Globus-Projekt Neunkirchen Betzenhölle – Darstellung von Planungsverbot, rechtlichen Voraussetzungen und gutachterlichen Defiziten

Vorlage des Bürgermeisters für die Gemeinderatssitzung – Globus-Projekt

Darstellung von Planungsverbot, rechtlichen Voraussetzungen und gutachterlichen Defiziten

Die Stadt Neunkirchen hat beim Zweckverband Landschaft der Industriekultur Nord (LIK Nord) mit Schreiben vom 6. Juli 2016 (NK) die Aufnahme des Tagesordnungspunktes „Zustimmung zur Einleitung eines förmlichen  Raumordnungsverfahrens im Zusammenhang mit der geplanten Ansiedlung eines Globus Verbrauchermarktes in Neunkirchen“ beantragt.

In einer umfangreichen Stellungnahme an die LIK.Nord hat das Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz darauf hingewiesen, dass es ein „dem Raumordnungsverfahren entgegenstehendes Planungsverbot“ gibt und dass zunächst die „Entlassung der betroffenen Flächen aus dem Kerngebiet der LIK Nord“ erforderlich sei. Darum bittet das MUV in seinem Antrag. Anschließend werde man „das Bundesamt für Naturschutz (BfN) um verbindliche Auskunft bitten, ob die Einleitung eines Raumordnungsverfahrens zulässig ist und unter welchen Bedingungen bei einer raumordnerisch ermittelten Zulässigkeit des Vorhabens einer Entlassung der betroffenen Flächen aus dem Kerngebiet von dort zugestimmt wird“.

Weiter heißt es in dem Anschreiben: „Nur bei einem zustimmenden Ergebnis soll ein förmliches Raumordnungsverfahren beantragt und eingeleitet werden. Das Raumordnungsverfahren selbst ist ergebnisoffen und berücksichtigt alle öffentlichen Belange bei seiner Entscheidungsfindung.“

Dem widerspricht der Brief der Stadt Neunkirchen an den Zweckverband LIK Nord insofern, als bereits der Antrag auf „Zustimmung zur Einleitung eines förmlichen Raumordnungsverfahrens im Zusammenhang mit der geplanten Ansiedlung eines Globus Verbrauchermarktes in Neunkirchen“ gestellt wird. Dies ist der weitergehende Antrag.

Der Zweckverband behandelt beide Anträge im Verbandsausschuss und in der Verbandsversammlung am 20. September 2016. Sie sind im jetzigen Stadium offenkundig unzulässig, da sie gegen den Förderbescheid und das darin enthaltene Planungsverbot verstoßen.

 

Planungshindernisse, Verbote und KO-Kriterien sowie Umgang damit: 

Die Stadt Neunkirchen, das Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und die Firma Globus wollen dieses Rechtshindernis beseitigen, indem sie eine Ausgliederung der Fläche Betzenhölle im Tausch gegen eine angeblich „gleichwertige“ Ausgleichsfläche „Katzentümpel“ vorschlagen, wobei gewisse Augleichsfunktionen dort nicht möglich sind, wie das MUV als oberste Naturschutzbehörde feststellt. Auch vor diesem Hintergrund ist ist nach jetziger Rechtslage eine Ausgliederung nicht zulässig, wie das Bundesamt für Naturschutz in hier bekannten Antworten an die Firma Edeka, die sich nunmehr ebenfalls um die Fläche beworben hat, und den Saarländischen Rundfunk (Anfrage Grabenheinrich) mitgeteilt hat.

Demnach ist die von allen Stadt- und Gemeinderäten einstimmig beschlossene Verwaltungsvereinbarung von 2009/2010, die von der Stadt Neunkirchen, der Stadt Friedrichsthal, der Gemeinde Illingen, der Gemeinde Merchweiler, der Gemeinde Schiffweiler, der Gemeinde Quierschied, dem Saarland und der Industriekultur Saar unterschrieben wurde, für alle Beteiligten und für Dritte „einschlägig“ und Fördergrundlage des Bundes.

In den Antragsunterlagen des MUV sind auch die landesplanerische Erst-Einschätzung, die Gutachten der Firma Globus und die naturschutzfachliche Einschätzung enthalten.

Demnach gibt es weitere rechtserhebliche Tatbestände, die einem Raumordnungsverfahren entgegenstehen.

Unbestritten ist der Verstoß gegen das Integrationsgebot des Raumordnungsgesetzes und der saarländischen Raum- und Landesplanung (Ziel 46).

