zu vermeiden. Werbung kann dazu beitragen, positive Altersbilder zu vermitteln, indem sie ältere Menschen in verschiedenen Rollen und Lebenssituationen zeigt und ihre Vielfalt und Ressourcen betont. Eine staatliche Kommunikation kann ebenfalls dazu beitragen, positive Altersbilder zu fördern und ältere Menschen als aktive Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, die wertvolle Beiträge zur Gesellschaft leisten können.
Es wird betont, dass die Förderung von positiven Altersbildern in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, einschließlich Werbung und staatlicher Kommunikation, ein wichtiger Schritt ist, um negative Stereotypen und Vorurteile gegenüber älteren Menschen zu überwinden und eine inklusive und altersgerechte Gesellschaft zu fördern. Dies erfordert ein Bewusstsein für Altersbilder und die Förderung von positiven Altersbildern in der Gesellschaft, um das Wohl älterer Menschen zu verbessern und ihr Potenzial zu nutzen.
Armin König
15 Thesen zu Altersbildern
- Altersbilder sind kulturell und gesellschaftlich geprägt.
- Negative Altersbilder können zu Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen führen.
- Altersbilder können sich im Laufe der Geschichte und mit dem sozialen Wandel verändern.
- Altersbilder beeinflussen die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitswelt, soziale Teilhabe und Sexualität.
- Positive Altersbilder können zu einer besseren Gesundheit und Lebensqualität im Alter beitragen.
- Negative Altersbilder können zu Selbststigmatisierung und einem geringen Selbstwertgefühl bei älteren Menschen führen.
- Altersbilder beeinflussen auch die Einstellungen und das Verhalten von jüngeren Menschen gegenüber älteren Menschen.
- Altersbilder können Geschlechterstereotype enthalten, die die Rollen und Erwartungen von Männern und Frauen im Alter beeinflussen.
- Altersbilder können auch von individuellen Erfahrungen und Persönlichkeitsmerkmalen abhängen.
- Altersbilder können in den Medien, der Werbung und der Populärkultur dargestellt und verbreitet werden.
- Positive Altersbilder können die soziale Integration und Teilhabe älterer Menschen fördern.
- Negative Altersbilder können zu sozialer Isolation und Diskriminierung älterer Menschen führen.
- Altersbilder können auch interkulturelle Unterschiede aufweisen und von kulturellen Normen und Werten beeinflusst werden.
- Altersbilder können sich im Laufe des Lebens verändern und von persönlichen Erfahrungen, Bildung und sozialem Umfeld beeinflusst werden.
- Eine positive Veränderung von Altersbildern kann durch Aufklärung, Bildung, intergenerationale Begegnungen und eine vielfältige Darstellung von Altern und älteren Menschen in der Gesellschaft gefördert werden.
- Altersbilder sind kulturell und gesellschaftlich geprägt: Altersbilder, also Vorstellungen und Meinungen über das Altern und ältere Menschen, werden durch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse geprägt. Verschiedene Kulturen und Gesellschaften haben unterschiedliche Perspektiven auf das Altern, die von kulturellen Normen, Werten und Traditionen beeinflusst werden.
- Negative Altersbilder können zu Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber älteren Menschen führen: Negative Altersbilder, wie beispielsweise Vorstellungen von älteren Menschen als hilflos oder belastend, können zu Diskriminierung, Vorurteilen und Altersdiskriminierung führen. Das kann ältere Menschen in vielen Bereichen des Lebens, wie beispielsweise im Arbeitsmarkt oder im Zugang zu Gesundheitsversorgung, benachteiligen.
- Altersbilder können sich im Laufe der Geschichte und mit dem sozialen Wandel verändern: Altersbilder sind nicht statisch, sondern unterliegen Veränderungen im Laufe der Zeit und mit dem sozialen Wandel. Historische und gesellschaftliche Veränderungen können die Vorstellungen über das Altern beeinflussen und zu einer Veränderung von Altersbildern führen.
- Altersbilder beeinflussen die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitswelt, soziale Teilhabe und Sexualität: Altersbilder können die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in verschiedenen Bereichen des Lebens beeinflussen. Das kann sich auf die Gesundheitsversorgung, den Arbeitsmarkt, die soziale Teilhabe und die Wahrnehmung von Sexualität im Alter auswirken.
- Positive Altersbilder, wie beispielsweise Vorstellungen von älteren Menschen als erfahren, weise oder aktiv, können zu einer besseren Gesundheit und Lebensqualität im Alter beitragen. Eine positive Sichtweise auf das Alter kann ältere Menschen dazu ermutigen, ein aktives und erfülltes Leben zu führen.
- Negative Altersbilder können zu Selbststigmatisierung bei älteren Menschen führen, was bedeutet, dass sie diese negativen Vorstellungen über sich selbst übernehmen. Dies kann zu einem geringen Selbstwertgefühl, einem Gefühl der Nutzlosigkeit oder der Abwertung führen, was die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von älteren Menschen beeinträchtigen kann.
- Altersbilder beeinflussen auch die Einstellungen und das Verhalten von jüngeren Menschen gegenüber älteren Menschen: Wenn negative Altersbilder in der Gesellschaft vorherrschend sind, können junge Menschen Vorurteile oder Diskriminierung gegenüber älteren Menschen übernehmen oder internalisieren.
- Altersbilder können stereotype Rollenbilder und Geschlechterstereotype verstärken, zum Beispiel die Vorstellung von älteren Männern als stark und unabhängig, während ältere Frauen als schwach oder unselbstständig angesehen werden. Dies kann zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Wahrnehmung und Behandlung älterer Menschen führen.
- Altersbilder können die Selbstwahrnehmung und die Identitätsbildung im Alter beeinflussen. Ältere Menschen können sich selbst entsprechend den gängigen Altersbildern wahrnehmen und ihr Selbstkonzept anpassen. Positive Altersbilder können dazu beitragen, dass ältere Menschen eine positive Selbstwahrnehmung und eine stärkere Identität im Alter entwickeln.
- Altersbilder werden auch von kultureller Vielfalt geprägt. In verschiedenen Kulturen können unterschiedliche Vorstellungen und Meinungen über das Altern und ältere Menschen existieren. Kulturelle Faktoren wie Traditionen, Werte und religiöse Überzeugungen können die Altersbilder beeinflussen und zu unterschiedlichen Perspektiven auf das Alter führen.
- Medien, wie beispielsweise Filme, Fernsehsendungen und Werbung, spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Altersbildern. Medien können sowohl positive als auch negative Altersbilder verbreiten und damit die öffentliche Meinung und Einstellungen gegenüber älteren Menschen prägen.
- Altersbilder können auch die politische und soziale Teilhabe von älteren Menschen beeinflussen. Wenn ältere Menschen aufgrund von negativen Altersbildern als unwichtig oder irrelevant angesehen werden, kann dies ihre Beteiligung an politischen Prozessen und sozialen Aktivitäten einschränken.
- Altersbilder können auch die Gesundheitsversorgung älterer Menschen beeinflussen. Wenn ältere Menschen aufgrund von negativen Altersbildern als weniger wertvoll oder weniger lebenswert angesehen werden, kann dies zu einer unangemessenen Behandlung oder Vernachlässigung ihrer Gesundheitsbedürfnisse führen.
- Altersbilder können auch die Arbeitswelt und die Rentenpolitik beeinflussen. Wenn ältere Menschen aufgrund von negativen Altersbildern als weniger produktiv oder weniger fähig angesehen werden, kann dies zu Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz oder zu ungerechter Rentenpolitik führen.
- Eine positive Veränderung von Altersbildern ist möglich und wichtig: Es ist möglich und wichtig, eine positive Veränderung von Altersbildern anzustreben.
(nach Wurm, Berner, Tesch-Römer 2013)
Kritische Bemerkungen zum Wikipediaartikel Altersbilder
Dieser Wiki-Beitrag ist nämlich eine einzige Katastrophe.
Alter(n)sbilder werden längst nicht mehr als negative Altherren- und Altfrauenbilder gesehen. Sie sind auch nicht vorwiegend theologisch und historisch begründet, sondern in einem starken Wandel begriffen. Und das ist gut so. Dies wird durch Studien, den Altenbericht der Bundesregierung und internationale Konferenzen belegt. Davon kann ich hier nichts freststellen Die Defizite beginnen schon bei der Definition. Sie entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Der Aufbau entspricht ebenfalls nicht dem guten Standard. „Das Alter ist neben dem Geschlecht eine der zentralen sozialen und kulturellen Kategorien, über die bestimmte Rollen und Lebenserfahrungen definiert werden (Settersten & Mayer 1997). Der Lebenslauf ist formell in verschiedene Altersphasen gegliedert, so entscheidet zum Beispiel die gesetzliche Ruhestandsgrenze zu großen Teilen über den Austritt aus dem Erwerbsleben. Zugleich werden auch informell unterschiedliche Altersphasen unterschieden. Bestimmte Verhaltensweisen, bestimmte Ereignisse (wie die Geburt des ersten Kindes) und Transitionen (zum Beispiel Übergang in den Ruhestand) werden in einer Altersphase als normal erachtet, in anderen Altersphasen hingegen nicht. Mit jeder Lebensphase werden bestimmte Vorstellungen verbunden. Altersbilder umfassen dabei sowohl gesellschaftliche als auch individuelle Sichtweisen auf die Lebensphase Alter und den Prozess des Älterwerdens.“ (Wurm&Huxhold 2012) Das sollte die Basis sein. Und die ist schon mehr als zehn Jahre bekannt. Was „alte weiße Männer“, Udo Jürgens (dessen Lied ich sehr mag) und der „Wohlverdiente Ruhestand“ sowie der wissenschaftlich eher nicht so gut angesehene Miegel sollen, erschließt sich mir momentan nicht. Komplettrevision erscheint mit notwendig.
Armin König
Altersbilder – mehr als nur individuelle Vorstellungen und Meinungen
Altersbilder sind also nicht nur individuelle Vorstellungen und Meinungen, sondern sie haben auch gesellschaftliche Auswirkungen. Sie können die Wahrnehmung von Altern und älteren Menschen in verschiedenen Lebensbereichen beeinflussen und zu Diskriminierung, Vorurteilen oder Selbststigmatisierung führen. Daher ist es wichtig, sich bewusst mit Altersbildern auseinanderzusetzen und sie kritisch zu reflektieren.
Es gibt jedoch auch positive Altersbilder, die zu einer besseren Gesundheit und Lebensqualität im Alter beitragen können. Eine positive Sichtweise auf das Alter kann ältere Menschen dazu ermutigen, aktiv und erfüllt zu leben und ihr Potenzial im Alter zu nutzen.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass Altersbilder kulturell und gesellschaftlich geprägt sind und sich im Laufe der Zeit und mit dem sozialen Wandel verändern können. Historische und gesellschaftliche Veränderungen können die Vorstellungen über das Altern beeinflussen und zu einer Veränderung von Altersbildern führen.
Des Weiteren können Altersbilder auch die Einstellungen und das Verhalten von jüngeren Menschen gegenüber älteren Menschen beeinflussen. Wenn negative Altersbilder in der Gesellschaft vorherrschend sind, können junge Menschen Vorurteile oder Diskriminierung gegenüber älteren Menschen übernehmen oder internalisieren. Daher ist es wichtig, junge Menschen frühzeitig für eine positive Sichtweise auf das Alter zu sensibilisieren und Vorurteilen entgegenzuwirken.
Es ist auch bekannt, dass Altersbilder von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund und regionalem Kontext beeinflusst werden können. Unterschiedliche Sozialisationserfahrungen und Erfahrungen mit dem eigenen Älterwerden können zu Unterschieden in den Altersbildern zwischen verschiedenen Altersgruppen führen. Geschlechtsunterschiede können aus unterschiedlichen Rollenerwartungen an Männer und Frauen resultieren, während der Bildungshintergrund auch eine Rolle spielen kann.
Es ist zu beachten, dass negative Altersbilder zu Selbststigmatisierung bei älteren Menschen führen können, was bedeutet, dass sie diese negativen Vorstellungen über sich selbst übernehmen. Dies kann zu einem geringen Selbstwertgefühl, einem Gefühl der Nutzlosigkeit oder der Abwertung führen, was die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von älteren Menschen beeinträchtigen kann. Es ist daher wichtig, ältere Menschen in ihrer Vielfalt und Individualität zu sehen und negative Altersbilder zu hinterfragen und abzubauen.
Insgesamt zeigen der Stand der Forschung und die Betrachtung von Altersbildern, dass diese eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen. Sie prägen Vorstellungen und Meinungen über das Altern und ältere Menschen, beeinflussen die Wahrnehmung in verschiedenen Lebensbereichen und können zu Diskriminierung, Vorurteilen oder Selbststigmatisierung führen. Daher ist es wichtig, sich bewusst mit Altersbildern auseinanderzusetzen, Vorurteile zu hinterfragen und eine positive Sichtweise auf das Alter zu fördern. Eine inklusive und wertschätzende Haltung gegenüber älteren Menschen kann dazu beitragen,
Armin König
Verantwortung der Kommunen in einer alternden Gesellschaft
In meiner Dissertation »Bürger und Demographie« (Gollenstein) habe ich schon 2011 darauf hingewiesen, dass Kommunen in einer alternden Gesellschaft eine Verantwortung tragen und sich intensiv mit der Frage der Alterung auseinandersetzen müssen, um soziale Verwerfungen und Legitimationsprobleme zu verhindern. Ottensmeier/Rothen plädieren dafür, dass kommunale Altenplanung und Seniorenpolitik nicht nur qualitativ aufgewertet, sondern auch verbreitert werden sollten. Sie betonen, dass überkommene Altersbilder überwunden werden müssen, professionelle Dienste und Sozialnetzwerke belebt und koordiniert und zahlreiche Politikfelder alterskompatibel gestaltet werden sollten. Sie sprechen von einem „anspruchsvollen Projekt einer integrierten Finanz-, Städtebau-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik“.
Die Aussage, dass kommunale Altenplanung nicht nur qualitativ aufgewertet, sondern auch verbreitert werden muss, bedeutet, dass es nicht ausreicht, lediglich die Qualität der Altenplanung zu verbessern, sondern dass auch der Umfang und die Vielfalt der Maßnahmen erweitert werden müssen. Kommunen sollten nicht nur auf die Bedürfnisse von älteren Menschen als Rentner und „altes Eisen“ eingehen, sondern ein breiteres Spektrum von älteren Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und mit verschiedenen Bedürfnissen berücksichtigen. Es ist wichtig, dass kommunale Altenplanung nicht nur auf Pflege und Versorgung älterer Menschen fokussiert, sondern auch Aspekte wie Partizipation, Inklusion, Bildung, Gesundheit und städtebauliche Gestaltung mit einbezieht.
Um dies in Städten und Gemeinden umzusetzen, könnten folgende Maßnahmen in Betracht gezogen werden:
- Förderung von sozialen Netzwerken und Gemeinschaftsaktivitäten für ältere Menschen, um soziale Isolation zu verhindern und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Dies könnte die Einrichtung von Begegnungsstätten, Seniorentreffpunkten, intergenerationalen Projekten oder kulturellen Angeboten beinhalten.
- Förderung von altersgerechtem Wohnen und städtebaulicher Gestaltung, um den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden. Dazu gehören beispielsweise barrierefreie Wohnungen, barrierefreie Verkehrswege, gut erreichbare öffentliche Verkehrsmittel, Grünflächen und Freizeitangebote.
- Förderung von Bildungsangeboten und lebenslangem Lernen für ältere Menschen, um ihre geistige Aktivität und Teilhabe am Arbeitsleben oder Ehrenamt zu unterstützen.
- Förderung von Gesundheitsförderung und Prävention, um die Gesundheit älterer Menschen zu erhalten und zu fördern. Dies könnte die Einrichtung von Gesundheitszentren, Sport- und Bewegungsangeboten oder Präventionsprogrammen beinhalten.
- Einrichtung von kommunalen Beratungsstellen und Anlaufstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen, um Informationen, Unterstützung und Hilfe bei verschiedenen Themen wie Pflege, Wohnen, Finanzen, rechtlichen Angelegenheiten und sozialen Fragen anzubieten.
Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, überkommene Altersbilder zu überwinden und ein breiteres Verständnis von älteren Menschen als aktive und engagierte Mitglieder der Gesellschaft zu fördern. Dazu muss aber auch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit beitragen. Social-Media-Aktionen, Bilder-Ausstellungen, Infoveranstaltungen, Publikationen, Reels, Instagram-posts und Talk-Runden. wie sie in Illingen von Barbara Wackernagel-Jacobs und mir angeboten werden, können dazu beitragen, neue Alternsbilder zu kreieren.
Die Umsetzung von kommunaler Altenplanung und Seniorenpolitik erfordert sowohl finanzielle Ressourcen als auch personelle Kapazitäten seitens der Verwaltungen sowie die Beteiligung der Bürgerschaft und die Koordination von professionellen Diensten und Sozialnetzwerken. Hier sind einige Argumente, die in Stadträten zur Begründung dieser Notwendigkeit vorgebracht werden könnten:
- Demografischer Wandel: Der demografische Wandel ist eine Realität, die auch vor den Kommunen nicht haltmacht. Mit einer alternden Bevölkerung stehen Kommunen vor neuen Herausforderungen, die eine angemessene Altenplanung und Seniorenpolitik erfordern. Es ist wichtig, dass Kommunen sich auf diese Veränderungen einstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden.
- Gesellschaftliche Teilhabe: Ältere Menschen haben das Recht, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Altenplanung und Seniorenpolitik können dazu beitragen, die soziale Teilhabe älterer Menschen zu fördern und ihre Integration in das Gemeinwesen zu unterstützen. Dies trägt zur Förderung von sozialem Zusammenhalt und zur Vermeidung von sozialer Isolation bei.
- Prävention und Versorgung: Eine gut organisierte Altenplanung und Seniorenpolitik kann präventive Maßnahmen fördern, um die Gesundheit älterer Menschen zu erhalten und die Versorgung im Bedarfsfall sicherzustellen. Dies kann langfristig auch Kosten in anderen Bereichen, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen, reduzieren.
- Bedarfsgerechte Angebote: Ältere Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Anliegen. Altenplanung und Seniorenpolitik können bedarfsgerechte Angebote in den Bereichen Wohnen, Pflege, Mobilität, Bildung und Freizeitgestaltung schaffen, um den individuellen Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden.
- Bürgerbeteiligung: Die Beteiligung der Bürgerschaft, insbesondere älterer Menschen, an der Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Altenplanung und Seniorenpolitik ist wichtig, um die Bedürfnisse und Perspektiven der Zielgruppe angemessen zu berücksichtigen. Dies fördert auch das bürgerschaftliche Engagement und die Identifikation älterer Menschen mit ihrer Kommune.
Es ist wichtig, diese Argumente fundiert mit Daten, Forschungsergebnissen und Best Practice-Beispielen zu untermauern, um die Bedeutung einer umfassenden Altenplanung und Seniorenpolitik in den Stadträten zu begründen und Unterstützung für entsprechende Maßnahmen zu gewinnen.
Auf der politischen Agenda sehen die Wissenschaftler „das anspruchsvolle Projekt einer integrierten Finanz-, Städtebau-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik“. Das ist natürlich ein Riesenfeld. Hier sind 22 Punkte mit kurzen Erläuterungen.
1. Finanzpolitik: Eine integrierte Finanzpolitik beinhaltet die Bereitstellung ausreichender finanzieller Ressourcen für die Umsetzung von Altenplanung und Seniorenpolitik, einschließlich der Finanzierung von Programmen und Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse älterer Menschen eingehen. Das klingt zunächst unproblematisch und positiv, kann aber dazu führen, dass Mittel umgeschichtet werden. Hier können die Kommunen die Ressourcen nicht allein zur Verfügung stellen. Gefragt sind auch Bund und Länder.
2. Städtebau: Eine alterskompatible Städtebau-Politik beinhaltet die Gestaltung von städtischen Räumen und Infrastrukturen, die älteren Menschen ein sicheres, barrierefreies und zugängliches Umfeld bieten, in dem sie aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Diese Räume müssen anders aussehen als bisher. Dazu gehört eine softere Verkehrspolitik – weniger Blech, weniger Autos, weniger Geschwindigkeit, mehr Sicherheit, mehr Fußgängerzonen, mehr Fahrradstreifen und umfassende Barrierefreiheit. Beim Städtebau sind integrierte Quartiere mit Nachhaltigkeitsfaktor und kooperativen Generationenbeziehungen gefragt.
3. Bildungspolitik: Eine alterskompatible Bildungspolitik umfasst die Förderung von lebenslangem Lernen für ältere Menschen, um ihre kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu erhalten und zu stärken, sowie die Bereitstellung von Bildungsangeboten, die auf ihre Bedürfnisse und Interessen zugeschnitten sind.
4. Gesundheitspolitik: Eine integrierte Gesundheitspolitik für ältere Menschen beinhaltet die Bereitstellung von altersgerechten Gesundheitsdienstleistungen, die Förderung von Prävention und Gesundheitsförderung, die Unterstützung bei der Bewältigung von altersbedingten gesundheitlichen Herausforderungen sowie die Förderung von Pflege- und Betreuungsangeboten.
5. Sozialpolitik: Eine integrierte Sozialpolitik für ältere Menschen beinhaltet die Förderung von sozialer Teilhabe, die Unterstützung bei der Bewältigung sozialer Herausforderungen im Alter, die Förderung von sozialen Netzwerken und sozialer Unterstützung sowie die Schaffung von inklusiven Gemeinschaften, die ältere Menschen unterstützen und einbeziehen.
6. Mobilitätspolitik: Eine alterskompatible Mobilitätspolitik beinhaltet die Förderung von barrierefreien Verkehrssystemen und Verkehrsmitteln, die Förderung von Mobilitätsangeboten für ältere Menschen, um ihre Selbstständigkeit und Teilhabe zu unterstützen, sowie die Gestaltung von öffentlichen Räumen, die älteren Menschen eine sichere und komfortable Mobilität ermöglichen.
7. Wohnungs- und Infrastrukturpolitik: Eine integrierte Wohnungs- und Infrastrukturpolitik beinhaltet die Schaffung von altersgerechten Wohnungen und Wohnumgebungen, die Förderung von Wohnraumanpassungen und barrierefreien Infrastrukturen sowie die Bereitstellung von Wohn- und Infrastrukturangeboten, die den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden.
8. Kommunikations- und Technologiepolitik: Eine alterskompatible Kommunikations- und Technologiepolitik beinhaltet die Förderung von digitaler Inklusion für ältere Menschen, die Bereitstellung von altersgerechten Kommunikations- und Technologieangeboten sowie die Förderung von digitalen Lösungen, die älteren Menschen bei der Bewältigung des Alltags und der sozialen Teilhabe unterstützen.
9. Freizeit- und Kulturpolitik: Eine integrierte Freizeit- und Kulturpolitik beinhaltet die Förderung von vielfältigen Freizeit- und Kulturangeboten, die älteren Menschen ermöglichen, ihre Interessen und Hobbys weiterhin auszuüben, soziale Kontakte zu pflegen und kulturelle Teilhabe zu erleben.
10. Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik: Eine alterskompatible Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik beinhaltet die Förderung von Chancen für ältere Menschen, länger im Arbeitsmarkt zu bleiben, die Bekämpfung von Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz, die Schaffung von altersgerechten Arbeitsbedingungen und die Unterstützung bei der beruflichen Weiterbildung und Umschulung im Alter.
11. Pflegepolitik: Eine integrierte Pflegepolitik beinhaltet die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Pflege- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, die Unterstützung von pflegenden Angehörigen, die Förderung von alternativen Wohn- und Pflegeformen sowie die Schaffung von Pflegeinfrastrukturen, die den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden.
12. Präventionspolitik: Eine Präventionspolitik im Alter beinhaltet die Förderung von Präventionsmaßnahmen, die darauf abzielen, gesundheitliche Risiken im Alter zu reduzieren, die Förderung von gesundheitsbewusstem Verhalten und die Schaffung von Umgebungen, die die Gesundheit älterer Menschen unterstützen.
13. Generationenpolitik: Eine integrierte Generationenpolitik beinhaltet die Förderung von intergenerationalen Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Generationen, die Schaffung von Angeboten, die den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen jungen und älteren Menschen fördern, sowie die Schaffung von inklusiven Gemeinschaften, die Generationen verbinden.
14. Rechtspolitik: Eine alterskompatible Rechtspolitik beinhaltet die Überprüfung und Anpassung von rechtlichen Rahmenbedingungen, um die Rechte und Interessen älterer Menschen zu schützen, die Bekämpfung von Altersdiskriminierung und die Förderung von rechtlicher Sicherheit und Gerechtigkeit im Alter.
15. Genderpolitik: Eine integrierte Genderpolitik im Alter beinhaltet die Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Unterschieden und Bedürfnissen älterer Menschen, die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und die Schaffung von Angeboten, die den unterschiedlichen Lebenslagen von älteren Frauen und Männern gerecht werden.
16. Migrationspolitik: Eine alterskompatible Migrationspolitik beinhaltet die Berücksichtigung von kulturellen und sprachlichen Unterschieden älterer Menschen mit Migrationshintergrund, die Förderung von kultureller Vielfalt und interkulturellem Austausch im Alter sowie die Schaffung von Angeboten, die die Integration älterer Menschen mit Migrationshintergrund unterstützen.
17. Ethik und Menschenrechte: Eine integrierte Ethik- und Menschenrechtspolitik beinhaltet die Förderung von ethischen Grundsätzen und Menschenrechten im Umgang mit älteren Menschen, die Achtung ihrer Autonomie und Würde, sowie die Bekämpfung von Misshandlung, Vernachlässigung und Ausgrenzung im Alter.
18. Technologiepolitik: Eine alterskompatible Technologiepolitik beinhaltet die Förderung von technologischer Innovation, die den Bedürfnissen und Fähigkeiten älterer Menschen gerecht wird, die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Technologien und die Unterstützung bei der Nutzung von Technologien zur Verbesserung von Lebensqualität und sozialer Teilhabe im Alter.
19. Umweltpolitik: Eine integrierte Umweltpolitik beinhaltet die Förderung von Umweltbewusstsein und nachhaltigem Handeln im Alter, die Schaffung von altersgerechten Umgebungen, die den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden, sowie die Bekämpfung von Umweltbelastungen, die die Gesundheit älterer Menschen beeinträchtigen können.
20. Wohnungs- und Infrastrukturpolitik: Eine alterskompatible Wohnungs- und Infrastrukturpolitik beinhaltet die Schaffung von barrierefreien Wohnungen und öffentlichen Räumen, die Förderung von alternativen Wohnformen, die den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden, sowie die Bereitstellung von altersgerechter Infrastruktur wie Verkehrsanbindungen, Gesundheitsdienstleistungen und sozialen Einrichtungen.
21. Partizipationspolitik: Eine integrierte Partizipationspolitik beinhaltet die Förderung von Teilhabe und Mitbestimmung älterer Menschen in gesellschaftlichen und politischen Prozessen, die Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten und Plattformen für ältere Menschen, sowie die Anerkennung ihrer Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen für die Gestaltung von Politik und Gesellschaft.
22. Intersektionale Politik: Eine intersektionale Politik im Alter beinhaltet die Berücksichtigung von Vielfachdiskriminierung älterer Menschen aufgrund von Geschlecht, Ethnizität, sozialem Status, sexueller Orientierung, Religion oder anderen Faktoren, die Integration einer intersektionalen Perspektive in alle politischen Maßnahmen und die Schaffung von inklusiven Angeboten, die die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erfahrungen älterer Menschen berücksichtigen.
Diese 22 Bullets verdeutlichen die Vielfalt und Komplexität einer integrierten Finanz-, Städtebau-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik im Hinblick auf die Bedürfnisse und Rechte älterer Menschen. Es erfordert ein umfassendes und ganzheitliches Herangehen, um eine altersgerechte und inklusive Gesellschaft zu schaffen.
Beispiel Städtebau:
Die Gestaltung von alterskompatiblen städtischen Räumen und Infrastrukturen ist ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung von zukunftsfähigen Städten. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze und Perspektiven aus den Bereichen Architektur, Städtebau und Wissenschaft:
- Architektur: Architekten können durch die Planung und Gestaltung von Gebäuden und öffentlichen Räumen dazu beitragen, dass diese barrierefrei, sicher und zugänglich für ältere Menschen sind. Dies kann beispielsweise durch den Einsatz von schwellenfreien Zugängen, breiteren Türen, guter Beleuchtung, rutschfesten Bodenbelägen und anderen gestalterischen Elementen realisiert werden, die den Bedürfnissen und Anforderungen älterer Menschen gerecht werden.
- Städtebau: Städteplaner können durch die Entwicklung von integrierten Quartieren und Stadtvierteln, die die Bedürfnisse von älteren Menschen berücksichtigen, eine alterskompatible Städtebau-Politik fördern. Dies kann beispielsweise durch die Schaffung von Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen in fußläufiger Entfernung von Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsdiensten und sozialen Einrichtungen, sowie durch die Schaffung von Grünflächen und Erholungsräumen für ältere Menschen unterstützt werden.
- Wissenschaft: Die Wissenschaft kann durch Forschung und Entwicklung von innovativen Lösungen und Technologien dazu beitragen, dass städtische Räume und Infrastrukturen altersgerecht gestaltet werden. Dies kann beispielsweise die Entwicklung von smarten Lösungen für die Mobilität älterer Menschen, die Förderung von sozialen Netzwerken und Gemeinschaftseinrichtungen für ältere Menschen oder die Erforschung von altersgerechten Materialien und Konstruktionen in der Architektur umfassen.
