Wachsam sein – den Feinden der Demokratie entgegentreten – für Frieden und Demokratie

Ich begrüße Sie zu dieser Gedenkfeier aus Anlass des Volkstrauertages.

Mein herzlicher Gruß gilt insbesondere den französischen Freunden aus Stiring-Wendel.
Wir treffen in einem historischen November 2018, in dem wir in besonderem Maße an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnern.

Aber dieser Volkstrauertag ist viel umfassender.

Wir erinnern an die Opfer des 1. und des 2. Weltkriegs, sowie an die Opfer von Terror und Gewalt, udn dieser Gedenktag ist heute wie gestern aktuell.
Ich bin davon überzeugt, dass wir tatsächlich etwas bewirken können, wenn wir jedes Jahr an vielen kleinen und großen Orten an die monströsen Kriege und ihre Folgen erinnern. Denn diese Folgen hatten nicht in erster Linie die hohen Herren zu tragen, sondern die kleinen Leute in all den kleinen Orten. Ihre Söhne wurden aufs Schlachtfeld geschickt und getötet. Hunger und Not waren Folgen, die in ganz Europa direkt vor Ort in praktisch jedem Haus zu spüren waren. Es gab in fast jedem Land eine kleine Clique von Kriegsgewinnlern. Ihnen stehen Millionen Opfer, Millionen Verlierer gegenüber.
Meine Damen und Herren, wir gedenken der Toten der beiden Weltkriege ‑ der gefallenen Soldaten und der Millionen getöteter Zivilisten. Wir gedenken der Opfer von Vertreibung und Gefangenschaft. Wir gedenken der Toten des Wi-derstands gegen Diktatur und Unrechtsregime ‑ in unserem Land und in vielen anderen Staaten der Welt. Wir gedenken des unermesslichen Leids, das den Op-fern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik widerfuhr. Wir Deutschen stehen zu unserer daraus erwachsenen besonderen, immerwährenden histori-schen Verantwortung. Wir gedenken der Opfer des Kalten Krieges und der Tei-lung unseres Landes und ganz Europas. Die Opfer des Terrorismus schließen wir ebenfalls in unser Gedenken ein.
Erinnern bedeutet, aus Vergangenheit Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Der Historiker Christopher Clark hat in seinem bahnbrechenden Buch „Die Schlafwandler“ nachgezeichnet, wie es zum Ersten Weltkrieg ge-kommen ist. Der Krieg war vermeidbar, hätte es nicht diese Emotionen gegeben. Revanchistisch-nationalistische Emotionen. Und die wurden nicht nur von Poli-tikern geschürt.
Und heute? Nach Jahren der Gemeinsamkeit, nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, brechen wieder alte Egoismen durch. In England, in Italien, in Polen in Ungarn, in Italien. Nationalisten kündigen auf, was dieses Europa zusammenhält. Und immer öfter lassen sich Wähler auf diesen Irrsinn ein.
Es wird schwieriger, dieses Europa zusammenzuhalten. Aber genau dieses Eu-ropa, in dem wir friedlich leben, dieses Europa der Freizügigkeit, dieses Europa der Freiheit, dieses Europa der Jugend, dieses Europa der Kultur, dieses Europa der gemeinsamen Naturräume, das für uns so selbstverständlich geworden ist, ist aller Anstrengungen wert. Lassen Sie nicht zu, dass die Errungenschaften der letzten Jahre und Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt werden durch irrationale Nationa-lismen, durch Neid und Missgunst, durch Zank und Streit.
In Compiègne, dem Ort des fatalen Friedensschlusses 1918, haben der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer symbolträchtigen Zeremonie zur Versöhnung aufgerufen. Der historische Ort, so die Erklärung, solle durch den gemeinsamen Besuch mit Merkel vom „Ort der Revanche“ zum Ort der „allerletzten Versöhnung“ zwi-schen Deutschland und Frankreich werden. Und nach Paris waren mehr als 60 Staats- und Regierungschefs unterschiedlichster Herkunft, Hautfarben und Überzeugungen gekommen, um an der Gedenkveranstaltung zum Ende des Ers-ten Weltkriegs gekommen. Unter diesen Staats- und Regierungschefs waren aber auch Paten des Neonationalismus wie Trump und Putin, wie Orban und Kaczinsky. Sie sind Paten eines neuen, spalterischen, freiheitsfeindlichen, pres-sefeindlichen Nationalismus.
