Ich habe einen offenen Brief an Friedrich Merz und die Unionsfraktion geschrieben.
Hier ist er:
Wider die Einschüchterung der Zivilgesellschaft – gegen Diffamierung von Kritikern
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Sehr geehrter Herr Dr. Merz, sehr geehrter Herr Dobrindt, sehr geehrter Herr Frei,
47 Jahren war ich CDU-Mitglied, 27 Jahre direkt gewählter hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Illingen, 28 Jahre stellvertretender CDU-Gemeindeverbandsvorsitzender in Illingen. Ich verstehe nicht mehr, was in dieser Partei und in Ihrer Fraktion gespielt wird. Dass ein ehemaliger Oberbürgermeister vor laufender Kamera 551 Attacken auf die Zivilgesellschaft und die Bürgerdemokratie rechtfertigt, kann ich nicht nachvollziehen. War Ihnen das Wahlergebnis nicht Warnschuss genug? Haben Sie noch nicht verstanden, dass Sie dabei sind, die Mitte der Gesellschaft zu verprellen und zu verschrecken? Die Mitte fühlt sich verraten und verwaist. Sie haben sie entMerkelt. Das ist ihr gutes Recht – aber politisch unklug.
Ich muss das so deutlich zur Sprache bringen, auch wenn ich seit 2021 nicht mehr Mitglied dieser traditionsreichen Partei bin.
Mir macht das Angst, was in den letzten Wochen vor der Wahl (Stimmen mit der AfD, Löwenbräukeller-Gejohle gegen friedlich demonstrriende Bürger, zu denen ich auch gehörte, 551 parlamentarische Fragen zu Ausforschung von NGOs) in der Merz-CDU läuft. Der Rechtsruck, die Ausmerzung der Mitte, die beleidigte Reaktion auf Kritik, die Racheaktionen gegen Demonstrationen – das ist doch nicht CDU-like.
Jahrzehntelang habe ich das anders gelebt und praktitiziert. Bürgerkommune, Bürgerdemokratie, partizipative Planung, das waren Erfolgsgeheimnisse.
Und jetzt?
Top down Machtdemonstrationen.
Hat nicht Benjamin Barber gesagt, nur Bürger-Demokratie sei starke Demokratie?
Wie schwach ist dann diese Art konservativ gesteuerter Machtpolitik, in der es »gleichgültig ist, wer mit mir (Merz) stimmt!
Ich hätte mir, der ich 1974 in die CDU eingetreten war, nie vorstellen können, dass die Partei der Sozialausschüsse, der MIT und der Frauenunion, die Partei Helmut Kohls, Heiner Geißlers und Angela Merkels, die Partei Annegret Krmap-Karrenbauers, für die oder mit der ich dutzende Wahlkämpfe geführt habe, so abdriften würde.
Können Sie mir das erklären?
Sie kennen natürlich die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Anne Applebaum. Vielleicht haben einige aus Ihrer Fraktion sogar der beeindruckenden Rede der Laudatorin Irina Scherbakowa (Friedensnobelpreis-NGO „Memorial“) und der Dankrede Applebaums in der Paulskirche zugehört und applaudiert – und das zu Recht. Sie waren ja selbst nicht dort, wie ich der Presse entnommen habe. Der Mensch lebt aber nicht von Geld und Macht allein. Vor allem ehemalige Kommunalpolitiker müssten dies wissen.
Anne Applebaums Buch »Die Achse der Autokraten – Korruption, Kontrolle, Propaganda« ist ein meisterhaftes Werk, das tiefgehende Analysen liefert. Kapitel 5 – »Die Verunglimpfung der Demokraten« – ist auch in Deutschland eine Mahnung.
Mit Ihrer Wahlkampf-Abschlussrede im Löwenbräukeller, Herr Merz, und Ihrer 551-Fragen-Anfrage im Deutschen Bundestag (- eine Pervertierung des Parlamentsinstruments der Kleinen Anfrage), Herr Frei, untergraben Sie Grundprinzipien einer Demokratie, in der eigentlich alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (GG Art. 20). Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Das setzt Meinung-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit voraus. Die attackieren Sie auf ziemlich rüde und rücksichtslose Weise mit Ihrer Monster-„Kleinen“-Anfrage und Ihren wilden Attacken („nicht mehr alle Tassen im Schrank“; „grüne und linke Spinner“ – das war ganz böse).