Die Kommunen sollen Sicherheit und Schutz bei Krankheit, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit geben, aber auch die Selbstbestimmung und Selbstständigkeit älterer Menschen fördern. Der Vorschlag der Autoren:
„Die Kommunen können Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention, Bildungs-, Kultur-, Freizeit und Sportmöglichkeiten sowie generationenübergreifende Angebote zur Verfügung stellen und andererseits Strukturen schaffen, die es ermöglichen, dass ältere Menschen ihre Kompetenzen und Ressourcen selbstbestimmt einbringen.“
Für Verwaltung und Politik wird eine interdisziplinäre Sicht auf veränderte Bedürfnisse einer (und in einer) sich wandelnden lokalen Gesellschaft empfohlen. Dabei müssten ältere Menschen bei Planungen und Entscheidungen partizipieren.
„Die Menschen können umso länger selbstständig leben, je besser die sie umgebenden Bedingungen darauf eingestellt werden. Das gilt für Wohnung und Wohnumfeld, Einkaufen, Dienstleistungs- und Unterstützungsangebote oder die Nutzbarkeit des Öffentlichen Personennahverkehrs ebenso wie für die Entwicklung von Produkten unter dem Gesichtspunkt eines ‚Designs for all’, also nutzbar für alle Menschen, unabhängig von Alter oder Behinderung.“
Finanzielle Zwänge der Kommunen, Einschnitte in die Infrastruktur, Rationalisierungsmaßnahmen privatisierter Dienstleister (Post) und ähnliche Probleme laufen allerdings den Bemühungen um eine ortsnahe Daseinsvorsorge für weniger mobile ältere Menschen entgegen. Kritisch beurteilt werden „die Ausdünnung des öffentlichen Nahverkehrs, die Konzentration des Einzelhandels auf der ‚grünen Wiese’, die Schließung von Dienstleistungseinrichtungen des täglichen Bedarfs wie Filialen von Geldinstituten oder der Post, aber auch der Verkauf kommunaler Wohnungsbestände“.
Lokal gefordert sind die Gesellschafts-, die Sozial- und die Wirtschaftspolitik, nicht nur die Seniorenpolitik und die Altenhilfe. Die Prioritäten der Politik werden sich voraussichtlich verschieben – im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Systeme, auf Accessibility, auf Generationengerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit.
Ebenso wichtig sind Fragen der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit.
Die Träger der Sozialhilfe müssen mit erheblichen personellen und finanziellen Risiken rechnen. Der gesellschaftliche Wandel (mehr Singlehaushalte, fehlende Möglichkeiten, auf die Ressourcen von Familienangehörigen zurückzugreifen) führt zu neuen Problemen. Dazu gehört eine zurückgehende Pflegebereitschaft von Familienangehörigen und Verwandten. Menschen, die „in jüngeren Jahren ihre eigenen Eltern unterstützt, betreut haben“, können nun nicht in gleichem Maße Solidarität von Familienangehörigen erwarten.
Es ist wichtig, dass Kommunen eine integrierte und ganzheitliche Herangehensweise an die Altenplanung und Seniorenpolitik verfolgen, die verschiedene Politikfelder wie Finanzen, Städtebau, Bildung, Gesundheit und Sozialpolitik miteinander verknüpft, um den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern.
Dr. Armin König, 23.4.2023
Gegen Altersdiskriminierung, für mehr Lebensqualität im Alter: realistische Altersbilder
Stefanie Hartmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Altersfragen
Der Internationale Tag des älteren Menschen am 1. Oktober bietet Anlass, einen Blick auf die vorherrschenden Altersbilder zu werfen
„Ältere Arbeitnehmer/inn/en sind nicht leistungsfähig“. „Kredite für Personen im Rentenalter sind zu risikobehaftet“. „Wenn ich alt werde, werde ich krank und einsam“. Negative Altersbilder – stereotype Überzeugungen, Vorstellungen und Erwartungen aufgrund des Alters – prägen allzu oft das Leben älter werdender und alter Menschen. Rund elf Prozent der Befragten im Deutschen Alterssurvey bspw. geben an, in den zwölf vorangegangenen Monaten entsprechende Erfahrungen gemacht zu haben: Sie fühlen sich aufgrund ihres Alters durch andere benachteiligt oder schlechter gestellt. Allerdings: Altersdiskriminierung wird oft nicht als solche wahrgenommen, weil es sich um Verhaltensweisen handelt, die als selbstverständlich hingenommen werden.
Alterszuschreibungen finden sich in den verschiedensten Lebensbereichen wieder: in der Arbeitswelt, in der Gesundheitsversorgung oder im öffentlichen Leben, aber auch in der Wahrnehmung, im Verhalten und den kulturellen Werten – oft mit negativen Folgen für Individuen und für die Gesellschaft als Ganzes. Alt sein wird von vielen Menschen mit dem Nachlassen körperlicher Kräfte und geistiger Fähigkeiten gleichgesetzt, dies führt nicht selten zu Diskriminierung.
Je nach Alter zeigt sich Altersdiskriminierung in unterschiedlichen Lebensbereichen stärker. Im Deutschen Alterssurvey berichten bspw. die noch im Erwerbsleben stehenden Altersgruppen (40- 69-Jährige) vermehrt von Diskriminierung im Bereich Arbeit und Arbeitssuche (rund 14 Prozent). In der medizinischen Versorgung hingegen wird Altersdiskriminierung am meisten von den ältesten Befragten wahrgenommen (70-85 Jahre, rund 7 Prozent). Oft wird bspw. älteren Menschen unterstellt, Ärzte und Ärztinnen nur aufgrund von Isolation und Einsamkeit aufzusuchen und nicht wegen behandlungsbedürftiger Erkrankungen. Dabei handelt es sich um ein altersdiskriminierendes Klischee, wie eine Untersuchung mit Daten des Deutschen Alterssurveys kürzlich zeigen konnte, das aber dazu führen kann, dass älteren Menschen wirksame Therapien vorenthalten werden.
Und auch ältere Menschen selbst haben nicht selten negative Vorstellungen vom Alter. Solche Überzeugungen werden oft zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung: Älter werdende Menschen verhalten sich dann so, dass die negativen Erwartungen Realität werden. Zum Beispiel sind Personen mit einer negativen Vorstellung vom Alter häufig weniger gesund als andere, die damit positive Erwartungen verbinden.
Immer mehr Menschen werden älter – Ältere haben einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung. Abwertende Einstellungen, negative Stereotype und handfeste Benachteiligungen schaden: nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes. Dazu gibt es viele neue Erkenntnisse aus der internationalen Forschung. Eine gesellschaftliche Sensibilisierung für vorherrschende Altersdiskriminierung und ihre Folgen ist daher lohnend.
„Es scheint sinnvoll, anstatt ausschließlich negativer und ausschließlich positiver Bilder die große Unterschiedlichkeit alter Menschen zu zeigen. Benötigt werden realistische und zugleich hoffnungsvolle Ansätze, die der Vielfalt des Alters gerecht werden. Und die Ermutigung, den eigenen Weg zu finden“, sagt Prof. Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen Berlin. Er hat sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und gemeinsam mit Prof. Liat Ayalon (Bar-Ilan Universität, Israel) ein Buch zum Thema herausgegeben, in dem europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Wissen zum Thema Altersdiskriminierung zusammengefasst haben. „Die Vereinten Nationen bereiten z.B. eine Charta der Rechte älterer Menschen vor. Die Diskussion um die Charta hat das Potential, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie die Gesellschaft mit älteren Menschen umgeht – und damit auch mit uns als den Alten der Zukunft“.
Weiterführende Informationen:
Ayalon, L. & Tesch-Römer, C. (2018): Contemporary Perspectives on Ageism. Das Buch ist als sogenannte „open access“ Publikation kostenfrei im Internet erhältlich (https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-319-73820-8).
In 31 Kapiteln wird Altersdiskriminierung in verschiedenen Lebensbereichen beschrieben, etwa auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitssystem. Zudem werden Konsequenzen von Altersdiskriminierung analysiert und Maßnahmen gegen Altersdiskriminierung vorgestellt, etwa in den Bereichen Bildung und Recht.
Befunde auf Basis des Deutschen Alterssurveys, einer Untersuchung des Deutschen Zentrums für Altersfragen im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zu Altersdiskriminierung sind veröffentlicht in:
• Beyer, A.; Wurm, S. & Wolff, J. (2017): Älter werden – Gewinn oder Verlust? Individuelle Altersbilder und Altersdiskriminierung. In: Mahne, K.; Wolff, J. K.; Simonson, J. & Tesch-Römer, C. (Hrsg.). (2017): Altern im Wandel. Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey (DEAS). Wiesbaden: Springer VS. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-12502-8_22
• Hajek, A. & König, H. (2018): Which factors lead to frequent attendance in the outpatient sector among individuals in the second half of life? Evidence from a population-based longitudinal study in Germany. BMC Health Services Research2018, 18:673, https://doi.org/10.1186/s12913-018-3487-x
Pressemeldung des Deutschen Zentrums für Altersfragen. 25. September 2018
Wie wir den Facharbeitermangel verschlafen haben
Manchmal staunt man über die Kurzsichtigkeit der Politik und der Wirtschaft.
Die Wirtschaft ist noch schlimmer als die Politik.
Die Politik ist immerhin bereit, sich auf Debatten zu Problemen einzulassen.
Die Wirtschaft will dies gar nicht erst hören.
Das gilt beispielsweise beim Thema Facharbeitermangel.
Der kam ja nicht aus heiterem Himmel, im Gegenteil.
2010 schrieb die Nord/LB Regionalwirtschaft in Verbindung mit der Sozialforschung Halle:
«Das in der Öffentlichkeit als ‹demografischer Wandel› und in der betrieblichen Perspektive als ‹Fachkräftemangel› breit diskutierte Thema wird auch in der Region Hannover von einer Mehrheit der Betriebe in den wissensintensiven Branchen als ein Problem gesehen, das auf die Betriebe zukommt. Jedoch, so muss angenommen werden, bleibt die Diskussion darüber auf einer für die betriebliche Entscheidungslogik zu abstrakten Ebene, als dass sich bereits daraus für die Betriebe konkrete Handlungen bzw. Reaktionsweisen ableiten ließen. Vielmehr ist ein unter den Betrieben weitverbreiteter Reflex zu beobachten: Die in den letzten drei Jahren gemachten Erfahrungen in der betrieblichen Personalpolitik werden von der Mehrheit der Betriebe was zukünftige Probleme bei der Rekrutierung betrifft fortgeschrieben.» (Brandt 2010, 47)
Getan hat die mittelständische Wirtschaft allzu lange nichts.
Die Probleme wurden vertagt.
Das rächt sich heute.
Brandt schrieb damals auch:
«Die demografische Entwicklung und deren Konsequenzen erfordern Rekrutierungsalternativen bzw. die Berücksichtigung (neuer) Zielgruppen, die unter den bisherigen Bedingungen noch nicht im Fokus der personalpolitischen Aufmerksamkeit der Firmen standen. Angesichts der branchen‐ und qualifikationsbezogenen Spezifika der Betriebe und den daraus resultierenden strukturellen, externen oder internen personalpolitischen Reaktionen auf einen absehbaren Fachkräftemangel liegt die Vermutung nahe, dass die demografische Entwicklung, wenn überhaupt, als Alterungsprozess der Belegschaft wahrgenommen wird. Die Möglichkeit dem Fachkräftemangel zu begegnen, indem nicht nur Jüngere verstärkt eingestellt werden, sondern z. B. auch Frauen, ausländische Fachkräfte oder Quereinsteiger, wird nur von Firmen mit einer externen Personalstrategie erwogen.» (Brandt 2010, 58)
Dass nichts getan wurde, rächt sich heute.
Fassen wir zusammen:
Es ist offensichtlich, dass die betriebliche Entscheidungslogik in vielen mittelständischen Unternehmen dazu geführt hat, dass die demografische Entwicklung und der drohende Fachkräftemangel eher abstrakt betrachtet wurden und konkrete Handlungen oder Reaktionsweisen nicht abgeleitet wurden. Stattdessen wurden die Erfahrungen der letzten Jahre in der Personalpolitik fortgeschrieben, ohne alternative Rekrutierungsalternativen oder neue Zielgruppen in Betracht zu ziehen. Das war ein Managementfehler. Das Management ist in der Verantwortung, Betriebe nachhaltig zu sichern. Das gilt im übrigen auch für den Öffentlichen Dienst.
Es ist auch interessant zu sehen, dass die Möglichkeit, dem Fachkräftemangel durch die Einstellung von Jüngeren, Frauen, ausländischen Fachkräften oder Quereinsteigern zu begegnen, nur von Unternehmen mit einer externen Personalstrategie erwogen wurde. Dies belegt, dass Unternehmen, die keine solche Strategie verfolgen, die Chancen verpasst haben, dem Fachkräftemangel proaktiv entgegenzuwirken. Auch hier ist wieder die vielfach zu beobachtende Vorgehensweise zu beobachten, wie das Kaninchen auf die Schlange auf zu erwartende Probleme zu starren – und nichts zu tun in der Hoffnung, dass die Probleme von selbst verschwinden. Sie verschwinden aber nicht. Stattdessen ist strategisches Handeln gefordert.
Es ist unbestritten, dass Entscheidungen und Handlungen von Unternehmen auf vielen verschiedenen Faktoren und Rahmenbedingungen basieren. Deshalb gibt es nicht die eine Ursache für das „Verschlafen“ des Facharbeitermangels in den letzten zehn Jahren in Deutschland. Allerdings verdeutlicht die zitierte Studie, dass es in der Vergangenheit Versäumnisse in der Personalpolitik und der Rekrutierungsstrategie gegeben hat, die sich heute rächen.
Es ist wichtig, aus solchen Erkenntnissen zu lernen und Maßnahmen zu ergreifen, um dem Fachkräftemangel in der Zukunft aktiv zu begegnen.
Armin König
Materialien zum Facharbeitermangel
Der Fachkräftemangel ist ein komplexes Problem, das von vielen Faktoren beeinflusst wird, wie demografische Veränderungen, Bildungssystem, Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftslage und globale Wettbewerbsfähigkeit.
Wenn Unternehmen und Behörden das Personal ausgeht, spricht man in der Regel von Fachkräftemangel.
Es gibt verschiedene Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt verwendet werden, um Engpässe bei der Verfügbarkeit von Arbeitskräften zu beschreiben. Ein Arbeitskräftemangel liegt vor, wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften dauerhaft höher ist als das Angebot. Das bedeutet, dass Unternehmen mehr Stellen zu besetzen haben als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was zu fehlenden Bewerbungen oder nur wenigen Bewerbungen auf Stellenausschreibungen führen kann. Der Begriff „Arbeitskräfte“ bezieht sich hierbei auf alle arbeitsfähigen Personen, unabhängig von ihrer Qualifikation.
Im Unterschied dazu bezieht sich der Begriff „Fachkräfte“ auf Personen mit anerkannter akademischer Ausbildung oder einer anerkannten mindestens zweijährigen Berufsausbildung. Ein Fachkräftemangel liegt vor, wenn die Nachfrage nach Fachkräften über einen längeren Zeitraum nicht ausreichend gedeckt werden kann. Dies kann die gesamte Wirtschaft betreffen, jedoch auch nur bestimmte Regionen oder Berufsgruppen. Ein Fachkräftemangel ist in der Regel nicht dauerhaft, da Unternehmen in anpassungsfähigen Märkten ihre Bedürfnisse anderweitig decken oder die Produktion reduzieren können, um Engpässe zu vermeiden. Daher wird oft von einem „Fachkräfteengpass“ oder einer „Fachkräftelücke“ gesprochen, die ein vorübergehendes qualitatives Missverhältnis zwischen der regionalen und/oder qualifikationsspezifischen Arbeitsnachfrage und dem verfügbaren Arbeitsangebot darstellt.
Anzeichen für einen Fachkräftemangel oder Fachkräfteengpass können sein, dass in bestimmten Branchen mehr offene Stellen als Bewerber vorhanden sind oder dass die Vakanzzeit, also die Dauer bis zur Neubesetzung von Stellen, sich verlängert. Zudem können überdurchschnittliche Gehaltsentwicklungen in bestimmten Branchen darauf hindeuten, dass Arbeitnehmer eine bessere Verhandlungsposition haben und Arbeitgeber höhere Löhne anbieten, um Arbeitskräfte zu halten oder zu gewinnen.
Heutzutage dominiert die Diskussion über Fachkräftemangel und die Frage, ob der Gesellschaft die Arbeitskräfte ausgehen, im Gegensatz zu den 70er Jahren, in denen noch über das Ende der Arbeitsgesellschaft debattiert wurde. Im Folgenden wird untersucht, ob es in Deutschland einen allgemeinen oder spezifischen Fachkräftemangel bzw. Fachkräfteengpass gibt.
- Viele Wissenschaftler (auch ich) haben bereits 2010/2011 auf den drohenden Fachkräftemangel hingewiesen.
- Die betriebliche Entscheidungslogik in vielen mittelständischen Unternehmen hat dazu geführt, dass konkrete Handlungen zur Bewältigung des Fachkräftemangels nicht abgeleitet wurden.
- Unternehmen haben die demografische Entwicklung und den drohenden Fachkräftemangel oft abstrakt betrachtet und keine alternativen Rekrutierungsalternativen oder neue Zielgruppen in Betracht gezogen.
- Unternehmen ohne externe Personalstrategie haben die Möglichkeit, dem Fachkräftemangel durch die Einstellung von Jüngeren, Frauen, ausländischen Fachkräften oder Quereinsteigern oft nicht genutzt.
- Managementfehler in vielen mittelständischen Unternehmen haben dazu geführt, dass der Facharbeitermangel nicht proaktiv angegangen wurde.
- Die Vielzahl an Entscheidungsfaktoren und Rahmenbedingungen in Unternehmen erschwert eine eindeutige Ursachenidentifikation für das „Verschlafen“ des Facharbeitermangels.
- Strategisches Handeln und proaktive Maßnahmen sind erforderlich, um dem Fachkräftemangel erfolgreich entgegenzuwirken.
- Die Wirtschaft hat den Facharbeitermangel oft vernachlässigt und nicht ausreichend gehandelt.
- Es gibt Versäumnisse in der Personalpolitik und Rekrutierungsstrategie von Unternehmen, die sich heute rächen.
- Die Politik ist im Vergleich zur Wirtschaft bereit, sich auf Debatten und Probleme einzulassen, während die Wirtschaft oft nicht handelt.
- Die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel erfordern alternative Rekrutierungsalternativen und die Berücksichtigung neuer Zielgruppen.
- Unternehmen müssen frühzeitig reagieren und innovative Lösungen finden, um dem Facharbeitermangel entgegenzuwirken.
- Der Facharbeitermangel betrifft nicht nur bestimmte Branchen oder Regionen, sondern hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft.
- Die Einstellung von Jüngeren, Frauen, ausländischen Fachkräften oder Quereinsteigern kann eine erfolgversprechende Strategie zur Bewältigung des Facharbeitermangels sein.
- Unternehmen müssen ihre Personalstrategien überdenken und gezielt auf alternative Zielgruppen setzen.
- Die betriebliche Entscheidungslogik muss sich von abstraktem Denken hin zu konkreten Handlungen und innovativen Lösungen ändern.
- Unternehmen sollten verstärkt in Aus- und Weiterbildung investieren, um Fachkräfte langfristig zu sichern.
- Die Politik sollte Anreize schaffen, um Unternehmen zur aktiven Bewältigung des Facharbeitermangels zu motivieren.
- Es ist wichtig, aus den Versäumnissen der Vergangenheit zu lernen und zukünftig rechtzeitig auf Veränderungen im Arbeitsmarkt zu reagieren.
- Der Facharbeitermangel ist ein langfristiges Problem, das eine ganzheitliche und strategische Herangehensweise von Unternehmen und Politik erfordert, um langfristig erfolgreich entgegenzuwirken
Neue Altersbilder
Es gibt keine Altersfalle, sondern nur Altersdiskriminierung
Eine Antwort auf DIE ZEIT am 16. April 2020 auf Seite 4, Politik:
„In der Altersfalle. Für gefährdete Bevölkerungsgruppen könnte es noch lange Einschränkungen geben – das wird für Streit sorgen“ von Heinrich Wefing
Hier lesen Sie unsere Antwort (Barbara Wackernagel-Jacobs; Margaret Heckel) als Appell zur Diskussion:
“Kurz nach Beginn der Corona-Krise veröffentlicht die Blutspende-Zentrale im Saarland einen Aufruf, dringend Blut zu spenden. Ich will einen Termin machen und weise darauf hin, dass ich 69 bin. Das Erschrecken am anderen Ende der Leitung ist fast hörbar: ‘Oh, in diesem Alter wollen wir Ihnen eine Blutspende aber nicht mehr zumuten.’ Zumuten? Ich bin gesund, fit, habe die begehrte Blutgruppe 0 und keinerlei Vorerkrankungen. Also bestehe ich auf einem Termin, fange fast einen Streit am Telefon an. Vergebens. ‘Wir haben unsere Vorschriften’, wird mir beschieden.”
Was eine von uns, Barbara Wackernagel-Jacobs, Filmproduzentin und frühere Gesundheitsministerin des Saarlandes, am Telefon erlebt hat, lässt sich nur mit einem Begriff beschreiben: Altersdiskriminierung. Sie entspringt im wahrsten Sinne des Wortes völlig veralteten Altersbildern, die leider jetzt in der Corona-Krise wieder schrecklichen Auftrieb bekommen.
Dem müssen wir entschieden entgegentreten. Das Bild der schutzbedürftigen Älteren, denen ab einem willkürlich bestimmten kalendarischen Alter nicht oder nur wenig mehr zugemutet werden kann, war schon lange grundfalsch. Nun, wo 17 Millionen Menschen und damit jeder und jede Fünfte in diesem Land über 65 Jahre alt sind, ist es geradezu grotesk und extrem schädlich für unser Zusammenleben in dieser Gesellschaft.
Es ist unbestritten, dass die bisherigen Corona-Maßnahmen notwendig waren. Aber sie sind kein Generationengeschenk. Sie hatten ausschließlich ein Ziel: Zeit zu gewinnen. Zeit, die drohende dramatische Situation im Gesundheitswesen nicht eintreten zu lassen. Zeit, die Fehlsteuerungen der Vergangenheit, das Gesundheitswesen nicht als Daseinsvorsorge, sondern betriebswirtschaftlich zu organisieren, korrigieren zu können. Sparmaßnahmen, zurückgefahrene Investitionszuschüsse der Länder, Personaleinsparungen, das Zulassen der Auslagerung der Masken- und Schutzbekleidungsproduktion und vieler Medikamente nach Asien — all das wurde nun sichtbar als politisch-strategischer Fehler eines verantwortungsvollen Staates. So war es ein Verzicht aller zum Wohle aller.
Verheerend wäre es nun, im weiteren Fortgang der Pandemie eine am kalendarischen Alter festzumachende Altersfalle zu konstruieren. Denn das kalendarische Alter sagt nichts über den Zustand und die Schutzbedürftigkeit der Menschen. Das kann nur eine individuelle Betrachtung der Risiken, Vorerkrankungen und Belastbarkeit eines Menschen leisten. Dies gilt für den Mittvierziger mit Diabetes, die Mittsechzigerin mit einer Krebsdiagnose wie für die Hochaltrigen in schwieriger Allgemeinverfassung. Die Aufforderung des Potsdamer Soziologen Hans Bertram, die individuellen Risiken gemeinsam mit dem Arzt zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen für die Verhaltensempfehlungen abzuleiten, ist die einzige nicht-diskriminierende Maßnahme nach der Shutdown-Phase.
Damit erübrigen sich auch jedwede “Verzichtserklärungen” von Älteren, zugunsten der Jüngeren länger zuhause zu bleiben. Es gibt keine “Altersfalle” — es sei denn, wir reden sie herbei, wie vor Jahren den Krieg zwischen den Generationen. Wir müssen die beeindruckend positiven Fakten über die Befindlichkeit und die Präsenz älterer Menschen in unserer Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Das heißt, Altersbilder zu hinterfragen und unsere subjektiven Erfahrungen und vielleicht auch Ängste trennen von den wissenschaftlichen und tatsächlichen Gegebenheiten.
Wie bunt und vielfältig das Leben der Älteren ist, lässt sich in jedem der bislang acht Altenberichte der Bundesregierung nachlesen. Zudem hätten gerade Ältere ein “sehr feines Empfinden für ihre Stärken und ihre Schwächen”, sagt der Vorsitzende der Altenberichtskommission, der Heidelberger Gerontologe und Psychologe Andreas Kruse. Wer Ältere also ernst nimmt statt sie aufgrund von Kalenderdaten pauschal mit Stereotypen zu belegen, kann damit rechnen, dass die Betroffenen selbst umsichtig handeln.
Auch die Nationalakademie Leopoldina hat bereits 2009 in einem vielbändigen Bericht “Altern in Deutschland” 15 “Legenden über das Alter” formuliert. Besonders aktuell ist derzeit wieder Legende 2: “Wenn man das kalendarische Alter kennt, weiß man viel über eine Person.” Grundfalsch, sagen die Leopoldina-Forscher: “Je älter wir werden, desto weniger aussagefähig wird das kalendarische Alter.”
Damit sind wir wieder beim Blutspenden. Viele Jahrzehnte waren Ältere hier unerwünscht, weil man offensichtlich dachte, dass ihr Blut nicht “so gut geeignet” sei wie das von Jüngeren. Jedes Land, selbst jedes Bundesland, zog eigene, vollkommen willkürliche kalendarische Altersgrenzen ein. Erst in den 2000er Jahren haben sich Wissenschaftler ernsthaft mit dem Thema auseinander gesetzt — und die These vom “schlechteren älteren Blut” als Hokuspokus entlarvt.
Das Deutsche Rote Kreuz hat daraufhin im Jahr 2009 die bestehende Altersgrenze beim Blutspenden aufgehoben. Inzwischen haben wir 2020, also elf Jahre später. Und doch gibt es diese diskriminierende Regel im täglichen Leben noch immer. Welches Beispiel könnte besser zeigen, wie verheerend unsere Altersstereotypen sind?
In keinem Abschnitt unseres Lebens taugt das kalendarische Alter weniger zur Kategorisierung von Menschen wie in der zweiten Lebenshälfte. Es gar zum Kristallisationspunkt für Verhaltensmaßregeln in Corona-Zeiten zu machen, ist im besten Sinne wissenschaftlich uninformiert und dumm, im schlechtesten Sinne freiheitsberaubend. Ältere gegen Jüngere auszuspielen wird keine einzige Infektion verhindern. Eine derartige Konfrontation ist schlicht und einfach Altersdiskriminierung — und würde den bislang so wunderbaren Zusammenhalt der Gesellschaft irreparabel schädigen.
Die Deutschen sterben nicht aus – Aber der Alarmismus hat sich verschoben
Seit 15 Jahren wird lamentiert, der demografische Wandel lasse Deutschland schrumpfen und vergreisen. Es war Herwig BIRG (2001), der mit seinem Alarmismus («Sterben die Deutschen aus?») die Debatte angeheizt hatte. Seither sind hunderte Monografien und Beiträge erschienen, in denen die demografische Krise analysiert wird. Die Zahl der Leerstände werde massiv zunehmen, die Bevölkerungszahl sinke, Deutschland verliere seine Konkurrenzfähigkeit. Durch Facharbeitermangel entstehe der Wirtschaft ein Schaden von 8 Milliarden Euro (VDI 2011).
Doch mit der so genannten Flüchtlingskrise ist vieles anders geworden. Der Alarmismus hat sich auf das Thema Migration verschoben, ist heftiger und drastischer geworden, man diskutiert nicht mehr über Leerstände, sondern über «Obergrenzen» der Zuwanderung, «Kontingente», über angebliche Bedrohungen und tatsächliche Belastungen, über Wohnungsknappheit und Kommunalfinanzprobleme. Der Bevölkerungsrückgang ist gestoppt, Deutschland kann gar Zuwächse verzeichnen.
Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) dürfte sich die Einwohnerzahl Deutschlands 2015 von knapp 81,2 Millionen am Jahresanfang auf mindestens 81,9 Millionen Menschen am Jahresende erhöht haben.
«Die Anzahl lebend geborener Kinder dürfte danach 705.000 bis 730.000 betragen haben, die Anzahl der Sterbefälle 905.000 bis 930.000. Die Geburten würden damit in etwa das Niveau des Vorjahres erreichen und allenfalls leicht ansteigen, die Sterbefälle würden aber deutlich höher als im Jahr 2014 liegen. Das Geburtendefizit – die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – wird 2015 bei 190.000 bis 215.000 erwartet. Im Vorjahr hatte es wegen angestiegener Geburten- (715.000) und sehr niedriger Sterbezahlen (868.000) nur 153 000 betragen.