Dies geht bereits aus dem Gutachten „Auswirkungsanalyse Errichtung eines Globus SB-Warenhauses in der Kreisstadt Neunkirchen im Auftrag der Grundstücks-GbR Globus Holding“ vom Dezember 2015 durch die Firma Markt & Standort, Erlangen (im folgenden M&S-Gutachten) hervor.

Dort heißt es: „Das städtebauliche Integrationsgebot (Ziffer 46 des LEP-Saarland) steht im Widerspruch zu den Zielen der Landesplanung, da eine städtebauliche Integration nicht herzustellen ist.“ Deshalb ist aufgrund dieses Zielverstoßes ein Zielabweichungsverfahren erforderlich, das aus gutachterlicher Sicht Aussicht auf Erfolg hat.“ (M&S 2015: 56)

Dem widerspricht die Einschätzung der Landesplanung:

„Nach Ziffer 46 des LEP, Teilabschnitt „Siedlung“, sind großflächige Einzelhandelseinrichtungen im engen räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem zentralen, innerörtlichen Versorgungsbereich (integrierter Standort) des jeweiligen Zentralen Ortes innerhalb des Siedlungszusammenhangs zu errichten. Nach Ziffer 47 des LEP, Teilabschnitt „Siedlung“, können großflächige Einzelhandelseinrichtungen unter Beachtung der landesplanerischen Zielsetzungen in Ausnahmefällen auch außerhalb integrierter Standorte des jeweiligen zentralen Ortes in Sondergebieten (gemäß BauNVO) ausgewiesen werden, wenn sie weit überwiegend nicht-zentrenrelevante Warensortimente, deren Vertriebsformen aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierung hauptsächlich auf große ebenerdige Ausstellungs- und Verkaufsflächen (z.B. Möbelhäuser, Bau- und Gartenfachmärkte, Autohäuser) angewiesen sind, beinhalten. Ziffer 47 kommt im vorliegenden Fall insofern nicht zu Anwendung.

„Der von der Stadt Neunkirchen und der Fa. Globus im Ergebnis der Standortalternativenprüfung vorgeschlagene Präferenzstandort „Betzenhölle“ steht – wie im Übrigen alle anderen untersuchten Standortalternativen auch – im Widerspruch zu den Zielfestlegungen des o.g. Integrationsgebotes (Ziffer 46 des LEP, Teilabschnitt „Siedlung).“

(Landesplanung Saarland 2016: 11-12) (…)

Auch wenn der Gutachter im Rahmen der Auswirkungsanalyse eine tendenziell positive Einschätzung zum Ausgang des erforderlichen Zielabweichungsverfahrens äußert (Kap. 2.4.3.), kann aus raumordnerischer Sicht derzeit keine Einschätzungabgegeben werden, ob bzw. inwieweit für das vorgesehene großflächige Einzelhandelsvorhaben am Präferenzstandort „Betzenhölle“ von dem landesplanerischen Ziel des Integrationsgebots (Ziffer 46 des LEP, Teilabschnitt „Siedlung“) abgewichen werden kann, da eine diesbezügliche raumordnerische Beurteilung letztlich im Rahmen eines (ergebnisoffenen) Zielabweichungsverfahrens erfolgen muss. Hierzu liegen derzeit weder ein entsprechender Zielabweichungsantrag noch die hierfür erforderlichen entsprechenden Antragsunterlagen vor.“

Aus dem Anschreiben (Seiten 5/6) der Landesplanung beim Ministerium für Inneres und Sport ist herauszulesen, dass das Standortauswahlverfahren hinsichtlich der Bewertung von Alternativstandorten durchaus kritisch hinterfragt wird.

„Aus raumordnerischer Sicht erscheinen Aufbau und Methodik des dreistufigen Bewertungsverfahrens zur Standortalternativenprüfung vom Grundsatz her strukturiert und transparent. Das Ergebnis des Bewertungsverfahrens kann allerdings nur bedingt nachvollzogen werden. Fraglich ist beispielsweise, wieso im Rahmen der Restriktionsanalyse (Phase II) potenzielle Vorhabenstandorte untersucht werden, die den selbstgestellten Mindestanforderungen an die Flächengröße (> 5 ha) sowie an die kurzfristige Flächenverfügbarkeit gar nicht entsprechen. Vor diesem Hintergrund hätten die Standorte 2, 3, 5 und 13 auf Grund der zu geringen Flächengröße sowie die Standorte 3 („Spitzbunker“), 6 (Quierschied-Göttelbom) und 11 („Schotterwerk“) im Hinblick auf die fehlende Flächenverfügbarkeit bzw. der aktuellen Belegung durch andere Nutzungen gar nicht betrachtet werden müssen. Im Zusammenhang mit der Flächenverfügbarkeit stellt sich für den Standort 9 („Grünschnittdeponie“) zudem die Frage, warum diese im städtischen Eigentum befindliche Fläche aus der weiteren Betrachtung ausgeschieden wird (gutachterliche Begründung: „Die Flächen sind in städtischer Hand und werden nicht veräußert.“).