Der Missbrauch der Kleinen Anfrage als politisches Druckmittel gegen missliebige Organisationen ist, auch wenn Kommentatoren anderer Auffassung sind, in meinen Augen eine offenkundige Variante der Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Die Reaktionen belegen das. Im Union-Wahlprogramm kann ich über Zivilgesellschaft nichts lesen. Das ist der CDU und der CSU halt auch oft lästig.
Was Sie veranstalten, kann ich nicht gutheißen.
• So hat Viktor Orbán seine Kritiker mundtot gemacht.
• So hat die PiS-Regierung in Polen unbequeme Stimmen marginalisiert und diffamiert.
• So setzen auch Sie, Herr Merz, Herr Dobrindt Kritiker unter Druck. Natürlich dürfen Sie das. Das ist ein Meinungskampf, aber ein höchst einseitiger – mit Machtmissbrauch.
Sie belassen es ja nicht bei Organisationen wie Correctiv oder Attac oder Omas gegen rechts.
Deshalb sagen wir:
Wehret den Anfängen. Principiis obsta.
Was die Angelegenheit höchst angreifbar macht, ist die Tatsache, dass Sie die Staatsmacht mit Hilfe interner Akten instrumentalisieren, um Kritiker zu delegitimieren, die ihre verfassungsmäßigen Rechte (Demonstrationsrecht, Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit) wahrnehmen. Das ist ein Foul in der Demokratie. Da gebe ich Herrn Klingbeil Recht.
Die Anfrage Drs. 20/15035 wird hoffentlich der Diskontinuität unterfallen. Aber vielleicht irre ich mich ja. Sie können mir ds gern erklären.
Sie bleibt ein Instrument, das auch in der neuen Legislaturperiode wieder hervorgezogen werden kann, wenn Ihnen das bei Kritik mal wieder in den Sinn kommt.
Ich appelliere an Sie: Überdenken Sie diesen Kurs und nehmen Sie einen Kurswechsel vor. Das haben Sie doch nicht notwendig.
Demokratie lebt von Streit, aber auch von Fairness und Respekt vor der Meinungsvielfalt. Eine starke Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft. Hören Sie auf, Methoden von Trump und Autokraten wie Orbán zu nutzen, um Machtpolitik zu exekutieren.
Ich kann im übrigen nur hoffen, dass die SPD als potenzieller Koalitionspartner Sie dazu bewegen wird, Ihre sehr unkluge und unfaire Anfrage zu shreddern und nicht mehr aus der Schublade zu ziehen. Und wenn die SPD-Führung das nicht schafft, sollten die SPD-Mitglieder einem Kanzler die Gefolgschaft verweigern, der auf solche Methoden baut.
Die AfD hat die Dutzende solche Anfragen in den letzten beiden Legislaturperioden gestellt. Das wissen Sie besser als ich, Sie waren ja dabei. Diese Übernahme von AfD-Methoden im politischen Meinungskampf ist das, was mich als ehemaliges, langjähriges CDU-Mitglied (47 Jahre lang) erschüttert.
Seit meiner Jugend bin ich ehrenamtlich aktiv. Als Sportler, Politiker und Vereinsmensch, als Musiker, als Vortragender, als Christ und Demokrat, als ehemaliger Präsident der LAG Pro Ehrenamt im Saarland und ehemaliger Vizepräsident des Saarländischen Turner-Bundes bin ich sehr enttäuscht über Ihr Vorgehen, das Sie jetzt auch noch gegen Kritik verteidigen.
Ich war lange genug Bürgermeister und habe immer Bürgerbeteiligung gesucht. Es war ein Erfolgsmodell par excellence. Wer aber die Zivilgesellschaft untergräbt und unterdrückt, erntet Protestwähler am rechten Rand.
Daher bitte ich Sie eindringlich: Ziehen Sie die Anfrage zurück. Setzen Sie stattdessen auf eine Politik der Debatte und des Dialogs und der Förderung ziviligesellschaftlichen Engagements.
Mit freundlichen Grüßen
in der Hoffnung auf Vernunft
Dr. Armin König
Bürgermeister a.D.