Der Saldo aus Zuzügen aus dem Ausland und Fortzügen ins Ausland konnte bereits in den Jahren 2011 bis 2014 das Geburtendefizit mehr als nur kompensieren. Für 2015 wird der Schätzung zufolge ein Saldo von mindestens + 900 000 Personen erwartet. Der Wanderungssaldo läge damit nicht nur über dem Ergebnis des Vorjahres mit + 550 000 Personen, sondern sogar über dem bisherigen Rekordwert des Jahres 1992 mit knapp + 800 000 Personen.» (DeStatis, Pressemeldung vom 29. Januar 2016)
Es gibt weitere Unwägbarkeiten. So kann beim Statistischen Bundesamt derzeit nicht eingeschätzt werden, inwiefern die 2015 nach Deutschland gekommenen Schutzsuchenden bereits in den der Schätzung zugrundeliegenden Ausgangsdaten vollständig berücksichtigt sind. Allerdings ist auch nicht ausgeschlossen, dass es zu Doppelmeldungen gekommen ist. Insgesamt dürften die Angaben für 2015 sowohl zum geschätzten Wanderungssaldo als auch zur Jahresendbevölkerung lediglich das erwartete Minimum darstellen. Damit ist aber Herwig Birgs populistische Mahnung von 2000 nicht aus der Welt, wonach die Deutschen aussterben könnten. Er meinte dies ja gerade im Kontrast zu Migranten, was zumindest einen chauvinistischen Touch hat und heute so nicht mehr kritiklos behauptet werden könnte.
Nach den aktuellen Zahlen aus 2016 würde sich das Problem der sinkenden Einwohnerzahl der »Native Germans« sogar noch verstärken.
Abgesehen davon, dass sich der demografische Wandel nicht auf die absolute Bevölkerungszahl, die Leerstände und die Fertilität reduzieren lässt, ist auch der Blick auf die Bevölkerungsstatistik von großem Interesse.
Die Zuwanderung überdeckt einige der Trends, die schon in der Vergangenheit erkennbar wurden: Noch immer gibt es in Deutschland ein signifikantes Geburtendefizit. Es sterben mehr Menschen als Kinder geboren werden. Die Über-Kompensation durch die Zuwanderung sorgt zwar für eine wieder steigende Bevölkerungszahl. Damit steigt aber auch die Auslastung der Kitas und Schulen, was zu neuem Investitionsbedarf in der Kinderbetreuung und der Bildungspolitik führt. Mehr noch zwingt die Zuwanderung Bund, Länder und Gemeinden, Geld für Integration, Bildung, Wohnraumversorgung, Soziales und Arbeitsmarkt auszugeben. Diese Ressourcen sind bisher nicht vorhanden. Die Kommunen klagen über unzureichende Ausstattung und fordern die Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Das klingt nicht nur plausibel, es ist auch verfassungsrechtlich geboten.
Was derzeit nicht absehbar ist, auch angesichts skandalöser Übergriffe auf Migranten, ist die Frage, ob die Flüchtlinge ihren Aufenthaltsort auf Dauer in Deutschland, den jeweiligen Bundesländern und Gemeinden behalten werden, ob sie in ihre Heimatländer zurückkehren wollen oder können oder ob sie weiterwandern.
Damit bestätigt sich, was der Autor schon 2011 geschrieben hat. Die wachsende ethnische Heterogenität hat Auswirkungen auf das Alltagsleben. Menschen mit Migrationshintergrund werden eine zunehmende Rolle auf lokale Policies haben. Erhöhte Zuwanderung würde einen Paradigmenwechsel mit verstärkten Integrationsbemühungen erfordern. Das Problem ist derzeit ungelöst.
Den demografischen Wandel kann Zuwanderung nicht stoppen allenfalls in Teilbereichen abmildern, während an anderer Stelle neue, zum Teil massive Probleme virulent werden. Die Zuwanderung hat die Gesellschaft radikalisiert, in Teilen Deutschlands muss man Sorgen um die Demokratie und das Gemeinwesen haben, weil Politiker nicht davor zurückschrecken, mit Fremdenfeindlichkeit Wählerstimmen zu fangen.
Zu den schwierigsten Themen neben der Migration gehört die Alterung der Bevölkerung. Die Zahl der alten und sehr alten Menschen nimmt weiter zu. So zählt die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz mittlerweile mehr als 10.000 Menschen, die älter als 80 Jahre sind. Die Tendenz ist weiter steigend. Das macht deutlich, dass auch in Zeiten der Migration Demografie ein Megathema ist, denn auf die kollektive Alterung der Bevölkerung (Naegele 2010, 98) sind weder die Städte und Gemeinden in der Kommunalpolitik noch die Institutionen der Gesundheits- und Rentenpolitik ausreichend vorbereitet.
Das gilt beispielsweise für das Demenz-Problem, das bisher ungelöst ist. Es fehlt an Pflegekräften, an Strukturen, an finanziellen Ressourcen und an lokal anwendbaren Strategien. Demenzielle Erkrankungen erfordern neue Formen der medizinisch-pflegerischen Arbeitsteilung und neue Kooperationen zwischen Politik, Leistungsträgern, Ehrenamtlern und betroffenen Familien. Wenn trotz der zum Teil massiven Einschränkungen und des Leidensdrucks und der Verletzbarkeit (Vulnerabilität) bei den betroffenen Familien noch Lebensqualität möglich sein soll, erfordert dies von Gemeinwesen neue Ansätze. Nicht alles wird professionell zu leisten sein, weil es nicht finanzierbar ist und weil das entsprechende Fachpersonal fehlt.
Ein neues Zauberwort ist Resilienz. Es bezeichnet die Fähigkeit, nach Niederlagen neu anzufangen, nach Tiefschlägen weiterzumachen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Sabine Wadenpohl plädiert dafür, «Strategien zu entwickeln, die geeignet sind, Widerstandsfähigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit zu fördern» (2016, 73). Sie geht davon aus, dass die Anzahl demenziell erkrankter Menschen in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird – eine Prognose, die auch in den Gesundheitsministerien der Länder und des Bundes geteilt wird.
«Dass die pflegenden Angehörigen älter werden, was bedeutet, dass die ‹pflegenden Kinder› zur Gruppe der ‹jungen Alten› gehören, und Menschen im (hohen) Alter die Betreuung und Pflege ihrer demenziell erkrankten Partner und Partnerinnen übernehmen» (Wadenpohl 2005), ist mittlerweile in vielen deutschen Kommunen festzustellen. Dies wirkt sich auch auf die Berufstätigkeit aus: Unternehmen der freien Wirtschaft, Selbstständige und Öffentlicher Dienst registrieren immer häufiger, dass insbesondere Mitarbeiterinnen Aufgaben der innerfamiliären Pflege übernehmen und damit in Stresssituationen geraten, denen sie nicht immer gewachsen sind. Andererseits stellt die Resilienzforschung fest, «dass alte und hochaltrige Menschen trotz vielfältiger Einschränkungen ein erstaunlich hohes Maß an Wohlbefinden und Zufriedenheit aufweisen.» (Wadenpohl 2005)
Jeder Fall ist anders. Aber: Die Vielzahl der Demenz- und Pflege-Fälle stellt das Gesundheitssystem, die Pflegekassen, vor allem aber die Familien und ihr Umfeld vor enorme Herausforderungen.
Daran hat auch Migration nichts geändert. Dass Migration das Thema Alterung überlagert, haben Andreas Kruse und Eric Schmitt in einem bemerkenswerten Beitrag dargestellt. Ihr Thema: «Soziale Ungleichheit, Gesundheit und Pflege im höheren Lebensalter.» (Kruse/Schmitt 2016)
Sie wollten wissen, wie es mit der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung, die sie als Teil der Daseinsvorsorge betrachten, tatsächlich aussieht.
Ihr alarmierendes Fazit: Von Gerechtigkeit kann keine Rede sein. Die Schere geht immer weiter auseinander. Das verstößt gegen die Verfassung.
«Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status, Frauen und Migranten sind stärker von gesundheitlichen Risiken und Problemlagen betroffen und haben einen schlechteren Zugang zu präventiven Maßnahmen und fachärztlicher Versorgung. Mit Blick auf die stationäre Versor-gung haben privat Versicherte eine höhere Aufnahmewahrscheinlichkeit. Migranten suchen häufiger Notfallambulanzen auf und erhalten seltener Rehabilitationsmaßnahmen. Die Verfügbarkeit sozialer Unterstützungsleistungen ist abhängig vom Alter, Geschlecht und Bildungsstand. Antragstellern mit höherem sozioökonomischem Status werden Leistungen der Pflegeversicherung häufiger bewilligt.» (Kruse/Schmitt 2016)
Das deckt sich nicht ganz mit Erkenntnissen von Ruth Deck und Kerstin Hofreuter-Gätgens. Ihre Studie kommt zum Ergebnis, dass beim Zugang soziale Ungleichheit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dennoch sind auch hier die Folgen unbefriedigend:
«Da zu Beginn der Rehabilitation die subjektive Gesundheit ungleich verteilt ist, ist diese Gleichbehandlung jedoch im Sinne von Bedarfsgerechtigkeit kritisch zu diskutieren. Im Rehabilitationsergebnis liegen deutliche Schichtunterschiede vor. Um diese zu verringern, wäre eine lebensweltnahe Reha-Nachsorge notwendig, die das Empowerment vulnerabler Sozialgruppen in belastenden Lebensumständen fördert.“ (Deck / Hofreuter-Gätgens 2006)
Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, werden unterschiedlich beurteilt. Die einen wollen «Dem Gutes tun, der leidet» (Büssing et al. 2015), die anderen wollen radikal ins System einschneiden, etwa Fritz Beske. Er analysiert Krankenhausstrukturen, hausärztliche Versorgung, Fragen der Qualitätssicherung, die Stellung des Gemeinsamen Bundesausschusses und die elektronische Gesundheitskarte und kommt zu einem Ergebnis, das den Versicherten nicht gefallen kann: «Die sich weiter öffnende Schere zwischen Versorgungsbedarf in Gesundheit und Pflege bei abnehmenden finanziellen und personellen Ressourcen erfordert Einschränkungen des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ziel ist die Sicherstellung der not-wendigen Gesundheitsversorgung für alle. Handeln muss die Politik!» (Beske 2016)
Eigentlich wäre angesichts des Problemdrucks und der heterogenen Problemlage eine Soziologie der Demografie sinnvoll und notwendig. Denn das Dilemma für die Wissenschaft (und für die Praktiker) ist offenkundig: «The study of population offers something for everyone» klagen Karsten Hank und Michaela Kreyenfeld, zwei ausgewiesenen Experten der Bevölkerungsforschung.
Kreyenfeld ist Leiterin der Forschungsgruppe «Lebenslauf, Sozialpolitik und Familie» am Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied des Wissenschaftlich Beirats für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Karsten Hank ist Professor für Soziologie an der Universität zu Köln und Forschungsprofessor am DIW Berlin. In einem Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (2016, Suppl) erläutern Hank, Kreyenfeld und zahlreiche weitere Autoren die Schnittstellen zwischen Demografie und Soziologie, arbeiten Unterschiede heraus und geben insbesondere fünf aktuellen Themen besonderen Raum: Fertilität und Partnerschaft, Migration und Mobilität, Mortalität und Morbidität, demografischer Wandel und Wohlfahrtsstaat sowie Soziobiologie und Biodemografie.
Zu den analysierten Themen gehören Pflegebedürftigkeit im Lebensverlauf (Unger, Giersiepen, Windzio), ökonomische Unsicherheit und Fertilität (Kreyenfeld), die «Entwicklung des Partnermarkts im Längsschnitt» (Eckhard, Stauder, Wiese), Migration und Finanzkrise (Brücker), die regionalen Unterschiede in der Sterblichkeit in Deutschland mit gewissen räumlichen Mustern und «Sterblichkeitstrends» (Kibele, Klüsener, Scholz), ein Langzeitmodell zum «Einfluss ökonomischer Bedingungen und Krisen auf die Sterblichkeit und ihre Vorhersagbarkeit in industrialisierten Ländern» (Bohk, Rau) sowie das Megathema «demografischer Wandel, Alterung und Arbeitsmarkt in Deutschland» (Brussig). Schon dieser kursorische Überblick über die aktuelle Literatur des Jahres 2016 zeigt, dass das Thema Demografie nach wie vor topaktuell ist und mitnichten von der Migration «erledigt» wird.
Das Demografie-Problem erledigt sich nicht von selbst; trotzdem ist erkennbar, dass bereits wieder landesplanerisch unsinnige Entscheidungen wie die Ausweisung von Neubaugebieten im Außenbereich von nicht-urbanen Kommunen getroffen werden. Es ist, als habe man nur darauf gewartet, endlich wieder wie in alten Zeiten Bauland zu erschließen, um mit Beton eine vermeintlich gute Zukunft zu bauen. Spannend erscheint auch, dass empirische Untersuchungen diverse Grundannahmen als Vor-Urteile entlarven, etwa die Behauptung, dass private wirtschaftliche und berufliche Unsicherheiten die Nachwuchsplanung von Familien beeinflussen und sich negativ auf die Geburtenrate auswirken. Kreyenfeld hat die Daten des Sozioökonomischen Panels SOEP ausgewertet und kommt zum Ergebnis, dass es keineswegs eindeutige empirische Wenn-Dann-Relationen gibt. Sondern «eher uneinheitliche Befunde» (Kreyenfeld 2015). Sie hatte schon 2010 festgestellt, dass es eher schwache Zusammenhänge gibt und dass weitere Faktoren eine Rolle spielen. Darauf geht sie auch jetzt wieder ein: «The major finding of this study was that the association between the perception of economic uncertainty and the transition to a first birth was weak. However, the results also showed that there were differences based on educational level, als less educatet women experienced elevated birth rates when the were subject to economic uncertainty.» (Kreyenfeld 2015, 64).
Diesmal wurden auch die Perspektive des männlichen Partners und seine ökonomische Situation in die Untersuchung einbezogen.
Bemerkenswert an den Ergebnissen, dass die Kinderwahl sehr unterschiedlich nach Alter und wirtschaftlicher Einschätzung und Situation ausfällt.
Kreyenfeld unterschiedet zwischen Big Worries, Some Worries und No Worries (des Partners und des Paares).
Die Ergebnisse sind nur auf den ersten Blick überraschend, lassen sich aber leicht erklären: Die mit Abstand höchste Baby-Rate bei den 17-26jährigen hat die «Some Worries»-Gruppe der Paare und der Partner (55%). Es gibt wirtschaftliche Unsicherheiten und Probleme, aber es sind (noch?) keine «Big Worries». Die nächst größere fruchtbare Gruppe ist diejenige, bei der der Partner große wirtschafltiche Sorgen hat. Hier liegt die Quote immerhin bei 25 % (Partnerprobleme) bzw. 10 % (beide große Probleme). Junge Sorgenpaare – relativ hohe Kinderquote – das ist ein Phänomen, das auch den Vor-Ort-Experten in der Jugendhilfe bekannt ist.
Dagegen wollen junge Paare ohne wirtschaftliche Sorgen zunächst offenbar Berufs- und Privatleben frei organisieren. Dort liegt die Quote mit 20 % bzw. 8 % am niedrigsten. Das verändert sich signifikant bei den 27-47jährigen. Plötzlich steigt der Anteil der Gebärenden bei den «No-Worries»-Paaren von 20 auf 27 % an.
Aber auch hier hat die «Some-Worries»-Gruppe mit 54% den mit Abstand höchsten Anteil.
Die These, die dahinter steht: Die einen machen Karriere von 17 bis 26, die Anderen bekommen die Kinder. Und wenn sie dann auf die 30 zugehen oder älter werden, entscheiden sie sich plötzlich für ein Baby – gerade in Anbetracht ihrer wirtschaftlich sicheren Position. Es spricht einiges dafür. Aber ob es dann noch funktioniert? Dass die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen mit zunehmendem Alter steigt, ist durch valide Studien belegt.
Für die Kommunen bleibt Demografie-Monitoring wichtig, um die aktuelle Entwicklung in Zeiten der Migration einzuschätzen und darauf politisch-administrativ zu reagieren.
Angesichts der Vielzahl regionaler Demografie-Muster, die beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung aus ihren Daten destilliert hat, ist eine Globalbetrachtung nicht möglich. Es müssen die jeweils ortsspezifischen oder regionalspezifischen Muster dokumentiert und analysiert werden. Valide Zahlen sind unverzichtbar. Es hilft nichts, sich in die eigene Tasche zu lügen.
Dazu stellt die KGSt fest:
«Management des demografischen Wandels verlangt ein wissensbasiertes Vorgehen. Um eine systematische Planung und Evaluation im Prozess der Gestaltung des demografischen Wandels zu ermöglichen, ist eine indikatorengestützte Raumbeobachtung aufzubauen, die gesamtstädtisch, insbesondere aber auch kleinräumig ein Monitoring leistet.
Monitoring ist eine
- regelmäßige (in definierten Intervallen),
- mehrdimensionale (mehrere Bereiche umfassende)
Beobachtung der Ausprägungen einer begrenzten Anzahl von Indikatoren. Es dient der Verbesserung von Entscheidungsgrundlagen, indem es Daten beobachtet, bereitstellt und bewertet und damit Transparenz über soziale Zustände und Entwicklungsprozesse fördert.
Mit Hilfe des Monitorings besteht die Möglichkeit, kleinräumige Veränderungen frühzeitig (Frühwarnsystem) zu erkennen. Z. B. können ein mittel- bis langfristig absehbarer Alterungsprozess der Bewohnerschaft eines Stadtteils bei gleichzeitig geringer Neubautätigkeit im Stadtteil frühzeitig erkannt und entsprechende Stadtteilstrategien entwickelt werden. Ebenso kann die Konzentration von Problemen auf bestimmte Stadtteile durch ein Demografiemonitoring in Verbindung mit einer Sozialdatenanalyse bzw. einem Sozialmonitoring sichtbar gemacht werden. Hierbei ist es wichtig, die Daten möglichst kleinräumig vorliegen zu haben und zu pflegen. Statistische Landesämter besitzen Daten für jede Gemeinde, teilweise ist auf kommunaler Ebene nachzujustieren.
Um eine breitere Transparenz zu gewährleisten, ist es sinnvoll, das Demografiemonitoring in einem zentralen Datenpool für alle (Verwaltung, Politik und Bürger) verfügbar zu machen.» (Henrichs/KGst)
Literatur
Beske, Fritz (2016): Perspektiven des Gesundheitswesens – Geregelte Gesundheitsversorgung im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft. Wiesbaden: Springer-Verlag. http://www.springer.com/de/book/9783662489406)
Birg, Herwig (2000): Sterben die Deutschen aus? Interview mit Spiegel online am 6.1.2000.
Büssing, Arndt / Surzykiewicz, Janusz / Zimowski, Zygmunt (2015): Dem Gutes tun, der leidet – Hilfe kranker Menschen – interdisziplinär betrachtet. Heidelberg: Springer.
Deck, Ruth / Hofreuter-Gätgens, Kerstin (2006): Soziale Ungleichheit in der medizinischen Rehabilitation. http://rd.springer.com/article/10.1007%2Fs00103-015-2284-5
DeStatis (2016). Deutlicher Bevölkerungsanstieg im Jahr 2015 auf mindestens 81,9 Millionen. Pressemeldung vom 29. Januar 2016.
Eckard, Jan / Stauder, Johannes / Wiese, Daniel: Die Entwicklung des Partnermarkts im Längsschnitt – Alters- und Kohortenunterschiede. In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. September 2015, Volume 67, Supplement 1, pp 81-109.
Hank, Karsten/Erlinghagen, Marcel (2008): Produktives Altern und informelle Arbeit. Stand der Forschung und Perspektiven. In: Erlinghagen, Marcel/Hank, Karsten (Hrsg.): Produktives Altern und informelle Arbeit in modernen Gesellschaften. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde. Wiesbaden: VS. S. 9-24.
Henrichs, Bettina (2016): Demografiemonitoring. https://www.kgst.de/themenfelder/planen-bauen/raeumliche-planung-und-entwicklung/demografiemonitoring.dot
KGSt (2014): Bericht: Der demografische Wandel in Kommunalverwaltungen. Strategische Ausrichtung und Handlungsansätze des Finanzmanagements (6/2014).
Kibele, Eva U. B. / Klüsener, Sebastian/Scholz, Rembrandt D. (2016): Regionale Mortalitätsunterschiede in Deutschland. Langfristige Veränderungen und mögliche Ursachen. In: Social Demography Forschung an der Schnittstelle von Soziologie und Demografie. S. 241-270.
König, Armin (2014): Demografie kompakt. Illingen: Edition Kerpen.
König, Armin (2011). Bürger und Demografie: Partizipative Entwicklungsplanung für Gemeinden im demografischen Wandel. Merzig: Gollenstein.
Kreyenfeld, Michaela (2015): Economic Uncertainty and Fertility. In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. September 2015, Volume 67, Supplement 1, pp 59-80.
Kreyenfeld, Michaela (2010): Uncertainties in female employment careers and the postponement of parenthood in germany. In: European Sociological Review 26: 351-366.
Kruse, Andreas (2013) Alternde Gesellschaft – eine Bedrohung? Ein Gegenentwurf. Lambertus, Freiburg.
Kruse, Andreas / Schmitt, Eric (2016): Soziale Ungleichheit, Gesundheit und Pflege im höheren Lebensalter. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. Vol. 59/2, S. 252-258.
Naegele, Gerhard. (2010): Kommunen im demografischen Wandel. Thesen zu neuen An- und Herausforderungen für die lokale Alten- und Seniorenpolitik. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Ausg. 2/2010. S. 98-102.
Unger, Rainer / Giersiepen, Klaus / Windzio, Michael (2015): Pflegebedürftigkeit im Lebensverlauf. Der Einfluss von Familienmitgliedern und Freunden als Versorgungsstrukturen auf die funktionale Gesundheit und Pflegebedürftigkeit im häuslichen Umfeld. In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. September 2015, Volume 67, Supplement 1, pp 193-215.
Wadenpohl, Sabine (2016): Resilienz – An der Schnittstelle von Public Health und Gerontologie. In: Wink, Rüdiger (Hg.): Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung. Wiesbaden: Springer.S. 73-99.
Wadenpohl, Sabine (2005): Für einen guten Abschluss sorgen : Resilienz alter Menschen mit demenziell erkrankten Partnern/-innen. Bielefeld (Germany): Bielefeld University; 2005.
Das Thema Demografie und Fachkräftemangel beschäftigt seit Jahren Wissenschaft und Politik in Deutschland. Von «künftigen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen» (Fuchs 2013, 395; Deller/Kolb 2010, 421-433) ist die Rede, der Notwendigkeit systematischer Veränderungsprozessen, von strategischem Vorgehen und innovativen, flexiblen Arbeitszeitmodellen.
Das Problem muss Deutschland plötzlich und unerwar-tet getroffen haben. Fachkräftemangel im demografischen Wandel – die Unternehme sind von heute auf morgen mit diesem Phänomen konfrontiert worden, haben das Problem nicht kommen sehen. Der demografische Wandel muss über das Land gekommen sein wie eine biblische Plage. Keine Signale, keine Artikel, keine Sensibilisierung in den Medien. Birg hat niemand zur Kenntnis genommen, Schirrmachers Methusalem-Komplott hat man nur als Schlagzeile goutiert. Und nun taucht doch dieser demografische Wandel wirklich und wahrhaftig als Personalproblem in Firmen und deren Führungsetagen auf.
Angesichts dieser plötzlichen und unerwarteten Plage klagen Unternehmen und Wirtschaftsverbände landauf, landab, dass ihnen junge Kräfte fehlen, weil die älteren in Rente gehen. Wie konnte das nur geschehen?
Das waren noch Zeiten, als Auszubildende händeringend Ausbildungsbetriebe gesucht (und nicht gefunden) haben. Jetzt rächt sich, dass viele Firmen nicht bereit waren, sich der mühsamen Arbeit der Ausbildung und Qualifizierung zu unterziehen. Im Vorteil sind die Betriebe und Behörden, die Freiberufler und Händler, die bereit waren, eine demografiefeste Personalpolitik zu betreiben und die vorsorglich und vorausschauend ausgebildet haben.
Gewiss gab es Gründe, nicht auszubilden. Ausbildung ist manchmal mühsam, gelegentlich teuer. Überdies haben vor allem kleinere Betriebe schon lange mit dem Problem zu kämpfen, dass sie gut ausgebildete junge Menschen nicht halten können, weil größere, reichere, kapitalkräftigere Unternehmen die Talente abwerben.
Wenn angemerkt wird, dass qualifizierte Nachwuchskräfte «ein knappes Gut» seien, dann ist dies zutreffend und eigentlich auch logisch. Dass plötzlich qualifizierte Nachwuchskräfte fehlen, hängt u.a. mit der Altersentwicklung im demografischen Wandel zusammen.
Nach der Babyboomer-Generation steht jetzt die Generation Pillenknick vor der Berufswahl. Wo weniger Bewerber zur Verfügung stehen, verschärft sich der Wettbewerb der Unternehmen, Behörden, Freiberufler um die besten Kräfte.
Ein Musterbeispiel ist der Ingenieurbereich. Wenn pro Jahr 36.000 Ingenieure aus dem Berufsleben ausscheiden, dann ist es für die Wirtschaft zwingend notwendig, sie zu ersetzen, um wettbewerbsfähig, innovativ und konkurrenzfähig zu seine – und um auf weiterhin die bestehende Auftragslage erhalten zu können. Der Verein Deutscher Ingenieure VDI rechnet sogar damit, dass das Problem ab 2020 noch gravierender wird.
In einer IW-Studie zum Fachkräftemangel heißt es: «Der demografische Wandel stellt die Wirtschaftspolitik in Deutschland vor große Herausforderungen. Das angebotsseitige Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft wird durch den Rückgang der Zahl an Erwerbspersonen und die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung in den kommen den Jahrzehnten gedämpft.» (Koppel/Plünnecke 2014, 5)
Zwar ist Deutschland in einer Zeit der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrisen Stabilitätsanker und Wirtschaftsmotor, doch das könnte sich ändern. Denn erfolgreiche Produktion hängt direkt mit der Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen.
«Wie die endogene Wachstumstheorie zeigt, resultieren technologischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum erst aus dem Zusammenspiel von technologischen Produktionsmöglichkeiten und hochqualifizierten Mitarbeitern.» (Koppel/Plünnecke, 5).
Das verlangt von den Firmen, künftig aber sicher auch von Behörden neue Strategien zur Gewinnung qualifizierten Personals. Auch Behörden können sich nicht totsparen. In einem Gutachten der Nord/LB Regionalwirtschaft und des Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (Brandt et al., 2010) für die Region Hannover heißt es zu Rekrutierungsalternativen treffend:
«Die demografische Entwicklung und deren Konsequenzen erfordern Rekrutierungsalternativen bzw. die Berücksichtigung (neuer) Zielgruppen, die unter den bisherigen Bedingungen noch nicht im Fokus der personalpolitischen Aufmerksamkeit der Firmen standen. Angesichts der branchen‐ und qualifikationsbezogenen Spezifika der Betriebe und den daraus resultierenden strukturellen, externen oder internen personalpolitischen Reaktionen auf einen absehbaren Fachkräftemangel liegt die Vermutung nahe, dass die demografische Entwicklung, wenn überhaupt, als Alterungsprozess der Belegschaft wahrgenommen wird. Die Möglichkeit dem Fachkräftemangel zu begegnen, indem nicht nur Jüngere verstärkt eingestellt werden, sondern z. B. auch Frauen, ausländische Fachkräfte oder Quereinsteiger, wird nur von Firmen mit einer externen Personalstrategie erwogen.» (Brandt 2010, 58)
Der Gesundheits- und Sozialbereich hat bereits seit Jahren mit dem Phänomen des Facharbeitermangels zu kämpfen. Dort setzt man weniger auf Eigenausbildung – was überrascht –, als auf die Anwerbung von Fachkräften vom externen Arbeitsmarkt. (Brandt 2010, 37).
Man macht sich also noch abhängiger als bisher von einem Rekrutierungsbereich, der schon jetzt stark verknappt ist – wegen der Einkommenshöhe, der oft schwierigen Arbeit vor allem in Pflegeberufen, aber auch wegen der demografischen Entwicklung.