Zu hinterfragen ist ferner, warum die Lage eines Standortes (hier: Standort 7 „Betzenhölle“) innerhalb des Kerngebiets der LIK.Nord (Kriteriumkategorie Umweltbelange) im Rahmen der Bewertungsphase III lediglich zu einer negativen Standortbewertung und – insbesondere mit Hinweis auf das „Planungsverbot“ der geltenden Verwaltungsvereinbarung – auf Grund des absoluten Restriktionscharakters des Kriteriums nicht zum Ausschluss der betreffenden Standortoption führt (vgl. Kap. V.). Damit wird das Kriterium „Kerngebiet LIK.Nord“ gleichgewichtig bewertet wie bei anderen Standorten bspw. die Wettbewerbssituation (z.B. S. 26 und 62), die ÖPNV-Anbindung (z.B. S. 48 und 61) oder querende Leitungstrassen (z.B. S. 43). Dies erscheint aus hiesiger Sicht unangemessen und wenig plausibel.“

Relevant ist auch das Beeinträchtigungsverbot, das im Städtebaurecht ein K.O.-Kriterium ist.

Das M&S-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Beeinträchtigungsverbot nicht verletzt sei, da die rechnerisch ermittelten Umsatzumlenkungsquoten deutlich unterhalb der ermittelten Schwellenwerte von 10 Prozent für nahversorgungs- und zentrenrelevante und 20 Prozent für nicht-zentrenrelevante Sortimente lägen.

Der Bürgermeister der Gemeinde Illingen hat bereits bei der Vorstellung der Ergebnisse durch die Globus-Holding gegenüber Bürgermeister des LIK-Gebiets festgestellt, dass die Ist-Analyse der Firma M&S methodische und rechnerische Mängel und Defizite aufweist, die den Wert des gesamten Gutachtens sowohl im Bereich der Zielabweichung bei der Umsatzumlenkung (Raumordnungsziel 45 Beeinträchtigungsverbot) als auch beim Kongruenzgebot (räumliche Verteilung und Versorgungsstruktur, Ziel 44) in Frage stellen.

Die im M&S-Gutachten grundgelegten Daten zu Illingen weichen um mehrere tausend Prozent (!) vom tatsächlichen Einzelhandelsbestand etwa in der Gemeinde Illingen ab. So wird im Bereich „Elektrohandel“ (Radio Euronics XXL Schneider, Illingen; Hinsberger Uchtelfangen) eine Bestandfläche von fünf (!) Quadratmetern und ein Umsatz von 0 Euro (!) in der Gemeinde Illingen angenommen. Der Einzelhandelsbereich „Uhren, Schmuck, Optik“ (z.B. Optik Saar, Optik Kessler, Optik Zajonz, Uhren Schlicker, Uhren Schillo sowie Brillenstudio Jünemanns Uchtelfangen) ist laut M&S-Gutachten in Illingen NICHT VORHANDEN. Das ist insofern relevant, als es sich um zentrenrelevante Sortimente handelt, die bei der Umsatzumlenkungsberechnung zu Grunde gelegt worden sind uns sich auch in Daten der M&S-Unterlagen (Prognoseberechnungen) an zentraler Stelle wiederfinden.

Auf die Nachfrage des Bürgermeisters am 29. April 2016, ob die Einheiten richtig dargestellt seien, sagte der M&S-Gutachter Epple: „ja“.

Das Gutachten enthält auch für die umliegenden Gemeinden Mängel und Defizite.

Damit ist eine tatsächliche Basis für die Anwendung von Simulationsrechnungen nicht gegeben. Die methodischen und rechnerischen Fehler sind so schwerwiegend, dass Simulationsrechnungen zu irrealen Ergebnissen führen.

Da die Gemeinde Illingen die am stärksten von Umsatzumlenkungen betroffene Gemeinde des Globus-Projekts ist (M&S, S. 40; Landesplanung S. 11) und die genannten methodischen und rechnerischen Fehler und Defizite so fundamental sind, dass das Gutachten verzerrte Ergebnisse liefert, hat der Bürgermeister eine Plausibilitätsanalyse in Auftrag gegeben.