Welche Lehren lassen sich heute ziehen? Vor allem, dass wir wachsam sein müssen.
Stefan Ulrich schreibt im Kommentar der Süddeutschen Zeitung:
„Macron … hielt … der Gegenwart einen Spiegel vor, in dem die Frevel der Ver-gangenheit schon wieder zu erkennen waren: die Überhöhung der eigenen Nati-on; die Herabwürdigung der anderen; und der ängstlich-aggressive Rückzug auf sich selbst, der leicht in neuer Gewalt explodieren kann.“
Weil der Frieden in Gefahr ist, müssen wir selbst immer wieder dafür eintreten, indem wir denen nicht nur widersprechen, die zu Hetze und Rassismus aufrufen. Wir müssen ihnen auch klar und überzeugend entgegentreten.
„Die Gemeinschaft der Demokraten ist stärker als die Internationale des Hasses“, hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck 2015 gesagt.
Wir müssen wachsam sein. Und wir dürfen nicht – wie bei Max Frischs Bieder-mann und den Brandstiftern – zuschauen, wie unsere Demokratie in Zeiten der Krise schlecht geredet wird. Es ist eine Staatsform, die auf dem christlichen Menschenbild aufbaut, die auf der Würde des Menschen aufbaut, seiner Unan-tastbarkeit, seiner Unverletzlichkeit als Person.
Dazu möchte ich Sie aufrufen. Klar Position zu beziehen. Immer wieder. Auch auf Facebook.
Man muss die Tabubrecher beim Namen nennen.
Wenn die AfD rechtsradikale Hetze in Parlamente und Öffentlichkeit trägt, dann ist dies ebenso skandalös wie die Reden des Front National oder die Provokatio-nen der Lega Nord. Immer wieder testen sie Grenzverletzungen und Tabubrüche aus. An uns liegt es, dem Einhalt zu gebieten. Auch darum geht es in diesen Ta-gen. Und deshalb sage ich es mit so viel Empathie. Es geht nicht um leere Trau-er-Rituale. Trauern kann nur jeder für sich. Aber erinnern müssen wir. Und de-rer gedenken, die Opfer von Krieg, Terror und Gewalt wurden.
Haben wir nicht geschworen, dass sich das alles nie mehr wiederholen dürfe?
Der Krieg? Der Hass? Nationalismus und Chauvinismus? Überlegenheitsrituale? Verfolgung von Minderheiten?
Allmählich scheint das zu entgleiten, zu verschwinden. Einfache Lösungen nach Art der Autokraten und Potentaten sind gefragt. Als ob es die je gegeben hätte.
Wir müssen innehalten, nachdenken – der Mensch braucht das.
In diesem Sinne wollen wir unser Totengedenken 2018 begehen, nachdenklich, kritisch und durchaus politisch. Wir haben Großes zu verteidigen: Einigkeit und Recht und Freiheit. Und die Würde des Menschen. Die fängt im Kleinen an.
Wir haben eine Welt zu verteidigen. Demokratie ist manchmal kompliziert. De-mokratie ist manchmal fehlerhaft. Aber es ist das Beste, was wir weltweit krie-gen können.
Einer der größten deutschen Bundespräsidenten, Richard Weizsäcker, hat eine bewegende Rede zum Tag der deutschen Kapitulation am 8. Mai gehalten. Seine große Rede ist auch heute noch Verpflichtung für uns. Sie endet mit den Wor-ten:
„Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit – für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen ge-fährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwin-den.
Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Haß zu schüren.
Die Bitte an die jungen Menschen lautet:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative,
gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder be-herzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen Tag, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.“

Das ist Aufgabe jedes Einzelnen: für eine starke Demokratie eintreten, für Frieden und Freiheit.
Vor allem sind wir es unserem Kindern und Enkelkindern schuldig.
Wir haben die Welt nur von ihnen nur geliehen.
Sie sollen in Frieden und Freiheit leben und sich so wie wir selbst verwirklichen können. Jeder kann dazu beitragen. Darum bitte ich Sie.

Dr. Armin König