Neben der Anwerbung externer Fachkräfte steht auch die Weiterbildung älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunehmend im Fokus der Personalabteilungen. Es gibt noch eine spannende Entwicklung, die möglicherweise modellhaft für andere Branchen sein kann:
«Mit der überdurchschnittlichen Einstellung von Älteren, Frauen und Ausländern greifen Betriebe im Gesundheits‐ und Sozialwesen auf Arbeitnehmergruppen zu, die von den anderen Branchen bisher kaum berücksichtigt werden. Dieser Trend wird sich in der Zukunft noch verstärken.» (Brandt 2010, 41)
Eine gewisse Kurzsichtigkeit der Planung ließ sich in der Nord/LB-Studie in den wissensintensiven Betrieben der Region Hannover feststellen. Dies mag spezifisch für eine prosperierende Großstadtregion sein. Es ist aber nicht auszuschließen, dass dies auch für andere Regionen gilt. Man glaubt, dass man auch in der Zukunft die Probleme im Griff hat, weil man das bisher auch schon gut gemanagt hat:
«Das in der Öffentlichkeit als ‹demografischer Wandel› und in der betrieblichen Perspektive als ‹Fachkräftemangel› breit diskutierte Thema wird auch in der Region Hannover von einer Mehrheit der Betriebe in den wissensintensiven Branchen als ein Problem gesehen, das auf die Betriebe zukommt. Jedoch, so muss angenommen werden, bleibt die Diskussion darüber auf einer für die betriebliche Entscheidungslogik zu abstrakten Ebene, als dass sich bereits daraus für die Betriebe konkrete Handlungen bzw. Reaktionsweisen ableiten ließen. Vielmehr ist ein unter den Betrieben weitverbreiteter Reflex zu beobachten: Die in den letzten drei Jahren gemachten Erfahrungen in der betrieblichen Personalpolitik werden von der Mehrheit der Betriebe was zukünftige Probleme bei der Rekrutierung betrifft fortgeschrieben.» (Brandt 2010, 47)
Noch setzen sowohl die personalintensiven Branchen des Gesundheits- und Sozialwesens, aber auch des produzierenden Gewerbes vor allem auf externe Rekrutierung. Der Erfolg ist in Zukunft aber nicht mehr garantiert, wenn einerseits das Angebot an jungen Fachkräften knapper wird und andererseits die allgemeine Bewerberqualifikation sinkt. Schon jetzt sind über 40% der Betriebe bereits «die Ansprüche an die Berufserfahrung zu reduzieren». (Brandt 2010, 57)
In einem IAB-Discussion Paper (5/2016) haben Alfred Garloff und Rüdiger Wappler überprüft, ob die genannten Prämissen und Konsequenzen empirisch nachvollziehbar und zutreffend sind. Dass die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften seit einigen Jahren gestiegen ist und weiter steigt (2016, 4), wird ebenso wenig infrage gestellt wie die Feststellung, dass der rasche demografische Wandel Trotz der Zuwanderung von Migranten Nachhilfe folgen hat. Die Kernfrage dieser kleinen Studie lautet:
«Eines der gerne genannten Argumente in dieser Diskussion ist, dass in den kommenden Jahren viel mehr ältere Menschen in Rente gingen, als neue, jüngere den Arbeitsmarkt eintreten.» (Garloff/Wappler, 4).
Dies wurde bisher nicht infrage gestellt, da es evident erscheint.
«Obwohl man diesem Argument eine inhärente Logik nicht absprechen kann, überzeugt es nur auf den ersten Blick, weil erstens Änderungen der Bevölkerungsgröße nicht notwendig mit entsprechenden Veränderungen beim Arbeitsmarktangebot einhergehen müssen, weil zweitens unklar ist, ob ältere Kohorten typischer Weise durch jüngere Kohorten ersetzt werden und weil drittens Anpassungen bei der Arbeitsnachfrage Veränderungen beim Arbeitsangebot kompensieren können.» (Garloff/Wappler, 4)
Die Ausgangsthese wird sowohl theoretisch als auch empirisch untersucht. Sie ist von erheblicher Relevanz, wenn man berücksichtigt, welche ökonomischen Folgen ein Fachkräftemangel größeren Ausmaßes haben könnte. So hatte der VDI 2011 eine Prognose gestellt, nach der in den nächsten Jahren 72.000 Ingenieure fehlen werden. Damit wäre ein volkswirtschaftlicher Verlust von 8 Milliarden € verbunden. Dass führt in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte zur Frage, ob hoch qualifizierte Migranten insbesondere Ingenieur-Studien aufnehmen sollten, wenn sie sich dafür eignen.
Es gibt einen zweiten Befund des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Ihr Chef Rainer Dulger sagte den VDI-Nachrichten: «Künftig werden vor allem MINT-Facharbeiter, Techniker und Meister fehlen. Wir erwarten bis zum Jahr 2020 Eine Lücke von bis zu 1,4 Millionen Fachkräften.» (Heimann).
Diese verbandspolitischen Mitteilungen decken sich aber nicht mit den empirischen Arbeitsmarktdaten. So haben Garloff und Wappler einen angenommenen Fachkräftemangel mit dem Kriterium untersucht, ob sich das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen vergrößert hat. Überraschend stellen sie fest, «dass das nicht eindeutig für demografische Veränderungen gilt». (Garloff/Wappler, 5)
Von besonderem Gewicht ist in der empirischen Demografieforschung die Reihenuntersuchung. Hier haben Garloff und Wappler analysiert, «wie die Beschäftigung über die Zeit mit der relativen Größe der unterschiedlichen Alterskohorten zusammenhängt» (Garloff/Wappler, 5).
Der Schlüsselsatz in der Analyse der beiden Arbeitsmarktforscher ist für Berufseinsteiger nicht sehr optimistisch: «Wir finden keine Evidenz dafür, dass ein hoher Anteil von älteren Beschäftigten, die den Arbeitsmarkt verlassen, in einem Beruf danach zu einer höheren Nachfrage nach jüngeren Arbeitnehmern führt. Stattdessen findet eine Nachbesetzung – falls sie stattfindet – typischer Weise eher aus den mittleren Altersgruppen durch Berufswechsler statt.» (Garloff/Wappler, 5)
Das überrascht Praktiker, in das Berufsleben kennen, allerdings nicht. Die entsprechenden Rekrutierungsmuster sind sowohl in der freien Wirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst erkennbar und nachvollziehbar. Ob sie richtig sind, ist eine andere Frage.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt in einem wei-teren aktuellen Beitrag aus dem Jahr 2016 auch Martin Brussig. Unter dem Titel «Demografischer Wandel, Alterung und Arbeitsmarkt in Deutschland» (Brussig 2016) gibt er einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu den Folgen der demografischen Alterung auf dem Arbeitsmarkt. Brussig beschreibt zwei Ebenen: Die Zusammensetzung des Arbeitskräftepotenzials und die Arbeitsorganisation im Betrieb.
Auf der ersten Ebene stellt der Autor fest, «dass sich demografische Veränderungen nicht unmittelbar auf die Angebots- und Nachfragerelationen sowie die Struktur der Beschäftigung auswirken. Vielmehr werden die Folgen des demografischen Wandels durch die Institutionen des Arbeitsmarktes vermittelt.» (Brussig 2016, 295).
Es gibt also keine einfachen Ursache-Wirkung-Relationen, es werden nicht mehr junge Techniker durch den Betrieb eingestellt, weil ältere Techniker das Unternehmen verlassen, und die Rekrutierung erfolgt noch immer klassisch über die Arbeitsmarktinstitutionen. Man mag dies begrüßen oder bedauern, es ist jedenfalls die Daten- und Geschäftsgrundlage für alle Überlegungen in diesem Zusammenhang.
Überraschenderweise hat Brussig auch bei Arbeitsorganisation, Produktivität alternder Belegschaften, Innovationsfähigkeit, Umgang mit Problemen begrenzter Tätigkeitsdauer und verwandten Themen keine einfachen Antworten anzubieten:
«Ein zentraler übergreifender Befund ist, dass Betriebe vielfältigen internen und externen Anforderungen ausgesetzt sind, von denen die alternden Belegschaften nur eine sind, und als strategiefähige Akteure unterschiedliche Möglichkeiten haben, selbst bei identischen Herausforderungen zu agieren. Die Folgen des demografischen Wandels für die Organisation menschlicher Arbeit auf betrieblicher Ebene entziehen sich daher einer genauen Prognose.» (Brussig, 295)
Was es allerdings gibt, sind Trends und Strategiefelder.
Sibylle Adenauer vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V. plädiert mit Kolleginnen und Kollegen für eine «Leistungsförderliche demografiefeste Personalarbeit» (Adenauer et al. 2015, 219, Grafik).
Als Handlungsfelder identifiziert sie:
- Personalpolitik und Personalstrategie realisieren
- Arbeit gestalten
- Arbeitszeit gestalten
- Gesundheit aktiv gestalten
- Unternehmenskultur und Führung optimieren
- Wissen sichern und weitergeben. (Adenauer, Grafik, 219)
An allgemeinen strategischen Festlegungen im Rahmen einer demografiesensiblen Personalpolitik nennt sie:
- Strategische Planungen zur Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern und Führungskräften,
- Strategien zu Aus- und Weiterbildung sowie zur bedarfsgerechten Qualifizierung,
- die Festlegung der Entgeltpolitik,
- die Laufbahnplanung,
- Fragen der betrieblichen Erfolgsbeteiligung,
- die betriebliche Altersvorsorge und
- die betriebliche Mitbestimmung. (Adenauer 2015, 220).
Verblüffend ist, dass die Betriebe in ihren Strategien unflexibel bis festgefahren erscheinen. Unternehmer sind keineswegs weitsichtiger als Politiker. Innovativ ist das jedenfalls nicht, was die Nord/LB-Studie feststellt.
«Die ‹Beschäftigungsfähigkeit älterer Mitarbeiter› zu erhalten, wird bereits von über der Hälfte der Betriebe (59 %) verfolgt. Auch gegenwärtig schon darauf zu achten, ‹Jüngere einzustellen› wird von einer Mehrheit der Betriebe angegeben (56 %). Die Möglichkeiten ‹zunehmend Frauen› zu rekrutieren bzw. ‹bewusst ältere Bewerber einzustellen› wird dagegen lediglich von einem Drittel bzw. einem knappen Drittel der Firmen als bereits beschrittener Rekrutierungsweg angeführt. Den Aussagen, ‹sich stärker um ausländische Fachkräfte zu bemühen› oder dass ‹Quereinsteiger zunehmend interessant werden›, stimmt lediglich (knapp) jeder fünfte Betrieb zu. Junge Menschen mit fehlendem Bildungsabschluss haben bei fast allen Betrieben keine Chance. Über 90 % schließen diese Gruppe bei gegenwärtigen bzw. künftigen Rekrutierungsaktivitäten aus.» (Brandt 2010, 60)
Vermutlich muss der Leidensdruck noch steigen, um die Unternehmen zu bewegen, sich neuen Lösungen zuzuwenden. Der Politik muss klar sein, dass junge Menschen mit fehlendem Bildungsabschluss auch künftig keine Chance auf Einstellung haben. Ohne gezielte Eingliederungsprogramme wird es nicht möglich sein, ihnen eine faire, angemessene Chance zu geben, da die Wirtschaftsunternehmen dazu offensichtlich weder bereit noch in der Lage sind.
Wichtig ist, die Unternehmen für fundamentale Erkenntnisse des demografischen Wandels zu sensibilisieren.
Die Altersstruktur ist auf Jahre kaum in Richtung Verjüngung veränderbar, die Sterberate ist höher als die Geburtenrate, die Fertilitätsrate der deutschen Gesellschaft lässt sich nicht kurzfristig verändern, weil dies mit demografischen Fakten und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen fundamental zusammenhängt. Wer also jetzt von einer Entspannung auf dem demografischen Sektor redet, die es so nicht gibt, provoziert falsche Weichenstellungen.
Die «Initiative Fachkräfte» beschreibt die Situation treffend: «Der Demografische Wandel ist langfristig nicht um-kehrbar. Die Zahl der erwerbsfähigen Menschen sinkt. Antizyklisch wirken könnten in einem gewissen Maß eine Steigerung der Frauenarbeitsquote (unter anderem ermöglicht durch eine bessere Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen), die Inklusion von behinderten Menschen in den Arbeitsprozess, die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland (Stichwort: Blue-Card) sowie eine Verbesserung des Bildungsgrades von Schulabgängern mit einhergehender Senkung der Arbeitslosenzahl.
Die Zahl der Rentner wird sich durch den Demografischen Wandel sukzessive bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Der künftige Bedarf an Mitarbeitern kollidiert mit dem Umstand, dass in den kommenden Jahren die geburtenschwachen Jahrgänge in das Berufsleben einsteigen. Das daraus resultierende Defizit an Erwerbstätigen wird die große Herausforderung für die deutsche Wirtschaft sein. Besonders der Mittelstand ist aufgerufen, das Feld nicht den bereits handelnden Konzernen zu überlassen. Es gibt zahlreiche Mittel und empfehlenswerte Maßnahmen, mit denen auch der Mittelstand dem Fachkräftemangel aktiv begegnen kann.»(http://www.inifa.de/demografische-wandel/)
Die Strategie kann nur lauten: Systematisch und mit neuen, kreativen Ansätzen die Herausforderungen des demografischen Wandels meistern. Es darf die gesungene Stellenanzeige sein, die Messe für junge Menschen, der Ausbau des betrieblichen Gesundheitswesens, die Qualifizierung und Weiterbildung, die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte, die Gewinnung älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Recruiting im Internet, Social Media Aktivitäten bieten Chancen, auf Dauer qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Selbstverständlich gehören dazu auch faire Bezahlung und Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand – Themen, die derzeit noch kaum diskutiert werden. Dabei sind sie ein halbes Jahrhundert alt.
Es ist an der Zeit, dass der Mittelstand sich bewegt.
Literatur
Adenauer, Sibylle et al. (2015): Handlungsfeld «Personalpolitik und Personalstrategie realisieren» – in: Leistungsfähigkeit im Betrieb. Kompendium für den Betriebspraktiker zur Bewältigung des demografischen Wandels. S. 219-336.
Bödeker, Wolfgang / Barthelmes, Ina (2011): Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufe mit hoher Krankheitslast in Deutschland. Synopse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ergänzende Datenanalysen . Initiative Gesundheit und Arbeit, iga-Report 22.
Brandt, Arno / Brunken, Kerstin et al. (2010): Fachkräftemangel und demografischer Wandel bis 2020. Gutachten im Auftrag der Region Hannover. Teil II: Handlungsansätze für kleine und mittlere Unternehmen in der wissensintensiven Wirtschaft in der Region Hannover. Im Auftrag der Region Hannover. Hannover und Halle: NordLB Regionalwirtschaft.
Brücker, Herbert et al. (2014): Neue Muster der Migration. IAB-Kurzbericht 21:3-12. (DIW- Wochenbericht 43:1126–1135).
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Brücker, Herbert / Kroh, Martin et al. (2014): The new IAB-SOEP migration sample: An introduction into the methodology and the contents. SOEP Survey Papers, Series C, 216.
Brussig, Martin (2016): Demografischer Wandel, Alterung und Arbeitsmarkt in Deutschland. In: Hank/Kreyenfeld: Social Demography Forschung an der Schnittstelle von Soziologie und Demografie. S. 295-324.
Deller/Kolb (2010): Herausforderung Demografie und Wandel der Arbeitsgesellschaft. In: Angewandte Psychologie für das Human Resource Management : Konzepte und Instrumente für ein wirkungsvolles Personalmanagement; mit 35 Tabellen. – Berlin [u.a.] : Springer, S. 421-433.
Fuchs, Johann (2013): Demografie und Fachkräftemangel. Die künftigen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, Jg. 56, H. 3, S. 399-405.
Garloff, Alfred; Wapler, Rüdiger (2016): Labour shortages and replacement demand in Germany − The (non)-consequences of demographic change. (IAB-Discussion Paper, 05/2016), Nürnberg.
Heimann, Karsten (2014): «Demografischer Wandel setzt uns unter Druck“. In: VDI Nachrichten 2014, Ausg. 22 v. 30.5. 2014,
Initiative Fachkräfte (o.J.): Der Demografische Wandel und der Fachkräftemangel – Eine besondere Herausforderung für Deutschland. http://www.inifa.de/demografischewandel/
Koppel, Oliver/ Plünnecke, Axel (2010): Fachkräftemangel in Deutschland : bildungsökonomische Analyse, politische Handlungsempfehlungen, Wachstums- und Fiskaleffekte. Köln: DIW.
Lange, Joachim (Hg.) (2013): Was kann regionale Wirtschaftsförderung zur Fachkräftesicherung beitragen? : [Dokumentation einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum vom 6. bis 7. November 2012]. Rehburg-Loccum: Evangl. Akademie Loccum.
Schrumpfen und verkalken?
Demografie ist nicht sexy. Schrumpfen, Altern, Rückbauen und Abreißen sind keine Themen, die erfolgsorientierte Politikerinnen und Politiker zu großen Taten animieren. Ich war zunächst auch nicht begeistert davon. Heute bin ich Demografie-Freak.
Denn der demografische Wandel ist ein Megathema, das viele Politikbereiche berührt. Im Kern geht es um die Frage, wie wir morgen leben wollen, wenn eine Gesellschaft schrumpft und altert. Das schlägt sich seit einiger Zeit in Buchtiteln und Schlagzeilen nieder. Provoziert der demografische Wandel eine Epochenwende in Deutschland und Europa? Steht die Mobilmachung für den «Krieg der Generationen» bevor, den Schirrmacher in seinem Bestseller «Das Methusalem-Komplott» beschwört? Wird die Bevölkerungsmehrheit der Alten künftig ihre Interessen kämpferisch zu Lasten der jungen Generation durchsetzen? Wie verkalkt wird ein alterndes Deutschland sein, dem die Jugend und die Frische fehlt? Rauben wir unseren Kindern und Enkeln – wenn wir sie denn haben – Lebens- und Entwicklungsperspektiven? Sind wir dann «Zukunftsdiebe», um einen Begriff von Heidi Schüller aufzugreifen?
Oder müssen wir keine Angst haben in einem allmählich vergreisenden Land, weil wir ewig jung bleiben und nur die Anderen altern, wie Elisabeth Niejahr ironisch bemerkt?
Dürfen wir vielleicht sogar rufen: «Toll, endlich Platz» (Straubhaar 2005), weil wir weniger lästige Nachbarn in unserem persönlichen Schrebergarten-Umfeld ertragen müssen? Freuen wir uns über mehr Dorf für weniger Menschen?
Überhaupt ist zu fragen, ob das Lamento der Demographen nur ein anschwellender Bocksgesang von Alarmisten ist, die mit Reformlügen, Denkfehlern, Mythen und Legenden die Grundlagen dafür legen, bewährte soziale Strukturen unseres Gemeinwesens zu opfern, um dem Kapitalismus zum endgültigen Sieg zu verhelfen. Es gibt ein kleine Gruppe von Publizisten und Soziologen, die dies (wider besseres Wissen) behauptet.
Oder geben kritische Studien von Demographen, Wirtschaftswissenschaftlern, Rentenexperten, Zukunftsforschern und Stadtplanern tatsächlich Anlass zur Sorge? Und wenn ja: Wie sollen Bürgerinnen und Bürger, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darauf reagieren? Sollen sie sich dem Trend entgegenstemmen? Sollen sie unvermeidliche Transformationsprozesse mitgestalten oder gleich Abschied vom Wachstumskurs nehmen? Sollen sie fatalistisch zuschauen, wenn wir altern und schrumpfen? Sollen sie sich dem Trend entgegenstemmen? Oder einfach nach dem Rückzug aus der Welt des Wachstums den «Luxus der Leere» genießen, wie es der Architekt Wolfgang Kil empfohlen hat?
Es sind nicht die einzigen provozierenden Fragen, die in jüngster Zeit immer häufiger gestellt werden. Bricht der Pflegenotstand aus, weil wir zu wenig Fachpersonal und immer mehr demenzkranke Menschen haben? Oder schieben Angehörige ihre Alten in Billigländer mit Billigpflege ab – wie bereits geschehen? Drohen neue Schulschließungswellen, wie wir sie in Ostdeutschland und im Saarland erlebt haben? Macht im ländlichen Raum 2035 der Letzte die Tür im Dorf zu? Werden dann wieder Wölfe auf dem Land heimisch? Kommt nach dem Umbau Ost der Abriss West?
All diese kritischen Fragen sind verständlich, werden aber von einer Minderheit von Soziologen als apokalyptischer Bevölkerungsdiskurs kritisiert. In seinem letzten Buch hat der verstorbene Soziologe Karl-Otto Hondrich die provozierende Frage gestellt, ob nicht weniger am Ende mehr sind. Die Frage ist leider falsch gestellt, weil all unsere Infrastruktur- und Versorgungssysteme auf Wachstum, eine bestimmte Zahl von Menschen und immer höheren Verbrauch eingestellt sind. Doch wozu immer mehr verbrauchen, wenn die Zahl der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr steigt, in Teilen sogar sinkt? Das wäre unverantwortlich gegenüber kommenden Generationen. So bleibt Hondrichs Aussage eine skurrile Sondermeinung.
Die Realität sieht anders, kritischer, teilweise auch dramatischer aus als die Wunschwirklichkeit linker Soziologen. Nichts bleibt, wie es ist, wir erleben das «Ende der Welt, wie wir sie kannten» (Leggewie/Welzer) und müssen nun Transformationsprozesse gestalten, die von der lokalen bis zur europäischen Ebene reichen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Deshalb führt an fundamentalen Veränderungen kein Weg vorbei. Menschen hassen solche Umbrüche. Sie wollen Sicherheit. Umso wichtiger ist es, die zu erwartenden Veränderungen gut zu managen. Man muss nicht fatalistisch zuschauen, sondern kann zumindest in Teilbereichen vernünftig steuern. Einfach wird dies allerdings nicht. Patentrezepte gibt es nicht. Wir sind mitten in einem dynamischen Prozess, der in unterschiedlichen Regionen auch sehr unterschiedlich verläuft. Die Wissenschaft hat mehr als 15 verschiedene Entwicklungsmuster im demografischen Wandel diagnostiziert.
Aber der demografische Wandel ist nicht nur ein Problem. Er bietet Chancen, und er eröffnet neue Perspektiven in diversen wichtigen Bereichen, etwa in der Gesundheitswirtschaft oder bei der Gestaltung der betrieblichen Praxis in Unternehmen. Demografischer Wandel animiert (oder zwingt) zu interkommunaler Zusammenarbeit, zu Kooperationen zwischen Unternehmen, öffentlicher Hand und Institutionen, zu Innovationen im Wissensmanagement und in der Bildung.
Vielleicht trägt er sogar zur Entschleunigung und zu einem angenehmeren Lebensumfeld bei, das angesichts der Herausforderungen des Klimawandels nicht mehr primär unter dem Vorzeichen autogerechter, sondern menschengerechter Stadtgestaltung zu sehen ist. Allerdings funktioniert dies nur, wenn Potenziale und Ressourcen im positiven Sinne für neue Wege oder gar einen Neubeginn in wesentlichen Politikbereichen genutzt werden.
Demografischer Wandel soll nicht passiv erlitten, sondern offensiv gestaltet werden. Dass dabei das Thema Nachhaltigkeit eine zunehmend wichtige Rolle spielt, ist positiv zu bewerten.
Die Europäische Union hat seit 2005 sehr differenziert auf Chancen und Risiken des demografischen Wandels informiert. Sie sieht vor allem die Chance für eine neue Solidarität zwischen den Generationen. Die EU-Strategie ist auf praktikable Lösungsmöglichkeiten ausgerichtet. Die Kommission beispielsweise setzt auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie sowie auf Pilotprojekte, die die Anpassung vorhandener Infrastrukturen und Dienstleistungen an die sich verändernden Bedürfnisse einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung in Europa anstreben.
Bei der Bildung soll es in der Fülle der Negativmeldungen die Chance einer Demografie-Rendite zur Finanzierung einer nachhaltig wirksamen Bildungsreform geben: «Mit gegebenen Mitteln kann bei einer sinkenden Schülerzahl eine bessere Infrastruktur pro Schüler finanziert werden.» (Plünnecke 2006, 274). Voraussetzung ist aber, dass die öffentliche Hand sich nicht in gleichem Maße weiter zurückzieht wie die Schülerzahlen sinken.
Stadtentwicklung, Governance, Sozial- und Familienpolitik, Regionalpolitik und Raumgestaltung haben stets auch eine demografische Komponente.
Die Relevanz des demografischen Wandels wurde von den Kommunen erkannt. Aber die verwirrenden Zahlen der Bevölkerungsforscher, der Statistischen Landesämter, des Statistischen Bundesamts, die voreiligen Entwarnungsmeldungen diverser Medien vermitteln eine trügerische Sicherheit. Dabei sind doch die Alters- und Pflegeprobleme nirgendwo gelöst, und auch die Erosionsprobleme in den Vereinen gehen weiter. Es fällt immer schwerer, Vorstandsnachwuchs zu finden. Chöre geben auf, Jugendfußballabteilungen fusionieren. Und in einem solchen Umfeld soll der demografische Wandel kein Thema mehr sein? Da schwadroniert Prof. Thomas Straubhaar, dem wir schon den unsinnigen Ausruf «Toll, endlich Platz!» aus dem Jahr 2005 verdanken, von den falschen zehn Mythen der Demografie (Straubhaar 2016), statt sich mit den wirklich realen Fragen des Dorflebens zu befassen. Man möchte weinen ob solcher professoralen Ignoranz.
Den kleinen Gemeinden hilft diese angebliche Entwarnung wenig. Sie müssen neben dem nach wie vor latent vorhandenen demografischen Wandel auch die Flüchtlingsfragen lokal managen, obwohl sie darauf nicht eingestellt waren. Wobei Migrationsfragen immer schon demografische Fragen waren. So gesehen ist der dünne Buch-Aufguss eines Thomas Straubhaar für Kommunen kontraproduktiv, weil falsche Signale gesandt werden. Damit geraten die kleinen Gemeinden in ein doppeltes Dilemma: Sie haben die ungelösten Probleme und keine Strategie.
Fakt ist: Kleinere Kommunen haben nicht die Planungsressourcen und Kapazitäten größerer Städte. Sie erleben das Dilemma, dass sie nur unter Schwierigkeiten langfristig wirksame Anpassungsstrategien an die sich verändernde Bevölkerungsentwicklung generieren können, da ihnen finanzielle und personelle Ressourcen dafür weitgehend fehlen. Die politische Begleitung und Gestaltung von Veränderungsprozessen kostet aber Geld.
Im Westen Deutschlands ist das Saarland stark vom demografischen Wandel betroffen. Dort können angesichts des bereits fortgeschrittenen demografischen Wandels strukturelle Folgen modellhaft aufgezeigt werden. Das Saarland eignet sich deshalb gut als Anschauungsobjekt.
Schon jetzt verzeichnet dieses kleine Bundesland die mit Abstand niedrigste Geburtenrate aller Bundesländer. Verschärfend kommt die Haushaltsnotlage des Saarlandes mit einer extremen Verschuldung hinzu, die sich auf die Haushaltssituation der Kommunen im Saarland signifikant auswirkt. Inzwischen sind fast alle saarländischen Kommunen hoch defizitär. Vor allem die Höhe der aufgelaufenen Liquiditätskredite ist als kritisch anzusehen. Damit droht den Kommunen, aber auch dem Land über kurz oder lang Handlungsunfähigkeit.
Während es in der Deutschland mindestens 15 Muster der demografischen Entwicklung gibt, sind es im Saarland nur zwei: Wachstum in der Gemeinde Perl, die unmittelbar an der Grenze zum Großherzogtum Luxemburg liegt, und Schrumpfung in Verbindung mit Stagnation und fehlender Dynamik im Rest des Landes. Es gibt keine Chance, diesen Trend auf absehbare Zeit zu verändern.
An der Notwendigkeit, jetzt aktiv zu werden, besteht deshalb kein Zweifel. Das ist die Wahrheit, und die Wahrheit ist den Bürgern zumutbar, um mit Ingeborg Bachmann zu reden.
Die Handlungsanweisungen lauten:
Problemlösung statt Attentismus oder Fatalismus, strategisches Handeln statt Durchwurstelei, partizipative Planung statt Basta-Entscheidungen von oben, Kooperationen statt interkommunalem Kannibalismus.
Die Zukunft gehört denen, die proaktiv handeln. Die Kommunen haben keine Zeit zu verlieren.
Abenteuer Demografie
Der demografische Wandel ist mitten in der Gesellschaft angekommen
Risiko! Die Einwohnerzahlen sinken, die Gesellschaft altert spürbar, die Auslastung der Infrastruktureinrichtungen wird schwächer, in Ostdeutschland werden ganze Stadtquartiere im Rahmen des «Umbaus Ost» abgerissen, in Westdeutschland zählen Industriebrachen, leer stehende Wohnhäuser und Geschäfte immer häufiger zum Alltagsbild und sorgen für Problemdruck in der lokalen Politik.
Bürgermeister und Stadträte stehen zunehmend vor Herausforderungen, die sie so nicht kannten. Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken: Die Probleme der Demografie verschwinden dadurch nicht. Sie werden auch nicht vorbeigehen, wenn Kommunen Geburtsprämien zahlen. Das ist lächerliches Kurieren an Symptomen, hat aber keine nachhaltige Wirkung.
Der demografische Wandel ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Betroffen sind längst nicht mehr nur die ostdeutschen Länder. Die Westdeutschen stehen vor einer großen Herausforderung, die vielen Politikern, Unternehmern, Vereinsvorständen, Schulleiterinnen und Schulleitern Bürgerinnen und Bürgern noch nicht bewusst ist.
Schon seit Jahren ist erkennbar, dass die Alterung der Gesellschaft auch die Kommunen der alten Bundesrepublik betrifft. Dabei gewinnt der Begriff «alte Bundesrepublik» eine Bedeutung, die das Problem auf den Punkt bringt: Die alte Bundesrepublik Deutschland – geprägt durch einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg, die starke Ökonomisierung des Lebens, die Konsumorientierung und die Folgen der 68er Revolution – war auch eine Gesellschaft, die sich nicht mehr ausreichend verjüngte, weil sie andere Prioritäten setzte. Seit dem Pillenknick und der sexuellen Revolution ist die Ein-Kind-Familie eher die Regel als die Ausnahme, ist der bewusste Verzicht auf Kinder eine viel gerühmte Option für diejenigen, die sich selbst verwirklichen wollen. Das ist legitim und soll an dieser Stelle auch nicht in Frage gestellt werden. Hier soll lediglich beschrieben werden, welche weit reichenden Folgen die in den 1960er Jahren beginnende Total-Ökonomisierung der Gesellschaft mit ihrem kinderfeindlichen Touch hatte und immer noch hat.