Die Firma Lademann und Partner kommt zu dem Ergebnis, dass das Gebot der Verträglichkeit der Umsatzumlenkungen (Beeinträchtigungsverbot Ziel 45) massiv verletzt ist und Illingen in einem Ausmaß betroffen ist, das die Schwellenwerte von 10 bzw. 20 Prozent weit überschreitet.

Damit verstößt das Ansiedlungsinteresse nicht nur gegen die Interessen des LIK.Nord-Projekts, sondern auch gegen zwei der wesentlichen Verträglichkeitsziele der Raumordnung.

Schließlich leidet das Begehren der Stadt Neunkirchen und des Umweltministeriums an dem gravierenden Mangel, dass förmliche Belange europäischen Umweltrechts (FFH und Vogelschutzrichtlinie) nicht in die Voruntersuchung einbezogen wurden. Auch dies ist ein K.O.-Kriterium.

Dazu heißt es in der Stellungnahme der Landesplanung zu dem entsprechenden Ziel 22 der Raumordnung:

„Inanspruchnahme ökologisch wertvoller Lebensräume (Ziffer 22).

Auf Grund der Lage des Präferenzstandorts „Betzenhölle“ innerhalb des Kemgebiets 8 „AHA-Hüttenpark Neunkirchen und Halde König“ des Naturschutzgroßvorhabens Landschaft der Industriekultur Nord (LIK.Nord) widerspricht die Vorhabenplanung der landesplanerischen Zielfestlegung der Ziffer 22, wonach ökologisch bedeutsame Teile von Freiräumen vor Beeinträchtigungen zu schützen, in ökologisch wirksamen Zusammenhängen zu erhalten und in ihrer Funktionsfähigkeit zu stärken sind. Dies gilt insbesondere für solche ökologisch wertvollen Lebensräume wie Natura 2000-Gebiete und sonstige Schutzgebiete und -objekte nach dem Saarländischen Naturschutzgesetz. Insofern bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt landesplanerische Vorbehalte gegen den Vorhabenstandort, die jedoch zurückgestellt werden können, wenn das MUV als oberste Naturschutzbehörde im Rahmen der naturschutzfachlichen Prüfung und Einschätzung die Vorhabenunbedenklichkeit hinsichtlich der v.g. landesplanerischen Zielfestlegungen bestätigt.“  (Landesplanung 2016: 13)

Genau dies hat das MUV aber bewusst unterlassen und ausgeklammert. In der Stellungnahme der Abteilung Naturschutz heißt es dazu:

„Im Nachfolgenden wird der projektierte Standort Betzenhölle aus naturschutzfachlicher Sicht beurteilt. Dabei bleibt der förmliche Belang der Lage des Bereichs „Betzenhölle“ in dem Kerngebiet Nr. 8 des Naturschutzgroßprojektes „Landschaft der Industriekultur Nord (LIK.Nord)“ außer Acht, da über das derzeitige Vorverfahren die Dispositionsbedingungen für die Entlassung der entsprechenden Flächen aus der Kerngebietskulisse des Naturschutzgroßprojektes LIK.Nord zu klären sind.“ (MUV 2016: 4, Punkt 4)

Damit wird in rechtserheblicher Form einer der zentralen Punkte der Zulässigkeits- und Verträglichkeitsprüfung ausgeklammert. Dies ist ein signifikanter methodischer und rechtlicher Fehler, der auf Abwägungs- und Genehmigungsentscheidungen wesentliche Auswirkungen hat.

Das Ansiedlungsansinnen der Fima Globus ist nach Einschätzung der Verwaltung damit rechtswidrig und nicht zustimmungsfähig. Eine Ausgliederung der Fläche Betzenhölle wäre vertragswidrig. Es gibt keinen Rechtfertigungs- oder Ausnahmetatbestand „öffentliches Interesse“, sondern nur wirtschaftliche Interessen.

Fazit:

Das Vorhaben ist vertragswidrig, verstößt gegen die Ziele der LIK.Nord und deren Förderbedingungen, verletzt fundamental raumordnerisch wesentliche Ziele (Z. 22; Z. 45, Z. 46) und interkommunale Rücksichtnahmegebote, verletzt die Verwaltungsvereinbarung, verstößt gegen das Integrationsgebot der Landesplanung und schädigt massiv den Einzelhandel und damit die Innenentwicklung der Gemeinde Illingen sowie der Nachbargemeinden.

Beschlussvorschlag:

Ablehnung des Antrags der Stadt Neunkirchen, Zurückweisen des Ausgliederungsbegehrens des Umweltministeriums und Prüfung einer Klage gegen das Vorhaben.

 

Dr. Armin König, Bürgermeister