Erst waren die Kinder ein Problem, heute sind es die alten bis hochbetagten Menschen und insbesondere demenzkranke Menschen. Sollen sie möglicherweise in «Bewahranstalten» und «Alten-Asylen» ihre letzten Jahre verbringen? Wäre das menschlich? Fair? Sozial?
Es geht um Solidarität der Generationen, es geht dabei auch um die Bereitschaft der Besitzenden, der Wohlhabenden, zu teilen. Und es ist auch von großer Bedeutung, Verantwortung zu übernehmen und eine Gesellschaft für alle zu bauen. Wir brauchen keinen Krieg der Generationen (Schirrmacher), sondern Dialog und Kooperation. Dabei steht nicht die Frage «Können wir das alles noch bezahlen?» im Vordergrund, sondern das große Thema «Verantwortung und Dialog der Generationen». Blaupausen dafür gibt es bisher nicht. Viele Modellprojekte erproben Herangehensweisen an ein schwieriges Thema. Aber die wenigsten Projektergebnisse lassen sich generalisieren. In dieser Trial-and-Error-Phase muss kreativ probiert werden, was geht und was funktioniert. Das erfordert und Mut und Resilienz, wenn Rückschläge hinzunehmen sind.
Paradigmenwechsel
Der demografische Wandel verändert die deutsche Gesellschaft gravierend, wenn auch in einem schleichenden Prozess (König 2011; Altrock 2008). Das betrifft im übrigen nicht nur Deutschland, wie die Null-Zins-Politik der EZB-belegt: Demografie trifft auf Wachstumsschwäche und Migrationsfolgen. Die Folgen dieses Wandels rütteln an Grundfesten dessen, was bisher unter erfolgreicher Kommunalpolitik verstanden wurde.
Galten Neubaugebiete im Grünen, Neuinvestitionen in soziale und kulturelle Infrastruktur und neue Sportanlagen über Jahre als Erfolgsgaranten erfolgreicher Kommunalpolitik, so müssen sich die Bürger, Politiker und Verwaltungen nun mit Stagnation, Schrumpfung, der Schließung von Einrichtungen und mit dem Abriss von Gebäuden auseinandersetzen. Für die Politik stellt sich das Problem, ob und wie bei den Wählern Zustimmung für Konsolidierung, Schrumpfung, Rückbau und gezielte Profilierung zu gewinnen ist.
Positiv ist allerdings, dass die Forderung nach «Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit» (Lenk 2009, 99) im Trend liegt. Den Verantwortlichen kann nur empfohlen werden, die Symptome des demografischen Wandels offen zu diskutieren und auch Negativ-Varianten in ihre strategischen Überlegungen einzubeziehen.
Die Zeit ewigen Wachstums ist vorbei
Das Wachstumsparadigma einer auf Expansion getrimmten Gesellschaft wird erstmals seit der Club-of-Rome-Studie «Die Grenzen des Wachstums» 1972 und der Ölkrise ernsthaft infrage gestellt. Irmi Seidl und Angelika Zahrnt sprechen bereits von der «Postwachstumsgesellschaft» (2010). Während ein geradezu borniert argumentierender Wachstumsfetischist, der liberale Wirtschaftsprofessor Karl-Heinz Paqué, die Zeichen der Zeit nicht erkennen will (2010), stellen die Wissenschaftlerinnen Seidl und Zahrnt nüchtern fest: «Aktive Wachstumspolitik stößt auf gesättigte Märkte» (Seidl/Zahrnt, 2010, 34). Sie berufen sich auf die «Logik der Begrenztheit der Erde» (Seidl/Zahrnt,, 32). Und es stimmt ja auch nicht, dass Wirtschaftswachstum dafür sorgt, dass die soziale Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ausgeglichen wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die Schere hat sich gerade in den Boomzeiten der 1990er Jahre weiter denn je geöffnet.
Um so erfreulicher ist, dass Reinhard Loske nun Alternativen zum Wachstumszwang (2011, 2013) aufzeigt. Er plädiert für «einen Kulturwandel» in Richtung Suffizienz, Genügsamkeit und Maßhalten. Loske wünscht, dass wir endlich schrumpfen dürfen. Im demografischen Wandel muss dies zum neuen Paradigma werden, auch wenn viele Politiker und Wissenschaftler dies noch immer nicht akzeptieren wollen. Fakt ist: Die Zeit ewigen Wachstums ist vorbei. Bevölkerungspolitisch gibt es sie in Deutschland ohnehin schon lange nicht mehr.
«Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar», hat Ingeborg Bachmann geschrieben. Das gilt nicht nur für die große Politik. Der Satz muss auch von den Akteurinnen und Akteuren der Kommunalpolitik akzeptiert und konsequent im politischen Alltag umgesetzt werden.
Das Ende der alten Lokalpolitik
Erst jetzt wird vielen bewusst, wie weitreichend die Folgen des demografischen Wandels auch auf lokaler Ebene sind. Er hat Auswirkungen auf die kommunale Infrastruktur, auf Haushalt und Finanzen, die Höhe von Steuern, Abgaben und Gebühren, die Prioritäten kommunaler Ratsthemen, den Städtebau, die Siedlungspolitik, die Flächennutzungsplanung, die Verkehrsplanung und den ÖPNV, die Angebote an Schulen, Kindergärten und Einrichtungen zur Tagesbetreuung, den Einzelhandel und die Wirtschaft, die Versorgungslage, die soziale Balance, die Gestaltung des öffentlichen Raums für eine alternde Bevölkerung, den so genannten Generationenvertrag, die Seniorenpolitik, das Ehrenamt und auf Governancefragen. Kommunale Verwaltungen, Stadt- und Gemeinderäte sind direkt betroffen.
In Studien sind bis zu 18 lokale Policy-Felder identifiziert worden, die vom demografischen Wandel direkt betroffen sind. Und doch tun sich Verwaltungen schwer, angemessen auf die Veränderungen zu reagieren. Während die Bürgermeister den Ernst der Lage erkannt haben (Jonda 2012), fühlen sich viele Beamte und Beschäftigte nicht zuständig – als sei die Bewältigung des demografischen Wandels nur ein Thema für Stabsstellen, Arbeitskreise, Projektgruppen. Fakt ist, dass Haupt- und Querschnittsämter ebenso involviert sind wie Kämmereien, Bauämter, Sozialämter.
Gemeindeentwicklung, Finanzen und Vermögen, Wirtschaft, Handel, Arbeit, Tourismus, Energieversorgung, Netzinfrastruktur, Verkehr und barrierefreie Mobilität, öffentliche Sicherheit und Ordnung, Bildung, Wissen, Erziehung, Kindergärten, Krippen, Schulen, Familienpolitik – all diese Einzelthemen hängen direkt mit demografischem Wandel zusammen. Es ist also völlig unmöglich, sich als Verwaltungsmensch nicht mit Demografie zu beschäftigen.
Noch lästiger ist Demografie für Kommunalpolitiker. Sie verkünden am liebsten Erfolge. Damit ließe sich bisher Wahlsiege programmieren. Aber so einfach funktioniert das nicht mehr.
Demografischer Wandel verspricht keine Siege, sondern vorwiegend Negativmeldungen. Wer glaubt schon, dass man damit Wahlen gewinnen kann? Weil dies so ist, vermeiden Kommunalpolitiker das sperrige Thema, wo sie können. Sie sind in der Regel nicht bereit, sich der Wahrheit zu stellen.
Es wird aber in Zukunft nicht mehr möglich sein, sich den Realitäten einer sich wandelnden Gesellschaft zu verweigern. Wer zu spät kommt, den wird das Leben bestrafen. Illingen 2030 hat bewiesen, dass man mit Demografie Bürgermeisterwahlen gewinnen kann. Das ist eine positive Erkenntnis, die alle Mutigen ermuntern sollte.
Begriffsbestimmungen
Demografischer Wandel
Demografischer Wandel bezeichnet die Veränderung der Alters- und Sozialstruktur einer Bevölkerung sowie der Einwohnerzahl im Zeitverlauf durch unterschiedliche Fertilität, Mortalität und Mobilität zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Charakteristisch für die demografischen Entwicklung in Deutschland sind stagnierende oder sinkende Geburtenraten, ein damit zusammenhängender Kindermangel, steigende Lebenserwartung, die (Über-)Alterung der Gesellschaft, Bevölkerungsrückgang in Städten und Regionen, selektive Wanderungen, die Zunahme leerer Wohnungen und Häuser und die Destabilisierung der Generationenbalance. Hinzu kommen Probleme der Singularisierung und der Heterogenisierung.
Bevölkerungsfortschreibung
Empirisch lässt sich der demografische Wandel retrospektiv anhand der Bevölkerungsfortschreibung analysieren. Es handelt sich um eine offizielle statistische Berechnung auf der Grundlage vorliegender Daten. Sie wird jährlich vorgenommen und umfasst die Addition der Geburten und Zuzüge zum aktuellen Bevölkerungsstand zum Ende des Vorjahres. Davon werden Sterbefälle und Fortzüge auf einem Gebiet während eines Jahres abgezogen. Grundlage kann eine Volkszählung (Makrozensus) sein. In der Regel ist es jedoch die jährlich vorgenommenen Fortschreibung der Meldeämter. Genau dies ist problematisch, denn dieser Datenbestand ist fehleranfällig. Wie hoch die Fehlerquote sein kann, belegt das Ergebnis des letzten Mikrozensus. Andererseits können Volkszählungen wegen des hohen Aufwands nur unregelmäßig in längeren Zeitabständen vorgenommen werden. Größte Fehlerquelle ist die unterlassene Abmeldung bei Umzügen. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, die amtlichen Einwohnerzahlen zu liefern.
Bevölkerungsstatistik
Aufgabe der Bevölkerungsstatistik ist die methodische Messung und Aufbereitung des Umfangs und der Strukturen von Bevölkerungen sowie deren Veränderungen im Zeitablauf. Zu den bevölkerungsstatistischen Daten gehören Geburten, Sterbefälle, Heiraten, Einwohnerzahlen. Tabellen und grafische Darstellungen vermitteln einen anschaulichen Überblick über Verteilungen statistischer Massen, insbesondere über Häufigkeiten und prozentuale Verteilungen sowie Veränderungen im Zeitablauf.
Bevölkerungsentwicklung
Die Bevölkerungsentwicklung ist vor allem für politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen von besonderer Bedeutung.
«Die zeitliche Veränderung des Bevölkerungsstandes charakterisiert die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Mit den Ergebnissen des Zensus 2011 wird die Berechnung des Bevölkerungsstandes auf eine neue Grundlage gestellt. Während eines Jahres steigt die Bevölkerungszahl durch Geburten und Zuzüge aus dem Ausland und wird gleichzeitig durch Sterbefälle und Fortzüge ins Ausland vermindert. In Deutschland gibt es seit Längerem ein Geburtendefizit, da jedes Jahr mehr Personen sterben als geboren werden. Die Rubrik Wanderungen umfasst Daten zu Personen, die Deutschland verlassen haben oder hierher gekommen sind. Entscheidend für die Bevölkerungsentwicklung ist die Differenz zwischen Zuzügen und Fortzügen, der so genannte Wanderungssaldo.» (Statistisches Bundesamt)
Bevölkerungsbilanz
«Die Bevölkerungsbilanz zeigt den Anstieg bzw. Rückgang der Bevölkerungszahl innerhalb eines Zeitraumes und eines bestimmten Gebietes an und ist das Gesamtergebnis von natürlicher und räumlicher Bevölkerungsbewegung. Bis zum Jahr 2002 wies Deutschland einen Bevölkerungszuwachs aus, weil die Wanderungsgewinne höher ausfielen als die Verluste aus der natürlichen Bevölkerungsbewegung. Von 2003 bis 2010 war dies nicht mehr der Fall und die Bevölkerungszahl in Deutschland sank. Mit den hohen Zuwanderungsüberschüssen des Jahres 2011 änderte sich dies wieder.» (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung BiB 2014)
Bevölkerungsanalysen
Bevölkerungs- oder Demografie-Analysen sind dann aussagekräftig, wenn sie auf Zeitreihenvergleichen der offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes beruhen. Die Daten haben eine hohe Plausibilität und Relevanz.
Demografische Trends
Die voraussichtliche Zukunftsentwicklung wird auf der Grundlage der offiziellen Bevölkerungsvorausberechnung prognostiziert. Daraus lassen sich demografische Trends zur Bevölkerungsentwicklung, zur Altersentwicklung, zur Altersbalance und zahlreiche Einzelaspekte ableiten. Demografische Trends sind mit Unsicherheiten behaftet.
Bevölkerungsvorausberechnung
Bevölkerungsvorausberechnungen sind statistische Prognosen auf der Grundlage aktueller amtlicher Meldedaten, die zeigen, «wie sich die Bevölkerungszahl und der Altersaufbau der Bevölkerung unter bestimmten Annahmen zur Entwicklung wesentlicher Komponenten der Bevölkerungsbewegung – Geburtenhäufigkeit, Sterblichkeit und Wanderungen – innerhalb eines festgelegten Zeithorizonts verändern.» Dazu berechnet das Statistische Bundesamt unterschiedliche Varianten über einen längeren Zeitraum. Sie lassen sich vom Bund auf Länder und Regionen übertragen. Die Fertilität gilt als Variable, die sich im Zeitverlauf nur langsam verändert. Dagegen wirken sich im regionalen Vergleich Wanderungsbewegungen schon in kürzeren Zeitabständen signifikant auf die Bevölkerungsentwicklung aus. Solche Wanderungsbewegungen sind kaum zu prognostizieren und hängen von Sonderentwicklungen und Zufällen ab. Damit sind Fehlerquellen für Bevölkerungsprognosen systemimmanent.
Modellrechnungen bilden nicht die Zukunft ab, sie sind lediglich wahrscheinliche Varianten. Abbildungen der Realität sind dagegen die bisher eingetretenen Veränderungen – etwa der Bevölkerungszahl oder der Geburtenzahl pro Jahr.
Unsicher bleibt, warum die jeweiligen Entwicklungen eingetreten sind, weil prinzipiell zu viele verschiedene Variablen in diesem komplexen System nachhaltige Wirkungen auslösen können. Je kleinteiliger die Betrachtung, desto schwieriger sind die Trends zu interpretieren und zu prognostizieren. Derzeit ist die 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2015 aktuell.
Der demografische Wandel hat erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur und die Finanzen der Kommunen. Schon jetzt wird vielfach die kommunale Infrastruktur unzureichend ausgelastet. Das wird sich noch deutlich verschärfen. Besonders betroffene Bundesländer mit Problemregionen und eine Reihe von Städten und Gemeinden arbeiten schon lange an Gegenstrategien, haben damit aber nur begrenzten Erfolg. Anpassungen sind unvermeidbar. Daraus resultieren schwindende Handlungsspielräume für Räte und Verwaltungen. Wohltaten sind nicht mehr zu verteilen, stattdessen ist über Schließung, Abriss und Rückbau zu diskutieren.
Dass sich der demografische Wandel auf die Gebührenkalkulation und die Gebührenentwicklung auswirken kann, haben zahlreiche Bürger inzwischen erfahren. Sie können allerdings nicht verstehen, dass sie trotz erfolgreicher Sparanstrengungen (z.B. Wasserverbrauch) mehr bezahlen müssen. Solche Entwicklungen sorgen für Verdruss bei den Wählern und bergen ein nicht zu unterschätzendes politisches Konfliktpotenzial. Betriebswirtschaftlich sind diese Folgen kaum zu vermeiden. Deshalb müssen die Kommunen darauf politisch reagieren – auch durch Public-Value-Schwerpunktsetzungen. Mit Begeisterung wird dies von der Bevölkerung nicht aufgenommen.
Essentials zur Demografie
1 Demografischer Wandel ist Realität
Demografischer Wandel findet statt. Er ist kein Phänomen von morgen, sondern Realität heute. Damit müssen sich Politiker aller Ebenen auseinander setzen. Nach jetziger Kenntnis wird der demografische Wandel die Gesellschaft in einem Prognose-Zeitraum von 30 Jahren spürbar verändern. Das Land wird ethnisch heterogener, die Bevölkerung wird tendenziell älter, da die Lebenserwartung gestiegen und die Fertilität gesunken ist. Die niedrige Fertilitätsrate ist die Hauptursache der Schrumpfung und der relativen Alterung. Negativeffekte aus der Schrumpfung und der Alterung der Bevölkerung können sich gegenseitig verstärken.
Die Deutschen sterben aber nicht aus. Entsprechende Äußerungen sind statistisch selbst für einen langen Prognosezeitraum zu widerlegen. Die wachsende ethnische Heterogenität durch Zuwanderung hat Auswirkungen auf das Alltagsleben. Menschen mit Migrationshintergrund werden eine zunehmende Rolle auf lokale Policies haben. Auch als Wähler und Repräsentanten werden sie relevant. Die massiv erhöhte Zuwanderung erfordert einen Paradigmenwechsel mit verstärkten Integrationsbemühungen und dem Werben um junge, gut ausgebildete Zuwanderer erfordern. Das Problem ist derzeit ungelöst.
2 Paradigmenwechsel
Deutschland erlebt einen generellen Wandel vom Wachstumsparadigma zu einer notwendigen Akzeptanz der Konsolidierung, stellenweise auch der Schrumpfung, vom Jugendmythos zur alternden Gesellschaft. Das Land und seine Menschen sind darauf bisher kaum eingestellt. Probleme werden vielfach verdrängt, aktuelle Herausforderungen nicht gesehen. Um dies zu ändern, sind offensive Information der Öffentlichkeit, Transparenz und direkte Kommunikation mit den Einwohnern notwendig. «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar», hat Ingeborg Bachmann geschrieben. Die Akzeptanz der Realität ist zwingend notwendig, um die richtigen politischen Konsequenzen ziehen zu können.
Schrumpfung, Alterung, Leerstände sind vor allem in Ostdeutschland Alltag, doch inzwischen ist auch die Hälfte der westlichen Bundesländer betroffen. Während die Negativ-Effekte des demografischen Wandels im auch finanziell schwer gebeutelten Saarland flächendeckend auftreten, sind es in Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vor allem die dünner besiedelten ländlichen Gebiete. Auch Städte in den alten Montan- und Industrieregionen schwächeln oder zeigen unverkennbar Symptome eines beschleunigten Niedergangs. Die Ergebnisse des Zensus haben viele Stadt-Verantwortliche schockiert: Ihnen sind tausende Einwohner über Nacht abhanden gekommen.
Auch die, die bisher den Kopf in den Sand gesteckt haben, sind nun in der Wirklichkeit angekommen: Weniger Einwohner heißt weniger Kaufkraft, schwächere Infrastrukturauslastung, Leerstände, steigende Entsorgungsgebühren, höhere Kosten, niedrigere Schlüsselzuweisungen und oft auch höhere Verschuldung. Inwieweit die Zuwanderung die Schrumpfungstendenzen umkehrt, lässt sich derzeit nicht seriös absehen.
Vorbei die Zeit, als man sich auf alte Rezepte verlassen konnte, auf die Profis in Politik und Institutionen, auf Experten und Investoren. Vorbei die Zeit, als Wachstum garantiert war. Vorbei die Zeit, als es immer nur aufwärts ging. Die Ressourcen sind endlich, der demografische Wandel führt gerade im Saarland und im Westen von Rheinland-Pfalz und in ländlichen Gebieten Hessens zu Schrumpfung und Alterung, zu Krisen und Problemen.
Die Zukunft gehört denen, die neu denken, die Zukunft gehört denen, die Mut zum Handeln unter veränderten Bedingungen haben, die Zukunft gehört denen, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen und sich selbst neu erfinden. Die Hoffnung vieler Lokal- und Landespolitiker, den Status Quo ohne Veränderungen erhalten zu können, ist trügerisch. Zu stark sind die äußeren Einflüsse, als dass man alles beim Alten lassen könnte.
3 Das Ende der Gleichwertigkeit?
Es gibt nicht «den» demografischen Wandel für ganz Deutschland. Derzeit sind vielmehr regional unterschiedliche Entwicklungen und mehr als ein Dutzend unterschiedliche Demografietypen zu beobachten. Die wichtigsten «demographic patterns» sind die Parallelität von Schrumpfung und Wachstum in unterschiedlichen Regionen, starke Wanderungsbewegungen (Binnenmigration und intranationale Migration), ethnische Heterogenisierung, Unterauslastung der Infrastruktur, Erosionstendenzen in Stadtkernen und an Ortsrändern, Leerstände von Wohnungen, Häusern und Geschäften, Industriebrachen und Brain Drain.
Erkennbar ist eine gespaltene Dynamik zwischen wachsenden und schrumpfenden Regionen. Das gefährdet die Leitvorstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland (GG Art. 72 Abs. 2) und provoziert Anpassungsprozesse. Selbst ein Verzicht auf das Gleichwertigkeitsziel wird mittlerweile diskutiert. So haben das IASS Potsdam und das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung bereits die Losung «Vielfalt statt Gleichwertigkeit» (2013) ausgegeben. Klaus Töpfer und Reiner Klingholz sehen den Anspruch auf Gleichwertigkeit heute kontraproduktiv:
«De facto entwickeln sich die regionalen Lebensbedingungen im Hinblick auf Bevölkerungsdichte, Erreichbarkeit und Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen in hohem Tempo auseinander. Die Politik hat diese Zeichen noch nicht erkannt und es bisher versäumt, einen Ordnungsrahmen für das Gegenteil des Wachstums aufzustellen – für das Kleinerwerden.» (Töpfer/Klingholz 2013, 5)
Bis zu diesem Punkt ist die Argumentation nicht nur schlüssig, sondern auch akzeptabel. Das ändert sich, wenn es um die Folgen geht:
«Die Ungleichwertigkeit (wem das Wort missfällt, der kann auch von ‚Vielfalt’ sprechen) muss Teil der politischen Planung werden. Weil die Mittel begrenzt sind, gefährdet das Dogma von Wachstum und Gleichwertigkeit die Chancen jener Regionen, die sich künftig stabilisieren können.» (Töpfer/Klingholz, 5) Und so empfehlen die beiden Wissenschaftler den Grundsatz «Weniger ist Zukunft», der bereits in einem Demografie-Projekt in Sachsen-Anhalt für Aufsehen sorgte.
«Wenn akzeptiert würde, dass nicht alle Regionen Deutschlands unter den gleichen Standards leben können, bedeutete das nicht weniger, sondern mehr Vielfalt, also auch mehr wohl verstandenen Reichtum. Wenn sich auf diesem Weg des geordneten Rückzugs auch noch das eine oder andere Ziel der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie besser erfüllen ließe, wäre noch mehr gewonnen. Deshalb gilt es, Mittel und Wege zu finden, wie sich die Regionen an den Bevölkerungsschwund anpassen können, ohne dabei auch noch ökonomische und ökologische Kosten zu verursachen. Denn im Prinzip bietet der Abbau von un- oder untergenutzter Infrastruktur die Chance, eine ‚ökologische Dividende‘ des demografischen Wandels zu nutzen.» (Töpfer/Klingholz, 5).
Dass diese Forderungen zu heftigen Gegenreaktionen geführt haben, überrascht nicht. Töpfer und Klingholz stellen alles in Frage, was nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland unter der Rubrik Struktur- und Förderpolitik mit Milliardenaufwand praktiziert wurde. Mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wie sie das Grundgesetz fordert, sind diese radikalen und revolutionären Forderungen nicht in Einklang zu bringen. Ungeachtet dessen ist die Debatte nun eröffnet. Wer kann ausschließen, dass aus Einzelmeinungen in wenigen Jahren Mehrheiten werden?
Auch die Frage der Neugliederung des Bundesgebiets wird voraussichtlich in den nächsten Jahren an Aktualität und Brisanz gewinnen.
4 Schrumpfung akzeptieren
Politiker und Bürger, deren Orte und Regionen vom demografischen Wandel betroffen sind, versuchen in der Regel mit hohem Aufwand, den Trend zu drehen. Da es sich um gesellschaftliche Megatrends handelt (Fuchs 2014), kann dies lokal nicht gelingen, jedenfalls nicht in überschaubaren Zeiträumen. Wo durch Wahlgeschenke wie Babygeld oder andere Bonbons vorübergehend Erfolge erkennbar sind, ist jetzt schon absehbar, dass diese positive Tendenz nicht dauerhaft zu halten ist. Entweder werden Nachbargemeinden im Sinne einer interkommunalen Kannibalisierung geschädigt oder die positiven Effekte verpuffen im Lauf der Zeit. Bisher ist der Nachweis der Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen nicht erbracht worden.
Je mehr Kommunen und Regionen Sonderzuwendungen eingeführt haben, umso wirkungsloser wurden die Maßnahmen. Lokale demografische Gratifikationen zur Förderung der Fertilität verschwenden Ressourcen und sind daher strikt abzulehnen.
Auch Dumpingsteuern, die auf Kosten der Allgemeinheit eingesetzt werden, um sich im verschärften Konkurrenzkampf mit Nachbargemeinden kurzfristige Vorteile zu verschaffen, sind abzulehnen.
Demografischer Wandel erfolgt langsam. Deshalb können ohne Hektik Anpassungsstrategien erprobt werden. Die großen demografischen Trends lassen sich – abgesehen von geplanter Zuwanderung – ohnehin kurzfristig nicht steuern. Migration wirkt sich dagegen unmittelbarer als alle anderen Faktoren aus. Sollte Deutschland durch eine strategische Politikentscheidung zum Einwanderungsland werden, könnte der demografische Wandel im Bereiche der Bevölkerungsentwicklung nachhaltig positiv beeinflusst werden. Die Entscheidung der Regierung Merkel im Jahr 2015, angesichts dramatischer Entwicklungen im Süden Europas die Aufnahmekapazitäten vorübergehend drastisch zu erhöhen, ohne dass die Dublin–Regeln gelten, haben bereits zu einer spürbaren Veränderung in den Kommunen geführt. Unter dem Motto «Wir schaffen das!» hat die Bundeskanzlerin auch vorausgesetzt, dass Deutschland und seien Kommunen enormes Potenzial haben, um solche Zuwanderungsspitzen zu verkraften. Das setzt aber massive Integrationsbemühungen voraus, um eine Inklusion der Migrantinnen und Migranten in die Gesellschaft zu garantieren. Politisch hat diese mutige Bereitschaft der Bundeskanzlerin, Flüchtlinge in Deutschland über das übliche Maß hinaus aufzunehmen, zu massiven Auseinandersetzungen und Friktionen geführt. Insbesondere die CSU hat mit irrealen Kommentaren («Notstand») zum innenpolitischen Konflikt und zum Erstarken rechtspopulistischer Ränder beigetragen. Inzwischen ist gar von Bedrohungen der Demokratie die Rede. Mit der rechtspopulistischen AfD hat eine Partei breitflächig an Zuspruch gewonnen, deren Programm nur bedingt in Einklang mit den Werten der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2016 steht.
Die wachsende ethnische Heterogenität hat natürlich Auswirkungen auf das Alltagsleben. Menschen mit Migrationshintergrund werden eine zunehmende Rolle auf lokale Policies haben. Auch als Wähler und Repräsentanten werden sie relevant.
Weitgehend aussichtslos ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre dagegen der Versuch, die Fertilität kurzfristig zu beeinflussen. Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist eine höchst persönliche Frage, die stark von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Prägungen, Karrierechancen und langfristigen Wertvorstellungen abhängt (vgl. Fuchs 2014). Lokal sind diese Faktoren nicht zu steuern. Kommunal sind allenfalls Strohfeuereffekte und kurze Sonderentwicklungen erkennbar, die aber nicht nachhaltig sind. Auf bundesweiter Ebene können veränderte politische Rahmenbedingungen wie das Recht auf einen Kita-Platz Einstellungen verändern. Möglicherweise sind auch Trendänderungen in der Prioritätensetzung junger Familien ausschlaggebend.
Lokal bedeutet dies: Bevölkerungspolitischer Aktionismus ist fehl am Platze und führt kommunal nicht weiter, Geburtsprämien z.B. sind hinausgeworfenes Geld. In Konsolidierungskommunen sollten solche freiwilligen Leistungen durch die Kommunalaufsicht verboten werden. Dagegen können und sollen die Kommunen ihre Betreuungsangebote für Kinder deutlich verbessern, um so nachhaltige Anreize für Familien zu schaffen.
Fazit: Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass die Probleme vorübergehen. Sie werden sich nicht in Luft auflösen. Es hilft ebenso wenig, mit Geburtsprämien und ähnlichem populistischem Schnickschnack, lokale Demografiewerbung fürs Dorf zu machen.
Erfolg versprechend ist dagegen die Regenerierung der Städte und Gemeinden im demografischen Kontext unter intensiver Beteiligung der Bürger.
Dabei ist es wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken etwa über die Alterung der lokalen Bevölkerung, das Geburtendefizit, über Kindermangel und die Folgen für die lokale Infrastruktur.
5 Nicht abwarten, sondern handeln: Infrastruktur optimieren
Kommunen dürfen im demografischen Wandel nicht abwarten, sondern müssen agieren und optimieren (Boll 2014), denn Bevölkerungsschwund führt zu Einnahme-Schwund, Auslastungsproblemen in der Infrastruktur und Kostensteigerungen. Ziel ist es, robuste (Infra-)Strukturen zu sichern oder neu zu schaffen, damit die Zukunft bewältigt werden kann. Im Gegensatz zu den großen Bevölkerungstrends können Infrastrukturausstattungen beeinflusst werden. Durch Kooperationen, multifunktionale Nutzungen und optimierten IT- und Technikeinsatz können Kosten gesenkt und Auslastungsquoten verbessert werden. Gleichzeitig geht es darum, durch kluge Sanierungsentscheidungen die Substanz des kommunalen Vermögens nicht nur zu erhalten, sondern auch zukunftssicher zu machen.
In Schrumpfungsgebieten – die wird es auch weiterhin geben – wird es allerdings auch zur Schließung kommunaler Einrichtungen kommen. Das wird zu Konflikten führen. Die Ursachen müssen der Bevölkerung umfassend erklärt werden. Auch in diesem Zusammenhang gilt der 1. demografische Hauptsatz: Die Wahrheit ist den Bürgerinnen und Bürgern einer Kommune zumutbar.
Demografischer Wandel bedeutet aber nicht zwingend Abbau, Rückbau und Schließung. Die Modernisierung der Infrastruktur bietet auch Chancen zu optimierten Neubauten. Aufgabe der Planer und Entscheider ist es, Zukunft weisende und nachhaltig wirksame Projekte auf den Weg zu bringen, die ökonomisch und ökologisch optimiert und energieeffizient sind. Dadurch bieten sich neue Chancen für Architekten, mit neuen Konzepten Zukunft (auch optisch-ästhetisch) zu gestalten.
Funktionalität ist wichtig. Aber Funktionalität allein ist nicht alles. Form, Gestaltung, energetische Optimierung und neue Raumkonzepte sind gefragt. Wo Kommunen auch architektonisch Neues wagen, steigen ihre Chancen, wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Attraktive Kommunen können zur neuen Heimat im demografischen Wandel werden, wenn sie bezahlbare Häuser (auch gebrauchte, die architektonisch pfiffig umgestaltet werden), gutes Sozialklima, sehr gute Kinder- und Familienbetreuung, soziale Nähe und vor allem Sicherheit bieten. War bisher die Urbanisierung als Trend nicht in Frage gestellt, könnte gerade die wachsende Sicherheits-Debatte dazu führen, dass die bereits totgesagten ländlicheren Kommunen zu den Gewinnern in Zeiten von Migration und Demografie werden. Das ist aber noch nicht klar zu erkennen. Insbesondere suburbane Kommunen haben in dieser Lage Chancen. Das gilt nicht für abgelegene kleine Dörfer.
6 Neupositionierung der Kommunen
Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass die Verantwortlichen in den Kommunen selbst aktiv werden müssen und nicht rein defensiv auf eine immer schwierigere Umwelt reagieren dürfen. Innovationsfähigkeit, Kreativität und Aufgeschlossenheit sind dabei unverzichtbar.
Ziel ist die strategische Neupositionierung der Kommunen, wobei die wichtigsten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken und die wesentlichen Ressourcen beachtet werden müssen. Gerade für kleine Kommunen, aber auch für kleine kommunale Einheiten (Eigenbetriebe, Werke, Kulturbetriebe) kann es wertvoll sein, sich gegen die Großen kreativ und flexibel zu positionieren.
Eigendynamik, Innovationskraft, Kommunikation, Ganzheitlichkeit, Nachhaltigkeit, Vertrauen in kompetente Mitarbeiter, gemeinsame Ziele, Beweglichkeit, Begeisterungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und die Bereitschaft, die Organisation «neu zu erfinden» helfen, auch in Umbruchs-, Krisen- und Transformationszeiten neue Perspektiven zu eröffnen. Dabei spielt Wirtschaftlichkeit, die sich anhand von Kennzahlen und Indikatoren abbilden lässt, eine wichtige Rolle. Sie ist aber nicht das einzige Kriterium.
Geschichte, Tradition, Kultur können vor allem in Phasen des Übergangs Identität stiften und neue Kreativitätspotenziale eröffnen, um so den Übergang zu einem neuen Lebenszyklus der Organisation zu erleichtern.
Veränderungsprozesse müssen offensiv kommuniziert, mit umfassenden Informationen unterlegt und aktiv moderiert werden, um Vertrauen zu schaffen. Dabei sollen die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen sehr früh einbezogen werden. Der Stakeholder-Prozess muss durch Führungskräfte mit Visionen gesteuert werden.
Veränderungsprozesse brauchen mutige Promotoren, eine gute demokratische Basis, neutrale, professionelle Moderatorinnen und Moderatoren und ausreichende Finanz- und Sachmittel.
Die Verantwortlichen müssen so flexibel handeln, dass sie im Laufe des Prozesses Korrekturen und fremde Ideen zulassen, mit denen die gesamte strategische Ausrichtung der Kommune bzw. der Verwaltung sich ändern kann. Regelmäßiges Feedback ist notwendig und soll zu Feinabstimmung der Strategie beitragen, damit der Prozess nicht aus dem Ruder läuft und Frustrationen erzeugt.
7 Zurück in die Mitte – Warenangebote sichern
Wo Städte und Dörfer schwächeln, schrumpft auch das Angebot an Waren. Das wird sich in den nächsten Jahren durch den Internethandel erheblich verschärfen. Die Bereitschaft, des Handels, diese Entwicklung wahrzunehmen und ihr kreative Konzepte entgegenzusetzen, ist derzeit nicht sehr asugeprägt. Und so zeigen sich in wachstumsschwachen Regionen zeigen sich in vielen Kommunen Erosionstendenzen, die, wenn sie erst einmal begonnen haben, kaum revidiert werden können. Das hat Folgen: Nicht nur die Bevölkerungskurve tendiert ins Negative, sondern auch die lokale Wirtschaftsentwicklung. Zu den quantitativen und qualitativen Folgen verschärften demografischen und wirtschaftlichen Wandels zählen eine zurückgehende Nachfrage nach Häusern, Wohnungen und Gewerbeflächen, eine geringere Auslastung von Infrastruktureinrichtungen, was zu tendenziell steigenden Kosten führt (Vorhaltekosten, Grund- und Finanzierungskosten, erhöhter Aufwand pro Kopf der Bevölkerung), sinkende kommunale Steuereinnahmen, steigende Zahl von Leerständen und Brachflächen. Damit verbunden ist eine sinkende Attraktivität des Standorts.
Um Erosionstendenzen entgegenzuwirken, müssen Kommunen die Innenlagen stärken und mit dem Planungsrecht die Expansion in Außenlagen stoppen. Dieses Problem ist immer noch nicht ausreichend erkannt. Auch weiterhin werden Randlagen und nicht integrierte Standorte so genannten «Einkaufsmagneten» zur Verfügung gestellt, damit diese das Handelspotenzial großflächig abgreifen und damit den innerörtlichen Handel töten können.
Das klingt provokativ und hart, beschreibt aber die Realität. Ein Musterbeispiel dafür ist da Saarland, wo der Handelskonzern Globus 2016 am Rande der Stadt Neunkirchen im Naturschutzgroßvorhaben Landschaft der Industriekultur Nord an einem nicht integrierten Standort großflächigen Einzelhandel gegen alle Regeln und Gesetze der Raumordnung mit politischer Rückendeckung insbesondere der Stadt Neunkirchen und des Wirtschafts- sowie des Umweltministeriums erzwingen will, um seine Marktposition auf fragwürdige Weise zu verbessern.
Die Gewerbetreibenden selbst müssen sich stärker engagieren und kreative Lösungen für Marketing, Kundenbindung und Warenpräsentation finden. Lösen können sie ihre Probleme durch Kooperationen und Innovationen. Die Kommunen sollten sie dabei nachhaltig unterstützen.
Außerdem ist es Aufgabe der Kommunen, interkommunal Standortaufwertung zu betreiben und Sicherheit und Sauberkeit zu gewährleisten.
8 Aus Verantwortung Flächen schonen
Deutschland braucht einen Paradigmenwechsel in der Flächenpolitik: Boden ist kostbar und muss geschont, Flächenverbrauch vermieden werden. Wer Verantwortung für Kinder und Enkel übernehmen will, wer Generationen gerechte Politik anstrebt, kann die ruinöse Inanspruchnahme von Böden nicht länger akzeptieren. Das entspricht der Intention nachhaltiger Politik, wie sie die Brundtland-Kommission schon 1987 formuliert hat: «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.»
Durch einen verschwenderischen Umgang mit unbebauter Landschaft, der nicht notwendige Bebauung, Versiegelung und Zersiedlung wird der Lebensraum für Tiere und Pflanzen weiter eingeschränkt. Landschaft und Naturräume werden auf unnatürliche Weise zerteilt, auch lokal nimmt die Biodiversität ab. Auf Dauer schädigt dies nicht nur ländliche Räume, sondern das Land insgesamt.
Deshalb ist ein radikaler Kurswechsel in der kommunalen Flächen-Politik notwendig. Neubaugebiete in Außenbereichen sollten in wachstumsschwachen Regionen grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden. Flächenschutz soll gesetzlich verankert werden. Eine strikte Begrenzung von Neubaugebieten über die Landesplanung erscheint deshalb als zwingend.
Solche Grundsatzbeschlüsse sind aber in der kommunalen Politik sehr konfliktträchtig, denn es ist eine radikale Abkehr von Erfolgsrezepten der Vergangenheit. Jahrzehntelang konnten Politiker mit der Ausweisung von Neubaugebieten Wahlen gewinnen.
9 Vorrang für lokale Generationenpolitik
Bisher findet lokale Generationenpolitik (Kottmann 2014), die diesen Namen verdient kaum statt. Zu einer modernen Generationenpolitik gehören die Schwerpunkte Bildung, Kinderbetreuung, Erziehung, Schule, Barrierefreiheit, Seniorenpolitik, Pflege und Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesellschaftliche Dialoge sowie öffentliche Familienleistungen und generationenübergreifende Freiwilligendienste. Wichtige Ziele einer lokalen Generationenpolitik sind Gerechtigkeit, Verantwortung, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit. Damit sollen unterschiedliche Interessen und mögliche Spannungsfelder nicht ausgeblendet oder zugekleistert werden. Vielmehr geht es darum, im lokalen Bereich die Politik so zu organisieren, dass alle Generationen profitieren und dass dies zu einer produktiven und sozial verantwortbaren Entwicklung führt, in der Junge und Alte ihre Persönlichkeit frei entfalten können. Dies stärkt den sozialen Zusammenhalt und fördert die Entwicklung einer Kommune.
Generationenpolitik unter tatkräftiger Einbeziehung der Bevölkerung wird möglicherweise neue Schwerpunkte setzen. Gemeinderäte und -verwaltungen müssen diese Profilierung unterstützen und dürfen sie nicht blockieren. Das kann auch Bereiche umfassen, die bisher nicht unter den Vorzeichen der Generationenpolitik gesehen wurden, etwa die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Wo Schwerpunkte der Politik verändert werden, ändert sich in der Regel auch die Ressourcenverteilung. Auch dies kann zu Konflikten führen.
Andererseits verschiebt sich im demografischen Wandel die Generationenbalance. Es ist also legitim, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Mittelverteilung innerhalb der Kommunen verändert. Das belegt, dass demografischer Wandel auch zu veränderter Politik führt.
10 Partizipation und MIT-KOMM-Strategie
Partizipative Entwicklungsplanung ist möglich und Erfolg versprechend. Offenheit und Transparenz sind wesentlich. Wenn Politik und Verwaltung mutig sind, sind auch die Bürger mutig.
Die vitale Kommune braucht unternehmungslustige Kinder und Jugendliche, sie braucht Erwachsene, die Lust haben, politisch mitzumischen, sich gesellschaftlich einzumischen, die Neues ausprobieren und Bewährtes bewahren. Sie braucht aktive Vereine, eine funktionierende Nahversorgung, bei der auch kleine Geschäfte und Marktstände eine Chance gegen Discounter und Filialisten haben, sie braucht eine vielfältige lokale Kultur, die nicht «eventisiert», sondern authentisch ist.
Eine vitale Stadt braucht aber auch eine Verwaltung, die flexibel ist, die Mut zu unkonventionellen Ideen hat, die auf Partizipation und Kooperation mit den Bürgern baut, und sie braucht Politiker, die das Wohl der Einwohner über Parteiräson und eingefahrene Rituale stellen. So gehören zum Paradigma der vitalen Kommune Zukunftsfähigkeit, Innovationskraft, Entwicklungsfähigkeit, die konsequente Nutzung der Ressourcen, Wirtschaftlichkeit, Bürgernähe, Identität und Authentizität.
Das kann nicht von oben verordnet werden. «Was alle angeht, können nur alle lösen», hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben. Das gilt im demografischen Wandel in besonderem Maße.
Wer Zukunft sichern will, braucht Commitment, also Zustimmung und Vertrauen. Direkte Partizipation ist unverzichtbar. Das Motto heißt: Einmischen und Mitmischen. Notwendig sind Offenheit, Fairness, Transparenz, Kommunikation. Die Bürgerinnen und Bürger sollen aber nicht in erster Linie über Verzicht bestimmen, sondern über künftige Schwerpunkte, Profile, Stärken (POSITIV-Ansatz).
Als Instrumente bieten sich die M-I-T-Komm-Strategie und die F-I-T-Komm-Strategie an. Die M-I-T-Komm-Strategie setzt auf Motivation, Information und Kommunikation, die zu Veränderungen in den lokalen Politikschwerpunkten führen sollen.
Zukunftswerkstätten, Ideenwerkstätten, World-Cafés, Planungszellen sind ein geeigneter Rahmen, um zu informieren, zu kommunizieren, zu verhandeln, zu motivieren, zu mobilisieren und um Commitment zu erreichen.
Die F-I-T-Komm-Strategie umfasst Fokussierung, Information, Transformation und Kommunikation, um Gemeinden fit und überlebensfähig zu machen. Bürger müssen allerdings einen Mehrwert für sich erkennen, bevor sie bereit sind zu direkter politischer Beteiligung. Um dies zu erreichen, müssen sie nicht nur rational angesprochen werden, sondern auch emotional.
Wer emotionalisiert, kann die Menschen besser erreichen. Partizipationsprojekte müssen klar strukturiert und zeitlich begrenzt sein. Sie sollen zielorientiert aufgebaut und alltagsnah sein.
In einer „ageing society“ dürfen Jugendinteressen nicht vernachlässigt werden. Jugendliche sind partizipationswillig, müssen aber zielgruppengerecht (jugendgemäße Partizipationsformen und neue Medien) angesprochen werden. Gute Jugendprojekte sind in hohem Maße Erfolg versprechend.
Jugendliche sind in der Regel in der kommunalen Politik unterrepräsentiert. Sie lassen sich aber motivieren und mobilisieren, wenn Thema und Ansprache stimmen. So ist die Bereitschaft zur Teilnahme an Wahlen nach wie vor sehr hoch.
Motivationsfördernd sind flexible, zeitlich begrenzte Formen, die Erfolge versprechen und auf Aktionen basieren, weniger auf Dialog. Auch ein gewisser Spaßfaktor sollte gewährleistet sein. Dabei müssen Jugendliche die Chance echter Mitsprache und Mitentscheidung auf Augenhöhe haben – gegebenenfalls unter Verzicht auf sonst übliche formale Voraussetzungen. (König 2011)
Die Partizipation von Jugendlichen bietet Chancen für aktive politische und gesellschaftliche Beteiligung, wenn junge Menschen ihr Lebensumfeld selbst gestalten können und wenn die lokale Gemeinschaft ihnen Freiräume ermöglicht.
Stärker als bisher soll neben reinen Jugendprojekten auch generationenübergreifende Partizipation forciert werden. Vermittlungsprozesse müssen modernisiert werden. Das bedeutet, dass auch und vor allem das Social Web (Facebook, Twitter u.ä.) einbezogen wird in die Kommunikation der Kommune.
Jugendliche brauchen konkrete Erfolgserlebnisse. In Illingen durften sie ihr Jugendzentrum JUZ selbst planen und gestalten. Gemeinderat und Ortsrat haben Macht abgegeben, die Entscheidungen fielen in einem paritätisch besetzten Gremium.
Auch die Verwaltung samt Bürgermeister verzichtete darauf, top down Lösungen zu servieren. Junge Menschen müssen die Chance haben, für sie geeignete Lösungen selbst zu entwickeln. Dazu brauchen sie selbstverständlich Ressourcen und Unterstützung. Aber sie brauchen keine Gemeinderäte und keine Verwaltung, die für sie denken.
Unsere Erfahrung: Gut gemachte Jugend-Partizipation ist ein Erfolgsfaktor für die ganze Gemeinde.
12 Politik für Ältere und Barrierefreiheit
Eine demografiesensible Politik soll verstärkt Rücksicht auf ältere Menschen nehmen. Die Alterung der Gesellschaft hat Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik, die Gesundheitsversorgung, die Wohnverhältnisse, Beratungsangebote, ambulante soziale Dienste, stationäre Einrichtungen der Altenhilfe, Ernährung, Prävention und die Verkehrspolitik. Kommunale Altenplanung und Seniorenpolitik gewinnen einen neuen Stellenwert. Aber eine demografiesensible Politik kann nicht nur Rücksicht auf die Älteren nehmen.
Beispiel: Konflikte im Schwimmbad. Ältere Besucher wollen in Ruhe ihre Bahnen ziehen und beim Gürtelschwimmen (Aquajogging auf Entspannungs-Art) plaudern. Die Frisur soll dabei nicht zerstört werden. Junge Menschen wollen springen, spritzen, tauchen und manchmal auch ein bisschen raufen. Da sind Konflikte programmiert. Wo keine reinen Senioren-Stunden oder Reha-Schwimmtage eingeplant sind, müssen die Älteren in Kauf nehmen, dass es lauter und spritziger zugeht und dass dabei auch die Frisur leiden kann.
Andererseits muss es mehr «Schutzräume» für Hochbetagte und mehr und bessere barrierefreie Wohnungen, Häuser, Wohnanlagen geben. Der Nachholbedarf im Wohnungsbereich ist gigantisch. Da sich solche Anlagen in der Regel wirtschaftlich noch nicht rechnen, sind Planer und Investoren gefordert, neue Modelle zu entwickeln. Und auch die Öffentliche Hand steht in der Pflicht, neue Entwicklungen anzustoßen und zu fördern.
Überkommene Altersbilder müssen überwunden, professionelle Dienste und Sozialnetzwerke belebt und koordiniert und zahlreiche Politikfelder alterskompatibel gestaltet werden. Ältere Menschen müssen bei Planungen und Entscheidungen stärker als bisher beteiligt werden.
In einer alternden Gesellschaft sind ortsnahe Angebote der Daseinsvorsorge, Leistungen des Gesundheitssektors sowie Einkaufsmöglichkeiten ortsnah anzubieten. Die Wege sind im Sinne des Designs für alle weitgehend barrierefrei zu gestalten.
Soziale Integration und funktionierende Nachbarschaften sind für ältere Menschen sehr wichtig. Sie brauchen darüber hinaus mehr als bisher Hilfen zur Orientierung – sowohl räumlicher als auch inhaltlicher und gesellschaftlicher Art.
Seniorengerechte Beteiligungsaktivitäten können in Zeiten der Informationsgesellschaft verhindern, dass alte Menschen von echter sozialer Beteiligungs ausgeschlossen werden.
In diesen Fragen – von der Inklusion über menschengerechte Mobilität bis hin zu Kulturaktivitäten – dürfen die Kommunen nicht allein gelassen werden.
Illingen 2030 war mit einem umfassenden Seniorenbericht verbunden. Die Gemeinde bekennt sich darin ausdrücklich zu einem partizipatorischen, vernetzten Vorgehen im Sinne lokaler Governance-Arrangements, um möglichst viele Akteure adäquat einzubinden.
Kernelemente des Seniorenberichts sind die Leitlinien zur Seniorenarbeit:
- Altern in Würde ermöglichen und Selbständigkeit, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe unterschiedlicher Altersstufen erhalten und stärken
- Prävention als kommunale Aufgabe in den Bereichen Gesundheitsförderung, Sport, Bauen, Wohnen, Verkehr verankern
- Bildung und Kultur fördern, um die lokale Gesellschaft aktiv zu gestalten
- neue, innovative Wohnkonzepte in einer alternden Gesellschaft fördern
- Barrierefreiheit und Design für Alle gewährleisten, die Mobilität planerisch und praktisch nachhaltig sichern und die soziale Infrastruktur umgestalten;
- selbst organisierte Projekte fördern
- Ressourcen älterer Menschen in der Netzwerkarbeit (Net-Governance) nutzen, weil freiwilliges Engagement in der lokalen Gemeinschaft unverzichtbar ist
- Versorgung und Pflege älterer Menschen sicherstellen und vorhandene Dienste im Sinne einer ortsnah erreichbaren Angebotsstruktur bündeln
- Nachbarschaften stärken und anstelle stationärer Einrichtungen häusliche Pflege ausweiten (Pflegebegleiter, niedrigschwellige Angebote)
- Sicherheit in allen Facetten gewährleisten (Kriminalprävention, Sicherheitsberater, Umbau des öffentlichen Raums).
13 Menschengerecht statt autogerecht
Wünschenswert ist ein Paradigmenwechsel von einer autogerechten zu einer menschengerechten Stadt. Das dient nicht nur älteren Menschen. Fußgängerfreundliche Straßenübergänge, Verlangsamung des Verkehrs, Umgestaltung von Ortsdurchfahrten – all dies sind Handlungsoptionen, die die Kommunen mittelfristig vorsehen sollten. Damit lassen sich Wahlen gewinnen.
In einer barrierefreien, menschengerechten Kommune werden Fußgänger besser geschützt. Familien mit Kleinkindern und Einwohner mit Handicap haben bessere Lebensbedingungen und faire Chancen. Für Maßnahmen, die mit diesem Leitbild kompatibel sind, sind langfristig tragfähige Finanzierungslösungen zu entwickeln. Ein solcher Paradigmenwechsel von der autogerechten zur menschengerechten Kommune kostet Geld, weil er erhebliche Umbauarbeiten und ggf. auch Rückbauten von Straßen zur Folge hat.
Die Zeiten, in denen Autofahrer freie Bahn hatten und mit viel PS ihre Stärke gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern ausspielen konnten, sind vorbei. Slow life ist «better life». Das ist eine der Chancen im demografischen Wandel. Es geht nicht darum, das Auto gänzlich aus den Kernzonen zu verdrängen. Aufgabe der Kommunalpolitik ist es aber, die Konflikte zwischen Autofahrern und Fußgängern zu entschärfen. Es geht um mehr Fairness und um mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer.
Das kann zu Konflikten mit den Einzelhändlern führen, die hohes Interesse daran haben, dass Autofahrer bis vor die Geschäfte fahren und dort parken dürfen. Zukunft weisend ist dies nicht.
14 Nachhaltigkeit und Accessibility
Die Prioritäten der Politik müssen sich verschieben im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Systeme, auf Accessibility, auf Generationengerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit. Netzwerke, Nachbarschaftshilfen, Selbsthilfeaktivitäten, lokale Beratungsangebote, ambulante Hilfen, Pflegestützpunkte und ehrenamtliche Sozialleistungen können und müssen auf kommunaler Ebene etabliert werden – dort wo die Problemnähe zur Lebenswirklichkeit der Senioren am stärksten ausgeprägt ist.
Vor allem in Zeiten geringen Wirtschaftswachstums müssen die Interessen der Ökologie deshalb gegenüber denen der Ökonomie verteidigt werden. Wo allerdings wertegebundenes Handeln die Politik bestimmt, wo Umweltverträglichkeit und Menschenzuträglichkeit politischer Macht und wirtschaftlichem Handeln Grenzen setzen, ist dies leichter zu realisieren.
Vorsorgende und nachhaltige Kommunalpolitik zeichnet sich durch kontinuierliche Pflege ökologischer Grundlagen aus – wie dies im Illtal seit 1990 der Fall ist. Dazu hat neben dem Zweckverband Illrenaturierung / Natura Ill-Theel mit seinen populären Aktionen (Wiederansiedlung des Bibers, Storchennester, Ökozeltlager) auch die Institutionalisierung des Umwelt- und Naturschutzes in den Verwaltungen der Illtalkommunen maßgeblich beigetragen. Die Sensibilisierung für Nachhaltigkeitsthemen hat auch den Demografiediskurs erleichtert.
Innovationen sind dabei zwingend erforderlich. Ein «weiter so» kann es nicht geben. Doch die Umstellung nach ökologisch sinnvolle, nachhaltige Lösungen ist nicht immer populär, vor allem dann, wenn keine weiteren Außenflächen mehr versiegelt, keine neuen Straßen mehr gebaut werden sollen, wo sie nicht zwingend benötigt werden.
«Futur-zwei»-Ansätze (Welzer et al, 2014) sind gefragt: Senkung des Energieverbrauchs, Senkung des Flächenverbrauchs, Recycling von Ressourcen, CO2-Begrenzung, Reduzierung der Verpackungsvermüllung, klimagerechte Lösungen – möglich ist vieles, man muss es nur wollen.
15 Kooperieren statt kannibalisieren
Kommunen müssen im Sinne lokaler und regionaler Governance-Arrangements kooperieren und auch dabei die Bürger einbeziehen. Ruinöser interkommunaler Wettbewerb ist unverantwortlich und soll unterbunden werden.
Momentan ist leider ein falscher Trend zu beobachten: So herrscht in deutschen Kommunen die Neigung vor, mit kurzfristigem Aktionismus auf demografische und wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren. Statt langfristig Ziele abzustecken, um von kurzfristigen Veränderungen weitgehend unabhängig zu sein, versuchen nicht wenige Kommunen, gegenüber Wettbewerbern „eine Sequenz temporärer Vorteile zu erzielen“ (Rall/König 2005,11), um so zu überleben, weil für die Umsetzung langfristiger Strategien keine Zeit mehr bleibt. Meist stehen nicht Kooperations- sondern Konkurrenzstrategien im Vordergrund.
Kommunen verschärfen den Wettbewerb untereinander, gewähren hier Geburtsprämien, verkaufen dort Gewerbegrundstücke zum Dumpingpreis, um kurzfristig Vorteile gegen Nachbargemeinden oder -städte zu erzielen, die sich dann doch nicht als tragfähig erweisen. So entsteht – nicht zuletzt wegen verfehlter Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung – bundesweiter Aktionismus, der mit hohem Aufwand und ebensolchem Ressourcenverbrauch verbunden ist.
Das ist weder nachhaltig noch effizient noch effektiv. Der Versuch, durch Konkurrenz und Dumping-Verhalten zu Lasten Dritter Veränderungen zu vermeiden, ist i.d.R. zum Scheitern verurteilt, weil er zu Ressourcenverknappung, Verdrängungseffekten, Frustrationen und nicht selten zu ökonomischen und ökologischen Krisen führt, die von nachfolgenden Generationen zu bewältigen sind. Diese Politik ist nicht zukunftsorientiert. Es handelt sich vielmehr um planloses „Muddling Through“, um ein unkoordiniertes Durchwursteln, um einen Wettbewerb nach dem Muster „jeder gegen jeden“, den langfristig niemand gewinnen kann.
So gibt es keine Win-win-Situationen, auf Dauer nicht einmal Win-lose-Situationen. Deshalb muss sowohl einem blinden Aktionismus als auch einem reaktiven „Muddling Through“ eine Absage erteilt werden. In beiden Fällen sind die Kommunen Getriebene, nicht selbstverantwortlich Handelnde. Das ist nicht im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung. Auf lange Sicht führt eine kommunale Konfliktstrategie wegen der hohen Kosten und der Ressourcenverschwendung zu Lose-lose-Situationen, bei denen am Ende keiner der Beteiligten einen Vorteil hat.
Drastisch ausgedrückt: Verschärfte Konkurrenz führt zu interkommunalem Kannibalismus. So verliert die gesamte Region. Das kann nicht im Interesse des Gemeinwesens sein. Nachhaltige strategische Kommunalentwicklung ist deshalb ein Gebot der Vernunft. Sie kann dazu beitragen, neue Handlungsspielräume durch systematisches Veränderungsmanagement zu gewinnen. Dies muss unter Einbeziehung der Bevölkerung geschehen, um die Legitimationsbasis für weitreichende Entscheidungen zu sichern.
Das starre System zentraler Orte, das noch 2006 vom ARL gepusht wurde (Gans / Schmitz-Veltin 2006, 355-366), ist in der bisherigen Form nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sollen selbst organisierte Netzwerke und Kompetenz-Cluster angestrebt werden. In kooperativen Netzwerken bedarf es keiner dominanten Kernstadt mehr. Subsidiarität und Selbststeuerung der Region durch Aushandlungsprozesse sollen zunächst Vorrang vor Top-down-Entscheidungen haben. Wird eine Einigung nicht erzielt, muss die Landesebene entscheiden.
16 Bildung als Schlüsselfaktor
Bildung ist ein Schlüsselfaktor im demografischen Wandel. Darin sind sich Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mittlerweile einig. Eine Google-Suche mit den Suchbegriffen „Bildung – Schlüsselfaktor – demografischer Wandel“ liefert über 40.000 Resultate, die vom „Wissenschaftsjahr 2013“ der Bundesregierung über die Bertelsmann Stiftung, das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung bis hin zu Unternehmen und Institutionen reichen. Normativ wird festgestellt, dass die Globalisierung, die Informationsgesellschaft, die zunehmende Vernetzung sowie die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarkts hohe Anforderungen an die Qualität der Fachkräfte stellen, dass aber das deutsche Bildungswesen diesen Anforderungen bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht gewachsen sei: Zu viele Schulabbrecher, zu viele fehlgeleitete Schülerinnen und Schüler, zu viele ungenutzte Chance, zu viel Differenzierung, zu wenig Durchlässigkeit im System, zu wenig Förderung – all dies sind Anmerkungen, die im Wust der Informationen ständig genannt werden.
Selektiert und bewertet man die Informationen, stellt man fest, dass Deutschland Nachwuchsprobleme auf allen Ebenen hat: Das gilt sowohl für den Bereich der Facharbeiter in den Unternehmen als auch für hoch qualifizierte Jobs.
Schon jetzt sei erkennbar, dass in den nächsten Jahren viele Beschäftigte aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand wechseln, dass aber bei weitem nicht so viele Nachwuchskräfte bereitstünden, um diesen Abgang aufzufangen, heißt es.
Ein weiteres Problem benennt das Bundesministerium für Bildung und Forschung: «In Deutschland wachsen fast vier Millionen Kinder unter 18 Jahren, also mehr als ein Viertel dieser Altersgruppe, in mindestens einer sozialen, finanziellen oder kulturellen Risikolage auf, die ihre Bildungschancen schmälert.» (www.bmbf.de/ de/15775.php)
Bildungsarmut ist aber im Sinne einer gerechten Gesellschaft inakzeptabel. Ein solches Ausmaß an problematischen Bildungsvoraussetzungen kann sich ein Land wie Deutschland schon gar nicht leisten. «Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Fachkräfte, die die Motivation und die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen mitbringen.» (Dorn / Müller 2008, 52).
Da der demografische Wandel «den Wettbewerb um die besten Köpfe» (Dorn / Müller, 52) verschärft, sind gerade jetzt Anstrengungen notwendig, um die Defizite auszugleichen.
Das bedeutet, dass im demografischen Wandel die Kommunen und Regionen, die die besten Bildungsvoraussetzungen bieten, die besseren Zukunftsperspektiven haben.
Das waren auch die Überlegungen für ein Bildungs-Schlüsselprojekt in Illingen.
Entstehen sollte eine «Wissens-City» mit dem Illtal-Gymnasium als Kern. Das Illtal-Gymnasium sollte vom Ortsrand in die City verlagert werden, um so auch die Bedeutung der Wissensinstitution für die Kommune deutlich zu machen. An zentraler Stelle sollte ein Neubau entstehen. Dieser Neubau sollte nach den Vorgaben der EU mit modernster Informationstechnik und Breitbandkommunikation sowie innovativer digitaler Lernsoftware ausgestattet und barrierefrei geplant und realisiert werden.
Die entscheidende Innovation sollte darin bestehen, das Illtal-Gymnasium zu öffnen und multifunktional für weitere Aktivitäten im Sinne des Lebenslangen Lernens ganztägig bis in den Abend zu nutzen. Das bedeutet, dass neben einem schulischen Kernbereich Räume für digitale Mediennutzung sowie Schulungsräume (e-Learning, Blended Learning) für die Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten – auch für Fernstudien und Schulungsaktivitäten der örtlichen Wirtschaft. Dies sollte durch ein innovatives kommunales Kulturprogramm ergänzt werden. Damit sollte das angedachte Wissens- und Lernzentrum mit seiner digitalen Mediathek, seinen innovativen Einrichtungen und dem kulturellen Umfeld der Illipse zu einem Nukleus für neue Entwicklungen in der Region werden. Dies sollte ergänzt werden durch ein EU-Bürgerportal mit Terminals oder PC-Endgeräten, wo Schüler und Erwachsene Informationen über die Europäische Union abrufen und für ihre Alltagsaktivitäten nutzen konnten. Die Wirtschaft sollte sich auf diesem Weg über elektronische Ausschreibungen informieren können. Die Schule ihrerseits, die bereits UNESCO-Schule, Schule ohne Rassismus und Projektschule ist, könnte verstärkt europäische Kernkompetenzen (Abi-Bac, Sprachenkompetenz) und die Kooperation mit Partnerschulen in Europa nutzen. Damit hätte das Illtal-Gymnasium als eine der ersten Schulen überhaupt zu einer innovativen jungen EU-Kompetenzstelle werden können. Dies wäre auch im Sinne der Lissabon-Strategie gewesen.
Dass ein Neubau des Illtal-Gymnasiums und das Konzept einer Wissens-City auch demografisch von erheblich Bedeutung gewesen wären, weil sie den Ortskern stabilisiert und die Kaufkraft einer integrierten Ortslage signifikant gesteigert hätten, wäre ein ebenso erwünschter Effekt gewesen wie die stärkere Nutzung des 2003/04 generalsanierten und aufgewerteten Bahnverknüpfungspunktes. Ein möglicher Neubau des Illtal-Gymnasiums in der City wurde von den Ideengebern als Signal in einer Zeit des demografischen Wandels angesehen, Bildung einen neuen Stellenwert in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu geben sowie Kinder und Schule ins Zentrum lokaler Aktivitäten zu rücken.
Trotz dieser positiven Argumente erwies sich dieses innovative Konzept als undurchführbar.
Größtes Hindernis war der Widerstand von Standortgemeinden saarländischer Gymnasien, die bei einer großen Investition von Land und Kreis in einen Illinger City-Neubau um ihre eigenen Gymnasien fürchteten. Zudem wurde kritisch angemerkt, man sei nicht bereit, mit einer interkommunalen Bildungsinvestition dazu beizutragen, lokale Demografieprobleme in Illingen durch interkommunale Beiträge zu lösen. Dies könnte sich negativ auf den eigenen Standort auswirken.
Kirchturmdenken und parteipolitische Egoismen bestimmten die Debatte.
Ein weiteres Handicap war, dass die kreative Idee der Wissens-City dem normalen Publikum kaum zu vermitteln war. Hier zeigen sich auch erhebliche Schwächen des Partizipationsansatzes. Den Bürgern sind der Bordstein und der saubere Bürgersteig näher als die Hochkultur in der Illipse, die Skulptur in der City und die virtuellen Welten eines Medienzentrums im Stadtkern.
Ungeachtet dessen hat Illingen 2030 die Basis für neue Betreuungsangebote im Kleinkindbereich eröffnet und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele Eltern verbessert. Zu den wichtigen Anliegen eines demografiefesten Reformkonzepts gehört die Verbindung von vorschulischer Erziehung und Grundschulpädagogik. Kern des Reformmodells ist ein pädagogischer Verbund von Kindergarten und Grundschule. Im Interesse der Familien sollen kommunale und freie Bildungs- und Betreuungsangebote aufeinander abgestimmt, die Elternarbeit verstärkt und eine adäquate Kommunikationsstruktur aufgebaut werden. Wünschenswert ist eine weitere Verbreitung des Konzepts der „selbstständigen Schule.“
17 Bürger- und Solidargemeinde
Das Thema Solidargemeinschaft war im Bürgerprojekt Illingen 2030 das wichtigste kommunale Diskussionsthema. Zu keinem anderen Politikfeld sind so viele Bürgervorschläge eingegangen.
Die Einbeziehung der Einwohnerschaft in Entscheidungen wurde in den Workshops der Ortsteile ebenso gefordert wie die Überwindung des Ortsteildenkens. Bürgergenossenschaften, Bürgerfonds oder eine Bürgerstiftung wurden ins Gespräch gebracht, um unabhängig von kommunalen Haushaltsmitteln handlungsfähig zu sein und helfen zu können, wo dies (auch kurzfristig) notwendig ist. Auch Solidargemeinschaften wie Wustock (jährliches Benefizfestival, das von der Dorfgemeinschaft organisiert und veranstaltet wird), freiwillige Bürgerhilfen, Bündnisse für Familien und Traditionspflege haben einen hohen Stellenwert bei den Einwohnern, die diese Dienste gern ausbauen wollen. Außerdem sollen durch diese gemeinschaftlichen Aktivitäten die Identität der Orte verbessert, der Zusammenhalt der Bürgerschaft gestärkt und die Selbstorganisation unabhängig von politischen Repräsentationsorganen forciert werden.
Hintergrund war die Überlegung, dass in einer alternden Gesellschaft die wachsende Hilfebedürftigkeit innerhalb der Bevölkerung aus finanziellen Gründen bei weitem nicht nur professionell erfüllt werden kann. Außerdem ist anzuerkennen, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrer vertrauten Umgebung leben wollen.
Allerdings dürfen Themen wie Solidargemeinschaft und Bürgergemeinde nicht top-down verordnet werden. Dann fehlt es unter Umständen an der notwendigen Akzeptanz der Bürgerschaft und der Vereine. Wo gute familiäre und nachbarschaftliche Netzwerke existieren – insbesondere in kleineren Orten – kommt es auf Stabilisierung dieser Strukturen an.
Eine Kultur der Anerkennung trägt zur Stärkung solcher freiwilligen Netzwerkstrukturen bei.
18 Leerstände und Neubaugebiete
Zu den zentralen Themen des Projekts Illingen 2030 zählte der Umgang mit Haus- und Wohnungsleerständen. Aus der Erkenntnis, dass nicht Wachstum das Prinzip der Zukunft ist, sondern qualitative Entwicklung, wurde das Motto „Mehr Dorf für weniger Menschen“ eingeführt.
Zur Reduktion von Leerständen wurden mehrere Vorschläge gemacht:
- Förderung von innovativen Wohnkooperationsformen (Ältere überlassen jüngeren Familien einen Teil ihres zu groß gewordenen Hauses im Tausch gegen Hausarbeiten und Hilfeleistungen)
- Aktivierung der Quartiers-Einwohner (z.B. Rassweiler)
- Förderung von Abrissmaßnahmen bei ortsbildprägenden Gebäuden
- Von der Bau-Ruine zur Gemeinschaftsfläche (Projekt Rassweiler)
- Baulandbörse, Leerstandsbörse, Aktives Leerstandsmanagement
- Umfassende Information von Hausbesitzern über die Wertentwicklung im demografischen Wandel
- Kooperation mit Banken, die wegen der Bewertung von Hypotheken ein Interesse an innovativen Konzepten zur Wohngebäude-Aufwertung haben müssten
- Bauherrenberatung für innovative Wohnkonzepte im demografischen Wandel
Ziel der Maßnahmen war und ist es, die Attraktivität und die Aufenthaltsqualität in Quartieren mit auffälligen Leerständen zu verbessern und Verwahrlosungstendenzen von vornherein zu vermeiden. Architekten sollten verstärkt sensibilisiert werden für die Bedeutung von Sanierung und Umbau alter Bausubstanz. Mit einem Programm „Alte Häuser für Familien“ sollen Anreize zum Kauf leer stehender Häuser geschaffen werden. Intensiv diskutiert wurde die Haltung des Bürgermeisters, keine Neubaugebiete am Ortsrand mehr zuzulassen, obwohl dies auf den ersten Blick im interkommunalen Wettbewerb für Nachteile sorgen könnte.
Andererseits waren die Bürger für Argumente zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Neubaugebieten offen. Ihrem Petitum, dass nach wie vor Neubauten möglich sein sollten, wird künftig dadurch Rechnung getragen, dass verstärkt Baulücken und bisher nicht verdichtete Innenlagen auf neue Baugrundstücke hin untersucht werden sollten. Außerdem sollten die Besitzer von potenziellem Bauland in Baulücken sensibilisiert werden, ihre Grundstücke bei fehlendem Eigenbedarf auf den Markt zu bringen und damit zusätzlich zur Verdichtung im Innenbereich beizutragen. Diese Sensibilisierung ist gelungen, die Umsetzung nur teilweise.
Die Zahl der vermarkteten Baulücken ist im Steigen begriffen. Illingen hat die Erfahrungen aus MELANIE in REFINA-Projekte eingebracht. Die Gemeinde sieht auf diesem Feld beträchtliches Innovationspotenzial. Das gilt insbesondere für den Ansatz, den Verzicht auf bereits ausgewiesene Versiegelungen (Gewerbegebiete, Wohngebiete) merkantil auszugleichen.
Die Gemeinde Illingen hat im Saarland eine Vorreiterrolle bei Modellvorhaben zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs gespielt. Anders als in anderen Kommunen waren die Gemeindeorgane in Illingen bereit, auf eine Außenentwicklung in Randlagen zu verzichten und stattdessen nach Wegen zur innerörtlichen Entwicklung zu suchen. Die Illinger wollen keine „Landschaftsfresser“ mehr sein. So kam man zur Auffassung, dass Landschaft, Biodiversität und kulturelle Vielfalt gepflegt und bewahrt werden sollen. Heute muss dies auf die Kulturlandschaft und die Siedlungskerne erweitert werden.
In Illingen sind mit den MELANIE-Projekten erstmals im Saarland Wohnungsleerstände systematisch erfasst und gemanagt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Problem politisch, administrativ und medial praktisch nicht existent. Zwar wurde in der Presse über Leerstände von Geschäften berichtet, nicht aber über leer stehende Eigenheime. Die Ergebnisse der ersten MELANIE-Studie belegten, dass die Folgen des demografischen Wandels schneller eintreten als bisher angenommen. Selbst in Unterzentren, die auf den ersten Blick intakt erscheinen, treten vermehrt Leerstände von Ein- und Zweifamilienhäusern auf.
Dabei handelt es sich gerade nicht um Problemquartiere städtischer Art mit Migrationsauffälligkeiten, sondern um bürgerliche Wohngebiete der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts mit konservativ-liberaler Bevölkerungsstruktur, denen allmählich die Menschen abhandenkommen. Wenn die Wohnungsbesitzer sterben, folgen nicht mehr automatisch Erben nach. Die Kinder sind an die Ortsränder in schickere Neubaugebiete gezogen, die ihrerseits zu den Problemzonen der Zukunft gehören werden, denn in diesen reinen Wohnsiedlungen gibt es weder Einkaufs- noch Freizeitmöglichkeiten.
Auch dort lässt MELANIE erste Erosionserscheinungen erkennen: Die Zunahme von Ehescheidungen und der Verlust von Arbeitsplätzen im Mittelstand haben dazu geführt, dass vermehrt Eigenheime versteigert werden. Da in den Boomjahren großvolumig, großflächig und großzügig gebaut wurde, nicht selten mit luftig-ausladenden Eingangsbereichen und offenen Galerien, die Heizenergie kosten, ist die Vermarktung schwieriger geworden. Zudem klaffen zwischen den Preisvorstellungen der Eigentümer und der Banken einerseits und der potenziellen Käufer andererseits oft erhebliche Lücken.
Zur Methodik des Leerstandsmanagements gehören:
- Erfassung der Leerstände
- Vor-Ort-Beurteilung der Leerstände
- Photographische Dokumentation der Leerstände
- Statistische Auswertung
- Untersuchung der Eigentumsverhältnisse mit Hilfe der Einwohnermeldedaten
- Prüfung mit dem Liegenschaftsprogramm ZORA
- Ermittlung der Eigentümer
- Anschreiben der Eigentümer
- persönliche Kontaktaufnahme mit Eigentümern
- Situationsanalyse und Beratung
Das Leerstandskataster der Gemeinde Illingen belegt, dass auf dem Immobilienmarkt nach wie vor eine hohe Fluktuation herrscht. Verkaufserfolge sind abhängig von der Preisbildung.
Vor allem im mittleren und gehobenen Preissegment müssen Preisabschläge hingenommen werden. Sind die Eigentümer dazu bereit, haben sie auch Verkaufschancen, sofern die Häuser qualitative Mindestanforderungen erfüllen. Gesucht sind auch alte Häuser im Billigsegment, die von zumeist jungen Käufern umgebaut werden. Hier wird sich das Wohnungs- und Hausangebot in den nächsten Jahren wegen der demografischen Entwicklung auf ein Überangebot hinbewegen. Das lässt eine Tendenz zu deutlich sinkenden Preisen bei Altimmobilien erwarten. Eine der Aufgaben des Projekts Illingen 2030 war es, die Bevölkerung über diese Trends zu informieren und damit zu einer realistischeren Preisbildung beizutragen. Die angesprochenen Banken zeigten sich z.T. überrascht von den aktuellen Daten des demografischen Wandels, da dies zu Neubewertungen der über Hypotheken besicherten Immobilien (Abwertungstendenz) führen kann. Von Maklern außerhalb des Untersuchungsgebiets, die im Auftrag von Erbengemeinschaften tätig sind, werden in der Regel zu hohe Preise angesetzt, die sich an großstädtischen Entwicklungen orientieren. Das erschwert aber die Problemlösung. Makler sind nach Einschätzung der Gemeinde Illingen selbst Teil des Problems.
19 Platz da! Das Abrissprogramm
Nicht immer sind leer stehende alte Gebäude vermarktbar. Immer häufiger taucht wegen der maroden Bausubstanz das Problem eines negativen Grundstückswerts auf. Da es keine Anreize für die Eigentümer und keine Sanktionen gibt, trägt dies nicht zu Vermarktungsaktivitäten bei. Die Gemeinde Illingen hat deshalb in Kooperation mit der Landesregierung mit dem fünften MELANIE-Programms das erste kommunale Abrissprogramm im Saarland gestartet. Nach den Förderrichtlinien des Gemeinderates soll das Programm «den Abriss langjähriger Leerstände fördern, bei denen sonstige Maßnahmen zur Wiedernutzbarmachung ausgeschöpft sind und die nicht mit sonstigen Fördermitteln abgerissen werden können». Ziel ist es, durch Abriss von Leerständen gravierende Probleme in einem Straßenzug zu lösen und damit die Wohnqualität im Viertel insgesamt spürbar zu verbessern.
Förderfähig ist der Abriss ältere Häuser, die seit mindestens 5 Jahren ab dem Zeitpunkt der Antragstellung leer stehen. Die Förderung wird als einmaliger, unverzinslicher und zweckgebundener Zuschuss ausgezahlt. Eine 100%ige Förderung ist möglich. Der Zuschuss beträgt 3.000 Euro je Objekt. Bei besonders exponierten Gebäuden können bis zu 10.000 Euro Zuschuss gezahlt werden. In diesem Fall verpflichtet sich der Eigentümer, einen Grundbucheintrag auf eigene Kosten eintragen zu lassen. Über die Anträge entscheidet der Rat.
Mit «Platz da!» hat die Gemeinde Illingen einen provokativen Slogan für abzureißende Häuser gewählt, der zu Diskussionen anregte. Die ersten abzureißenden Häuser wurden ebenso provokativ mit einem Transparent versehen, auf dem der andere «Ich bin als nächstes dran!» zu lesen war. Wegen der Radikalität der Slogans gab es auch Kritik.
Aber der gewünschte Effekt, hohe Aufmerksamkeit zu erzielen, wurde erreicht.
20 Revitalisierung im Quartier
Erfolg versprechend ist die Revitalisierung von Altquartieren, wenn es gelingt, die Einwohnerinnen und Einwohner zu motivieren und zu mobilisieren.
Dass das Modell funktioniert, hat die Gemeinde in einem alten Wohnquartier in einem der sechs Ortsteile in einem Bürgerprojekt getestet. Dabei ging es um die Revitalisierung einer geschwächten Straße, in der zwei ehemalige große Gaststätten, die einst kulturelle und soziale Treffpunkte waren, eine ehemalige Metzgerei und ein Wohnhaus leer standen. Außerdem zeigte die relativ alte Siedlung eine große Anzahl potenzieller Leerstände, da in mehreren Häusern alle Bewohner älter als 70 Jahre sind.
Die Straße, die einst zum Dorfkern des Altortes Raßweiler gehörte, ist innerhalb von zwei Jahrzehnten funktionslos geworden: Die letzten Einzelhandelsgeschäfte haben geschlossen, die Gaststätten waren oder sind nur noch Ruinen.
Damit kulminierten auf einer Strecke von 400 Metern städtebauliche Probleme. Es gelang innerhalb von eineinhalb Jahren, in einem parteiübergreifenden Aktivierungsprozess ein neues Gemeinschaftsgefühl der Bewohner zu schaffen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken, Sozialkapital zu akquirieren und neue Ideen nach Abriss mehrerer Problemhäuser zu entwickeln. Drei der vier Leerstände sind beseitigt, die Anlieger haben Flächen erworben, um selbst Platz um ihr Haus zu haben und damit ihre Wohnqualität zu steigern. Die Fläche der ehemaligen Metzgerei ist in einem Bürgerprojekt zum Kommunikationsplatz umgestaltet worden.
Die interkommunale Kooperation gilt als wichtiges Instrument, um Folgen des demografischen Wandels abzufedern, Kosten zu sparen und positive Netzeffekte zu generieren. Deshalb haben die externen Berater im Projekt «Illingen 2030» empfohlen, neue Kooperations-Arrangements im Nahbereich um Illingen zu erproben. In einem Modellprojekt in Kooperation mit dem saarländischen Innenministerium untersuchten die Gemeinden Illingen, Merchweiler, Schiffweiler und Tholey die Themenfelder Informations- und Kommunikationstechnik (IuK), Forderungsmanagement, aktives vernetztes Gebäudemanagement und öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Die größten Effekte lassen sich beim aktiven kommunalen Gebäudemanagement erzielen. Die wenigsten kommunalen Gebäude sind trotz der Konjunkturprogramme des Bundes energetisch optimiert. In den vier Kommunen werden 181 Gebäude kommunal bewirtschaftet. Die Verwaltung erfolgte in der Vergangenheit vorwiegend mit selbstprogrammierten Excel-Tabellen.
Spezielle vergleichende Auswertungen von Verbräuchen und Kosten wurden kaum durchgeführt, die potenzielle Fehlerquote war hoch, der Effekt gering. Nach Einführung der Doppik hat sich die Situation insofern gebessert, als umfassende Bestandsaufnahmen und Bewertungen vorgenommen wurden. Derzeit ist das Verhalten in den Kommunen aber mehr reaktiv als proaktiv.
Mittlerweile werden nicht nur im Bereich der freiwilligen Leistungen, sondern auch bei klassischen Verwaltungsdienstleistungen Kooperationen praktiziert: beim Forderungsmanagement arbeitet die Gemeinde Illingen mit dem Landesverwaltungsamt LaVA zusammen, bei der Verkehrsüberwachung und der Sicherung der öffentlichen Ordnung mit den Nachbargemeinden Schiffweiler und Merchweiler. Auch die Lohnabrechnung wird mittlerweile in zahlreichen Kommunen interkommunal organisiert. Dies ist ein Fortschritt. Neu sind Kooperationen der Illtal-Gemeinden im Feuerwehrbereich (Atemschutzwerkstatt). Das war nicht zu erwarten. Eine Zusammenlegung der Standesamtsbezirke Merchweiler, Illingen und Schiffweiler hat landesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.
Auch die Informations- und Kommunikationstechnik (IuK; früher: EDV) gilt als gut geeignet für interkommunale Kooperation. Da der IuK-Bereich in jeder Verwaltung einer der wichtigsten internen Dienstleister mit Querschnittsfunktion ist, haben die beteiligten Projektkommunen die Tauglichkeit der IuK für Beschaffung, Software und Personaleinsatz sondiert. Nur eine der vier Kommunen beschäftigt einen Informatiker, die Lage erscheint insgesamt sehr heterogen: Unterschiedliche Anwendungssoftware in nahezu allen Verwaltungsbereichen, unterschiedliche Aktualität der Betriebssysteme, unterschiedlicher Servereinsatz, unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Hardware (Server und Arbeitsplatzgeräte) und ein unterschiedlicher Umgang mit Zugangsrechten und Sicherheitsfragen prägen die Situation.
Eine Harmonisierung würde ein neues Prozessmanagement und ein Reengineering der Informations- und Kommunikationsnetzwerke erfordern. Diese Aufgabe wollen die IuK-Verantwortlichen derzeit nicht übernehmen, möglicherweise können sie es auch nicht. Hier herrscht Nachholbedarf. Es wird eine der nächsten Herausforderungen sein.
Ein Feld, in dem bisher eher Konkurrenz als Kooperation gepflegt wurde, ist die Wirtschaftsförderung. Die Erfolge neuer Kooperationen sind allerdings bisher sehr bescheiden. Insbesondere die Ausweisung eines gemeinsamen Gewerbegebiets zweier Kommunen (Illingen, Eppelborn) erwies sich als Flop.
Die beteiligten Verwaltungen und Räte lernten, dass PPP-Modelle mit externer Projektsteuerung nicht unbedingt effizienter und innovativer sein müssen als kommunale Projekte. Interkommunale Kooperationen müssen straff organisiert und im Rahmen bewährter Formen der kommunalen Gemeinschaftsarbeit (GmbH, Zweckverband) institutionalisiert werden. Um Kommunikationsdefizite gar nicht erst entstehen zu lassen, müssen die Gemeinderäte einbezogen werden. Auch eine Beteiligung der lokalen Wirtschaft und der organisierten Wirtschaftsförderung in der Region empfiehlt sich.
Dass die interkommunale Kooperation nicht (wie bei Förderprogrammen des ländlichen Raums) vom Saarland bevorzugt behandelt und finanziell privilegiert wurde, sorgte für Irritationen.
Um interkommunale Kooperationen in Zeiten der Globalisierung und des demografischen Wandels zu fördern, sollten öffentliche Finanzierungsanreize geschaffen werden, mit denen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zu Fusionen deutlich gestärkt wird.
Die Landesebene muss entsprechende Steuerungsmöglichkeiten nutzen.
Ziel führende Ansätze ergeben sich bei einem abgestimmten Regionalmanagement mehrerer Kommunen in den Bereichen Tourismus, Marketing und Umwelt. Mit LandAufschwung ist im Jahr 2016 ein Projekt auf Kreisebene gestartet worden, das hohes Entwicklungspotenzial hat.
Das Modellvorhaben ist ein Baustein des Bundesprogramms «Ländliche Entwicklung» für strukturschwache ländliche Regionen. Unternehmerische Menschen sollen in Eigenregie über innovative Ideen und deren Umsetzung mit den Mitteln eines Regionalbudgets entscheiden.
In der offiziellen Darstellung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft heißt es:
« Strukturschwache ländliche Regionen sollen dabei unterstützt werden, mit dem demografischen Wandel vor Ort aktiv umzugehen, die regionale Wertschöpfung zu erhöhen, die Beschäftigung im ländlichen Raum zu sichern und damit auch Schrumpfung zu gestalten. Für die Start- und Qualifizierungsphase wurden 39 Landkreise ermittelt.» (http://www.bmel.de/DE/Laendliche-Raeume/BULE/land-auf-schwung/_texte/LandAufSchwung.html)
Verlangt wird ein integrierter Ansatz vor Ort und zwar sowohl bezüglich der förderfähigen Maßnahmen als auch im Hinblick auf die zu beteiligenden Akteure und die Gebietskulisse.
«Denn für eine zukunftsfähige Entwicklung peripherer ländlicher Räume sind neben der Wirtschaftsförderung mindestens auch die kommunale Sozial-, Bildungs-, Familien- und Gesundheitspolitik von zentraler Bedeutung. Zum einen stellen sie die relevante Infrastruktur als Voraussetzung für Wertschöpfung und Beschäftigung in ländlichen Räumen zur Verfügung.
Zum anderen ist der öffentliche und zivilgesellschaftliche Sektor ebenfalls ein wichtiger Arbeitgeber in den Regionen, so dass sich auch hier die Fragen nach den Fachkräften wie Ärzten, Lehrern, Altenpflegern usw. und nach innovativen Angebotsformen bei häufig sinkenden Ressourcen stellen.» (Modellvorhaben Land(auf)schwung)
Noch höher dotiert war der Sieg beim Bundeswettbewerb «Chance.Natur“» Die Landschaft der Industriekultur Nord mit den Kommunen Neunkirchen, Illingen, Quierschied, Merchweiler, Schiffweiler und Friedrichsthal sowie der Industriekultur Saar erhielt den Zuschlag (und damit Fördermittel in Millionenhöhe) für ein gesamtstaatlich repräsentatives Naturschutzprojekt, das auf alten Gruben- und Hüttenarealen mit Hilfe des Naturschutzes im urbanen Raum neue Wertigkeiten schafft.
«Das Projektgebiet beinhaltet ein Mosaik der typischen Landschaftsstrukturen einer Bergbaufolgelandschaft des Steinkohlebergbaus und der damit verbundenen Montanindustrie von Industriebrachen über Halden und Schlammweiher bis hin zur entsprechenden Wasser- und Landbewirtschaftung. Die hier seit drei Jahrzehnten ablaufenden Transformations- und Konversionsprozesse sind charakteristisch für diese Landschaft und bieten Raum für entsprechend repräsentative und beispielhafte Schutz- und Nutzungsstrategien auf derartigen Standorten. Naturschutzfachliches Ziel des Projektes ist es, einen repräsentativen Mix der vielfältigen und zum Teil sehr unterschiedlichen Lebensräume der urban-industriellen Bergbaufolgelandschaft des Saarlandes zu erhalten. Die vier Landschaftslabore des 18 Teilflächen umfassenden Kerngebietes bilden unterschiedliche landschafts- und nutzungsbezogene Typen der Altindustrieregion und damit die Bandbreite an typischen Lebensräumen repräsentativ, d. h. vollständig und in dieser Kombination auf engem Raum einmalig ab.
Im Landschaftslabor «Neuerfindung der Bergmannskuh» sind kleinräumig bewirtschaftete Lebensräume verzahnt mit Fließgewässern, die eine Reihe von Rote Liste-Arten (z. B. Nordisches Labkraut, Großen Feuerfalter, Steinkauz, Edelkrebs, Steinbeißer) aufweisen. Hier stehen die Fortführung der extensiven Wiesen- und Weidenutzung, die Reaktivierung der Streuobstnutzung sowie die Sanierung und Renaturierung der Gewässer, an denen entlang sich diese Nutzungsstrukturen in der Vergangenheit entwickelt haben, im Vordergrund.
Im Landschaftslabor «Forstwirtschaft und natürliche Prozesse» steht die Schaffung einer naturnahen Waldstruktur der großflächig vorhandenen Buchen-Eichen-Wälder und kleinflächigen Erlen-Eschen- und Eichen-Hainbuchen-Wälder mit Vorkommen von Zwerghirschkäfer, Beulenkopfbock etc. im Vordergrund. Durch eine entsprechend veränderte Bewirtschaftung durch den Staatsforstbetrieb soll die Entwicklung zu Laubwaldbeständen mit hohem Altholzanteil erfolgen und die natürlichen Prozesse im Wald sollen möglichst wenig beeinträchtigt werden.
Urban-industrielle Lebensräume sind im flächenmäßig größten Landschaftslabor «Bergbaufolgelandschaft Heinitz» vertreten und beherbergen auf Extremstandorten wie Halden, temporären Gewässern und Industriebrachen zahlreiche spezialisierte Arten, wie z. B. Wechselkröte, Gelbbauchunke, Blauflügelige Sandschrecke, Salzbinse, Helm-Azurjungfer oder an den gefährdeten Waldrändern auch Brombeer- und Silberfleck-Perlmuttfalter. Hier sollen sowohl Sukzessionsprozesse ermöglicht als auch unterschiedliche Pionierstandorte erhalten werden. An den Schlamm- und Stauweihern sind vor allem Maßnahmen zum Rückbau sowie die Modellierung und teilweise Offenhaltung von Uferbereichen vorgesehen.
Vervollständigt wird das Mosaik aus typischen Landschaftsstrukturen im Landschaftslabor «Vogelzug und Wilde Weiden», in dessen Zentrum ein großflächiger Schlammweiher steht, der in eine umgebende halboffene Weidelandschaft eingebunden werden soll. In den großflächigen Verlandungszonen finden sich Arten wie z. B. der Drosselrohrsänger. Ziel ist es, die seit der Nutzungsaufgabe entstandenen Strukturen des Schlammweihers (Verlandungsflächen, Röhrichtzonen) zu erhalten und weiter zu fördern sowie die landwirtschaftlich genutzten Flächen im Umfeld so umzustrukturieren, dass der Weiher in Zukunft zum Zentrum einer halboffenen Weidelandschaft wird.
Begleitet werden die Maßnahmen in den Landschaftslaboren von zahlreichen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und der Umweltbildung, wie zum Beispiel «LIK Nord macht Schule» oder die Naturerlebnistage in den Landschaftslaboren, wo insbesondere auch die Kinder und Jugendlichen in das Projekt eingebunden werden. Eine zusätzliche Maßgabe für die Erreichung dieses Ziels stellt die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung dar, denn dadurch können Identifikationsprozesse und Imagebildung positiv beeinflusst werden.
Das Naturschutzgroßprojekt «Landschaft der Industriekultur Nord» ist eines der fünf Gewinner des Wettbewerbs «IDEE.Natur – Zukunftspreis Naturschutz». Erstmals seit dem Start der Förderung von Naturschutzgroßprojekten im Jahr 1979 wurde ein Projekt in einer urban-industriellen Region in dieses Förderprogramm aufgenommen.»
In dieses Projekt fließen 14 Millionen Euro, davon 90 Prozent als Fördermittel des Bundes und des Landes. Die restlichen 10 Prozent werden von den beteiligten Kommunen getragen.
23 Sprengt alte bürokratische Ketten!
Zu den größten Hindernissen im demografischen Wandel gehören bürokratische Blockaden, administrative Verkrustungen und fehlende Flexibilität von Verantwortlichen in Ministerien. Man scheut Experimente und Innovationen aus Furcht vor Prüfmitteilungen des Rechnungshofs oder aus Angst vor Kontrollverlust.
Demografischer Wandel verlangt aber zwingend die Bereitschaft, alte bürokratische Ketten zu sprengen und neue Netzwerke aufzubauen, neues Denken zuzulassen und dabei auch Fehlschläge von Modellversuchen zu riskieren.
Dass auch die Möglichkeiten der Digitalisierung, der virtuellen Vernetzung, des Wissensmanagements und der Innovationsförderung genutzt werden müssen, versteht sich von selbst.
Es gilt das Motto «Innovation schlägt Bürokratie».
In Zeiten des Wandels haben Kultur und Identität eine besondere Funktion. Sie können dazu beitragen, den Zusammenhalt in Zeiten der Bedrohung zu stärken. Mit Kultur wird der Handlungsrahmen gezogen, in dem Menschen ihr persönliches Glück suchen. Gleichzeitig liefert Kultur Chiffren, Symbole, Werte, Bilder, Geschichte und Geschichten für die Identität des Einzelnen und Identifikationsräume für menschliche Gemeinschaften. Je mehr Globalisierung und Internationalisierung voranschreiten, umso wichtiger werden kultureller Rahmen und historische Wurzeln.
«Die Kultur macht mit Sprache, Bildern und Begriffen, mit sozialen Standards des Erlebens und Verhaltens die Welt begreifbar und damit aufeinander bezogenes Sozialverhalten erst möglich. Es geht um vor allem um Lebenssinn, um das, was fast alle für gerecht und richtig, was man für böse oder hässlich hält. Derlei Muster geben uns einen Deutungs- und Handlungsrahmen vor, den wir mit unserem persönlichen Lebensentwurf lediglich ausfüllen.» (Di Fabio 2005,2).
Deshalb können Kultur und Identität stiftende Symbole zu einem Katalysator für neue Ideen und Entwicklungen werden, wenn sie richtig genutzt werden.
Eine starke kulturelle Identität kann aber auch zu Blockaden führen, wenn die Orientierung an vergangene Zeiten zu stark ist. Es ist deshalb wichtig, Tradition und Innovation gleichermaßen zu fördern.
Kultur ist damit eine «Schlüsselressource» (Mintzberg 1999, 315) Sie ist Schutz und Gefahr, denn selbstverständlich wird die eine Gemeinde eine Region, eine Organisation durch starke kulturelle Prägung auch verwundbar (Mintzberg 1999).
Kultur eignet sich auch im demografischen Wandel als Policy-Feld kommunaler Selbstverwaltung und Selbst-Gestaltung. Zwar sind gegenseitige Marketingmaßnahmen benachbarter Kommunen ebenso sinnvoll wie die Abstimmung von Kulturterminen, aber das Politikfeld selbst bleibt individuell gestaltbar. Hier können Kommunen Schwerpunkte setzen und Profile bilden.
Aufgabe der Länder ist es, einen Kernbereich kommunaler kultureller Selbstverwaltung auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung zu gewährleisten. Die Städte und Gemeinden haben einen grundgesetzlich gewährleisteten Anspruch darauf. Auch die saarländische Verfassung bildet in diesem Fall Anspruchsgrundlagen.
Partizipation ist kein Erfolgsgarant. Wo Konflikte zu erwarten sind, können Beteiligungsprozesse auch scheitern. Dazu liegen inzwischen empirische Daten zu konfliktgeladenen Infrastrukturprojekten vor. Das ist nicht die einzige Hürde.
Die Grenzen partizipativer Planung und lokaler Governance-Arrangements wurden auch im Projekt Illingen 2030 mehrfach aufgezeigt. Das gilt beispielsweise für die Innovationsfähigkeit. In Zeiten fundamentaler Veränderungen sind Innovationen und Kreativität notwendig, möglicherweise sogar existenziell. Kreativität ist aber nicht durch Mehrheitsbeschluss durchzusetzen, Innovationen entstehen nicht in Gruppen-Brainstorming-Sitzungen. Gruppen-Brainstorming ist nach Erkenntnis empirischer Studien eher ein Innovationsblockierer als ein Innovationsmotor.
Deshalb wird es auch weiterhin notwendig sein, dass Kreative und Strategen mit ihrem Wissen und ihrer Fähigkeit zu professionellem Arbeiten Leitimpulse für die strategische Entwicklung einer Kommune geben. Sie tragen Verantwortung dafür, der Bürgerschaft diese Leitimpulse und Innovationen näherzubringen, um die Zukunft des Gemeinwesens zu sichern. Zuspitzung und Profilierung im Diskurs können und sollen dazu führen, die bestmögliche Lösung zu finden, auch wenn gerade dieser Meinungskampf vielen Bürgern missfällt. Was in Parlamenten und Gemeinderäten selbstverständlich ist, gilt an Runden Tischen und in Zukunftsforen als störend. Die Nachteile sind nicht zu verkennen. Governance-Arrangements neigen durch ihre konsensual angelegte Grundstruktur zur Konflikvermeidung – und damit zu bequemen Mainstream-Lösungen («allen wohl und niemand weh»).
Deshalb sollten müssen die Schwächen partizipativer Prozesse offen diskutiert werden. Wer daran teilnimmt, hat Interesse am Thema und meist auch eigene Interessen. Workshops funktionieren i.d.R nach moderierten Partizipationstechniken wie der Metaplantechnik. Was vorgeschlagen wird und ins Konzept passt, wird notiert, dokumentiert und schließlich ergebnisorientiert zusammengefasst. Dass aus dieser Konstellation ein Wunschkatalog entstehen kann, lässt sich kaum vermeiden. Daraus entstehen Projektvorschläge, über die ein legitimiertes Gremium wie der Gemeinderat zu entscheiden hat. Ihm ist es aus finanziellen und strategischen Gründen kaum möglich, den Wunschkatalog zu übernehmen, das führt zu Frustrationen und Legitimationsproblemen.
Das schwierigste Thema ist die Konsolidierung der Haushalte. Partizipativ ist sie kaum zu erreichen. Die Finanzentwicklung der Kommunen im Saarland ist dramatisch, scharfe Sanierungsauflagen sind in den nächsten Jahren zu erwarten. Die Beispiele der Grundschulschließungen im Saarland aus finanziellen Gründen und des Sportmasterplans Essen mit beabsichtigten Sportstättenschließungen zeigen, dass Haushaltssanierung konfliktgeneigt ist und erhebliche Wiederwahlrisiken birgt. Verhandlungen über Konsolidierung, Rückbau oder ähnlich einschneidende Maßnahmen erfordern, dass in einem System der Gegenseitigkeit Win-win-Situationen bei der Verteilung und Nutzung knapper Güter geschaffen werden, bei der kein beteiligter Partner über Gebühr benachteiligt und kein Partner über Gebühr bevorteilt wird. Nachteile müssen im Rahmen gemeinwohlorientierter Arrangements ausgeglichen werden.
Lokale Zukunftsprojekte unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft sind ein Erfolg versprechender Weg, kommunale Probleme im demografischen Wandel gemeinsam zu lösen. Partizipation bezieht die Fähigkeiten der Bürger ein, nutzt ihre Kompetenzen und fördert soziales Engagement und die Identität der Einwohner. Wo strukturelle Umbrüche zu bewältigen sind, ist es entscheidend, Zukunftsperspektiven zu vermitteln, dem eigenen Tun Sinn zu geben, das Zusammengehörigkeitsgefühl auch in Krisensituationen zu stärken und gemeinsam neue Wege zu erkunden. Das funktioniert nur, wenn Partizipanten und Mitarbeiter sensibilisiert sind für die Probleme, wenn sie motiviert sind, sich in den Change-Prozess einzubringen. Dabei müssen auch Widerstände überwunden und Konflikte ausgehalten werden.
In Illingen funktioniert dies auch nach acht Jahren noch. Auch 2014 lassen sich Bürgerinnen und Bürger in hohem Ausmaß wieder motivieren, die Geschicke ihres Ortes, ihrer Gemeinde selbst in die Hand zu nehmen und Ideen zu entwickeln.
Die «vor ort ideenwerkstatt» ® von «noncorm architecten» in Illingen im Dezember 2013 war ein geradezu sensationeller Erfolg, obwohl ein Projekt zur Debatte stand, bei dem in zwölf Jahren ständigen Frustrationen zu verzeichnen waren: Die Revitalisierung der zentralen Industriebrache «Höllgelände».
In der dreitägigen Zukunftswerkstatt brachten die Illinger über 1.300 Ideen ein. Das war rekordverdächtig. Letztlich führte dieses hohe Ausmaß an Kreativität zu einem beeindruckenden Planungserfolg.
Die Architekten entwickelten aus den Bürgerideen ein integriertes Plankonzept, das vom BBSR gefördert wurde. 2014 stand die Planung in Grundzügen, 2015 waren die Grundzüge der Förderung geklärt, begannen auch die Abrissarbeiten für eines der größten saarländischen PPP-Projekte mit neuem Quartier, Einkaufszentrum, neuem Markt, neuem Citywohnen, betreutem Wohnen für Menschen mit und ohne Handicap und für Dienstleistungen und Gemeinwohl-Aufgaben.
Es ist ein 40-Millionen-Euro-Projekt mit hohem gestalterischem Anspruch und partizipativer Entwicklungsplanung.
Die Gemeinde Illingen hat der Versuchung widerstanden, Null-Acht-Fünfzig-Investitionen im Großflächen-Stil zu akzeptieren. Stattdessen haben eine kreative Verwaltung und ein mutiger Rat die Chance genutzt, die Bürgerschaft intensiv zu beteiligen, um ein auf Illingen abgestimmtes architektonisches Konzept in die Tat umzusetzen. Das ist ein Musterbeispiel partizipativer Planung. Allerdings war viel Geduld notwendig. Die Illingen mussten 15 Jahre auf eine Umsetzung warten.
Was ebenfalls Mut macht, ist die Tatsache, dass die Bürgerschaft nicht nur im Zentralort Illingen, sondern auch in den Ortschaften lebendig und aktiv ist. Trotz aller Probleme nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand. Die Jugendlichen haben ihr eigenes Juz geplant und ausgestaltet, die Bürger von Hüttigweiler eine abgebrannte Schutzhütte wieder aufgebaut, in Uchtelfangen wollen die Einwohner altes Brauchtum wiederbeleben, in Hirzweiler werden die Einheimischen eine Dorfzeitung redigieren. Nichts ist unmöglich, wenn man Mut und Ideen hat und wenn einem der eigene Ort, das eigene Quartier am Herzen liegt, allen Finanzproblemen zum Trotz.
Was ebenfalls Mut macht, ist die Bereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr und der Sportvereine, in Eigenverantwortung Konsequenzen zu ziehen und sich fit zu machen für die Zukunft. So haben zwei Löschbezirke freiwillig fusioniert, um auch am Tag stets einsatzfähig zu sein. Im Gegenzug erwarten sie von der Kommune den Bau einer angemessen Feuerwehr-Station, die sich bei Bedarf um einen weiteren Löschbezirk erweitern lässt. Ein weiteres zentrales Gerätehaus für den Bereich Mitte ist als Logistik- und Einsatzzentrum in der Vorplanung. Die Feuerwehr ist kein Tabuthema mehr.
Die Fußballvereine haben ihre Jugendabteilungen zusammengelegt, um die Talentförderung zu optimieren. Es waren bottom-up-Prozesse mit beachtlicher öffentlicher Wirkung. Bei der Platzsanierung wird mit einer saarlandweit einmaligen Stiftungslösung operiert, um Kooperationen finanzieller Art mit bürgerschaftlichem Engagement zu verbinden.
27 Das Thema Demografie ist in Illingen gesetzt
Man braucht starke Gründe, um Menschen zu mobilisieren, bisherige Pfade, Nischen, Refugien und Nester zu verlassen und sich „ins Offene“ zu begeben. Aber es gibt dazu keine Alternative.
Das ist nur möglich, wenn Politik und Verwaltung mutig vorangehen und sich zur Bedeutung kooperativer, partizipativer Planung im demografischen Wandel bekennen.
Demografie braucht Promotoren. Wo sie aktiv und kooperativ handeln, sind Erfolge wahrscheinlich. Erfolgsgarantien kann allerdings niemand geben.
Was alle angeht, können nur alle lösen.
Diese Wahrheit ist den Bürgerinnen und Bürgern zumutbar.
Strategie statt Durchwurstelei, Mut statt Furcht
Die Erfahrungen aus dem Impulsprojekt Illingen 2030 zeigen, dass es keine allgemein gültigen Rezepte gibt. Jeder muss die eigenen Zutaten finden, um einen erfolgreichen Prozess zu managen.
Grundvoraussetzung ist es, der Realität ins Auge zu schauen. Der demografische Wandel ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Er führt zu negativen Effekten, die unerwünschte Folgen für die Zukunftsentwicklung haben. Um angemessen reagieren zu können, ist ein objektiver, mutiger Demografiecheck notwendig. Darauf kann nicht verzichtet werden. Dies ist mit hohem Aufwand und viel Arbeit verbunden.
Wer die Zukunft im demografischen Wandel gewinnen will, braucht eine umfassende Datenbasis. Er (oder sie) muss die Verwaltung, die Politik, die Bevölkerung, die Wirtschaft, die Vereine und Institutionen sensibilisieren und dafür gewinnen, Schrumpfung zu akzeptieren, nicht abzuwarten, sondern zu handeln und die Infrastruktur zu optimieren.
Kommunen, die vom demografischen Wandel betroffen sind, tun gut daran, nicht mit Macht Gegenstrategien zu entwickeln, um mit hohem Ressourceneinsatz einen gesellschaftlichen Trend umkehren zu wollen, der sich lokal nicht umdrehen lässt. Stattdessen sollten sie sich neu positionieren und mit Schwerpunkten profilieren. Es muss nicht mehr jeder alles selbst machen. Arbeitsteilung, Vernetzung und Kooperationen über Institutionengrenzen hinaus liegen im Trend, müssen allerdings offensiv gesteuert werden.
Generationenpolitik ist eine relativ neue Aufgabe, die lokal bisher kaum ganzheitlich stattfindet. Zu einer modernen Generationenpolitik gehören die Schwerpunkte Bildung, Kinderbetreuung, Erziehung, Schule, Barrierefreiheit, Seniorenpolitik, Pflege und Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesellschaftliche Dialoge sowie öffentliche Familienleistungen und generationenübergreifende Freiwilligendienste. Wichtige Ziele einer lokalen Generationenpolitik sind Gerechtigkeit, Verantwortung, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit.
Jugendinteressen müssen in einer alternden Gesellschaft besonders geschützt werden, um zu verhindern, dass wir zu „Zukunftsdieben“ werden, die der jüngeren Generation die Lebensgrundlagen rauben. Jugendliche brauchen keine Reservate, sondern Entfaltungsräume, in denen sie auch einmal laut werden dürfen.
Wichtig ist aber auch eine spezifische Seniorenpolitik, die dafür sorgt, dass alte Menschen nicht unter die Räder kommen. Deshalb muss auch die lokale Verkehrspolitik angepasst werden.
Bildung ist ein Schlüsselfaktor im demografischen Wandel. Schulen sollten mehr Eigenverantwortung erhalten, Gemeinden und Kreise mehr Handlungsspielräume in finanzieller, personeller und organisatorischer Hinsicht nutzen, um die Qualität des Unterrichts und der Versorgung verbessern zu können. Das Konzept der „selbstständigen Schule“ hat viel Charme und Potenzial. Die Idee, Schulen zu öffnen und multifunktional für weitere Aktivitäten im Sinne des Lebenslangen Lernens ganztägig bis in den Abend zu nutzen, liegt nahe, wird aber bisher kaum genutzt. Angeregt wird, Wissenszentren zu schaffen. Dies wird bereits modellhaft erprobt. Um die Ortsnähe zu erhalten, sollen innovative pädagogische und didaktische Formen genutzt werden.
Zu den wichtigen Anliegen eines demografiefesten Reformkonzepts gehört die Verbindung von vorschulischer Erziehung und Grundschulpädagogik. Kern des Reformmodells ist ein pädagogischer Verbund von Kindergarten und Grundschule. Im Interesse der Familien sollen kommunale und freie Bildungs- und Betreuungsangebote aufeinander abgestimmt, die Elternarbeit verstärkt und eine adäquate Kommunikationsstruktur aufgebaut werden.
Auch die Bürger- und Solidargemeinde verspricht Potenzial. Wo Freiwilligenengagement funktioniert, wird Sozialkapital in erheblichem Umfang generiert. Das ist der Kitt der Gesellschaft in turbulenten Zeiten des Umbruchs.
Eine offenkundige Erscheinung des demografischen Wandels sind leer stehende Wohnungen, Häuser, Siedlungen. Anders als in Ostdeutschland mit seinen Plattenbauten treten die Leerstände in den alten Bundesländern über die gesamte Stadt- oder Gemeindefläche auf, wo sie sich windpockenartig verteilen. Betroffen sind auch Neubaugebiete der 1970er Jahre. Leerstandsmanagement ist das am schnellsten wirksame Steuerungsinstrument im demografischen Wandel und zeigt sichtbare Erfolge im Stadtbild. Möglich ist dies durch Aktivierung und Mithilfe der Bürger und der Professionalität der Verwaltung und der Experten. Umnutzungen öffentlicher Gebäude werden in den nächsten Jahren in der kommunalen Politik eine wachsende Rolle spielen. Demografie ist auch im Westen Deutschlands in Teilbereichen Abrisspolitik. Diese muss durch Förderinstrumente des Bundes und der Länder unterstützt werden, wenn die Probleme der Zukunft gelöst werden sollen.
Demografischer Wandel muss zu einem Paradigmenwechsel in der Flächenpolitik führen. Im Interesse einer nachhaltig wirksamen, generationengerechten Politik ist ein weiterer Flächenverbrauch insbesondere durch Neubaugebiete im Außenbereich der Kommunen nicht zu verantworten. Er ist weder sachlich geboten noch ökonomisch und ökologisch vertretbar. Flächenschutz soll gesetzlich verankert werden. Eine Begrenzung von Neubaugebieten über die Landesplanung erscheint deshalb als zwingend. Im Wohnungsbau sind Angebote notwendig, die stärker als bisher auf die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung und einer stärkeren Singularisierung eingehen. Dazu zählen betreutes Wohnen mit Dienstleistungsangeboten, das den Bewohnern die Möglichkeit gibt, möglichst lange selbständig zu leben, Mehrgenerationenhäuser und barrierefreie Wohnungen und Wohnumfeldbereiche.
Partizipative Entwicklungsplanung ist möglich und Erfolg versprechend. Offenheit und Transparenz sind wesentlich.
Wenn Politik und Verwaltung mutig sind, sind auch die Bürger mutig. Dazu brauchen sie gute Promotoren und Moderatoren, die unkonventionelle Ideen nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern. Partizipation verlangt konkrete Projekte aus dem Lebensumfeld der Bürger. Quartiersarbeit verspricht dabei die höchsten Beteiligungserfolge, Bildungs- und Betreuungsprojekte sowie Sozialaktivitäten bieten sich besonders an. Bürgerideen müssen zeitnah in die Tat umgesetzt werden.
Der Erfolg in solchen Projekten hängt immer von Personen ab, die ganzheitlich denken und motivieren. Sie müssen bereit und in der Lage sein, auch Rückschläge wegzustecken und immer wieder aufzustehen. Resilienz und Geduld sind nicht zu unterschätzende Erfolgsfaktoren.
Trotz vieler kleiner Erfolge wird es immer wieder vorkommen, dass Politiker oder Interessengruppen versuchen, so zu agieren, als habe es die Demografie nie gegeben. Das sind verständliche Reflexe, die aber auch Dauer nicht Erfolg versprechend sind. Mehr denn je kommt es darauf an, alte Seilschaften zu kappen und alte bürokratische Ketten zu sprengen.
Wir erleben auf vielen Feldern das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Deshalb führt an neuen Konzepten und mutigen Weichenstellungen kein Weg vorbei.
Die Zukunft gehört denen, die Mut haben. Die Zukunft gehört denen, die Kommunen neu positionieren. Die Zukunft gehört denen, die sich nicht scheuen, Ballast abzuwerfen und dafür neue Techniken, neue Netzwerke, neue Kommunikationswege zu erproben. Es lohnt sich.
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Inhaltsverzeichnis
Stoppt Migration den demografischen Wandel?…………… 7
Ein Einwurf 2016 statt eines Vorworts…………………………… 7
Demografie und Arbeitsmarkt…………………………………….. 26
Schrumpfen und verkalken?……………………………………….. 45
Abenteuer Demografie………………………………………………. 55
Der demografische Wandel ist mitten in der Gesellschaft angekommen 55
Paradigmenwechsel…………………………………………………… 58
Die Zeit ewigen Wachstums ist vorbei…………………………. 59
Das Ende der alten Lokalpolitik…………………………………… 61
Begriffsbestimmungen……………………………………………….. 64
Demografischer Wandel…………………………………………….. 64
Bevölkerungsfortschreibung………………………………………. 65
Bevölkerungsstatistik…………………………………………………. 66
Bevölkerungsentwicklung…………………………………………… 66
Bevölkerungsbilanz……………………………………………………. 67
Bevölkerungsanalysen……………………………………………….. 68
Demografische Trends……………………………………………….. 68
Bevölkerungsvorausberechnung…………………………………. 68
Demografie und Infrastruktur…………………………………….. 70
Essentials zur Demografie…………………………………………… 72
1 Demografischer Wandel ist Realität………………………… 72
2 Paradigmenwechsel………………………………………………. 74
3 Das Ende der Gleichwertigkeit?………………………………. 77
4 Schrumpfung akzeptieren………………………………………. 80
5 Nicht abwarten, sondern handeln: Infrastruktur optimieren 84
6 Neupositionierung der Kommunen…………………………. 86
7 Zurück in die Mitte – Warenangebote sichern…………. 88
8 Aus Verantwortung Flächen schonen………………………. 90
9 Vorrang für lokale Generationenpolitik…………………… 92
10 Partizipation und MIT-KOMM-Strategie………………… 94
11 Jugendinteressen wahren…………………………………….. 97
12 Politik für Ältere und Barrierefreiheit……………………. 99
13 Menschengerecht statt autogerecht…………………….. 103
14 Nachhaltigkeit und Accessibility………………………….. 105
15 Kooperieren statt kannibalisieren……………………….. 107
16 Bildung als Schlüsselfaktor…………………………………. 110
17 Bürger- und Solidargemeinde……………………………… 116
18 Leerstände und Neubaugebiete………………………….. 118
19 Platz da! Das Abrissprogramm…………………………….. 124
20 Revitalisierung im Quartier…………………………………. 126
21 Interkommunale Kooperation…………………………….. 128
22 Regionalmanagement………………………………………… 132
23 Sprengt alte bürokratische Ketten!…………………….. 138
24 Kultur und Identität……………………………………………. 139
25 Partizipation hat Grenzen………………………………….. 141
26 Was Mut macht…………………………………………………. 144
27 Das Thema Demografie ist in Illingen gesetzt………… 148
Vom Check zur Tat…………………………………………………… 149
Strategie statt Durchwurstelei, Mut statt Furcht………… 149
Literatur………………………………………………………………….. 157
Seit 15 Jahren wird lamentiert, der demografische Wandel lasse Deutschland schrumpfen und vergreisen. Doch mit der so genannten Flüchtlingskrise ist vieles anders geworden. Der Alarmismus hat sich auf das Thema Migration verschoben, ist heftiger und drastischer geworden. Die Einwohnerzahl Deutschlands hat sich 2015 von 81,2 Millionen am Jahresanfang auf mindestens 81,9 Millionen Menschen am Jahresende erhöht. Doch der demografische Wandel ist nicht abgesagt, sondern nach wie vor aktuell. Zuwanderung überdeckt dies nur.
Armin König, seit 1996 hauptamtlicher Bürgermeister, seit 2007 Demografie-Experte, widerlegt gängige Klischees und zeigt, wie bürgerschaftliches Engagement beim demografischen Wandel beeindruckende Erfolge ermöglicht.
Die Alterung der Gesellschaft und die Folgen für die Kommunen im Bund und im Saarland
Eine kaum wahrgenommene demographische Herausforderung mit erheblichen
Auswirkungen
Abstract:
Die Schrumpfung Deutschlands in den nächsten 20 bis 30 Jahren wird von Bevölkerungswissenschaftlern
seit längerem problematisiert. Der demographische Wandel hat aber eine andere
wichtige Komponente, die von Sebastian Schröer und Thomas Straubhaar für kritischer
gehalten wird: „Nicht die Schrumpfung, sondern die Alterung ist die demografische Herausforderung.“
(Schröer & Straubhaar 2006: 20). Alterung der Gesellschaft lässt sich mit Hilfe
der Relation zwischen älteren und jüngeren Menschen definieren: „Eine Bevölkerung altert,
wenn die Menschen länger leben und gleichzeitig weniger Kinder geboren werden. Dann
steigt der relative Anteil der älteren Einwohner an der Gesamtbevölkerung. Dieses kollektive
Altern wird ausgedrückt durch den Altenquotienten1, das Verhältnis von Rentnern zu Menschen
im Erwerbsalter.“ (Lehr 2007: 1).
Armin König beschreibt kritisch die Alterung der Gesellschaft und die Folgen für die Kommunen im Bund und im Saarland.
Die Alterung der Gesellschaft und die Folgen für die Kommunen im Bund und im Saarland
Armin König