Foto: (c) Saarländisches Staatstheater 2024.
Hai-Life in Saarbrücken – und am Ende siegen Liebe und neonbunte Emotionen
Armin König
Was für ein Regisseur, was für eine Inszenierung, was für ein Feuerwerk für die Sinne! Tomo Sugao hat ein Saarbrücken eine neongrellbunte »Entführung aus dem Serail« aus dem asiatischen Nachtleben inszeniert, die auch als Videospiel, als Breitwandcolorfilm und als Netflix-Mini-Serien-Knaller umgesetzt werden könnte: Da wird ein im 21. Jahrhundert eigentlich unspielbares Mozart-Singspiel zum Abenteuer für die Sinne.
Ja, es beginnt wie üblich mit Tschingderassabum, und man hört dem Orchester an, dass es für die Musikerinnen und Musiker im Graben eine Gaudi ist, diese millionenfach reproduzierte Ouvertüre an jedem Live-Abend (oder -Nachmittag) als historische Neu-Entdeckung zu servieren.
Kompliment an Dirigent Justus Thorau: So frisch kann der olle Serail-Mozart klingen. Da fliegt uns glatt das Blech weg. Und spätestens wenn die ersten Leuchtreklamen aus den Häuserschluchten in Tokio oder Shanghai auf die Bühne projiziert werden, unscharf erst (könnte ein Hai sein, ein chinesisches Triadensymbol – oder einfach nur Leuchtreklame für japanische Haifischflossensuppe und Sushi), wie auf einer alten Nintendo-Spiele-Konsole, dann immer deutlicher, wird aus der verstaubten Harems-Schmonzette ein kultiges Show-Event.
Musst du sehen, Dicka.
Aus dem Nichts taucht Belmont als Rucksack-Tourist aus dem Graben auf und jammert auf einem minimalistischen Podest am Rande der Bühne rum. Er sucht Konstanze, die als Gestrandete in den Händen eines chinesischen Geschäftsmannes (Barbara Grech nennt ihn einen chinesischen Philantropen) im Luxus des Nightlife gefangen ist. Bassa Selim ist erst nur aus dem Off zu hören. Dafür brüllt Osmin (Tapani Plathan), einst Haremswächter, jetzt prolomäßiger Türsteher, seine Flüche (übertitelt auf deutsch und französisch und in asterixischen Comic-Emojis) in tiefstem Bass souverän und böse, aber auch ein bisschen lächerlich, wie es ja auch sein soll, während Belmont zum ersten Mal Kostproben seiner großartigen Tenor-Präsenz gibt: Der Held leidet.
Das Duett Osmin-Belmont ist ein erster Höhepunkt, und man erkennt im Kauderwelsch der Sprachen schon früh: Da hat ein genialer Regisseur die Globalisierung fulminant in süffige Bilder und klangsatte Songs umgesetzt. Das funktioniert sogar bei einem verzopften, klischeebeladenen, Gender-aversen („Weiber“) Haremsstück aus dem 18. Jahrhundert.
Und er hat das Stück tatsächlich weitestgehend belassen, nicht als Steinbruch benutzt…
Tomo Sugao kontrastriert die »verbotenen« Wörter mit #me-Too-Passagen, und plötzlich gewinnen auch die weiblichen Freiheitsgesänge einer brillanten Blonde (Bettina Maria Bauer) im chinesisch-japanischen Nightlife-Business in Zeiten der #MeToo-Hashtags und der noch immer akuten Übergriffigkeit im Showgeschäft absolute Aktualität.
Und das ist ja erst der Anfang. Pedrillo ist in seiner Paraderolle, gibt den clownesken, aber toughen Mitarbeiter und Retter, singt deutsch, englisch, ukrainisch (?) oder polnisch (?), bringt Belmont als Krypto-Experten und Bitcoin-Banker ins Innerste des Bassa-Selim-Imperiums.
Und wenn dann die Duette und Quartette um die Wette singen, live und in Farbe und mit ganz analog-stimmbandlichen Koloraturen (ohne Rock-Verstärker) in höchsten Tönen (Liudmilla Lokaichuk und Bettina Maria Bauer) jubilieren, dann kann man all den Weltenschmerz für drei Stunden ausblenden und sich der Hoffnung hingeben, dass man beim Happy End in diesen sündigen Hallen die Rache nicht mehr kennt, auch wenn der übertölpelte Türsteher noch einmal wütet.
Ja, die Welt könnte besser sein, wenn nur Eifersucht, Neid und Hass und Rache nicht wären.
Vorhänge, Jubel, Begeisterung – und das an einem Nachmittag mit vorwiegend älterem Publikum.
Diese Sugao-Serail-Entführung hat einen Nerv getroffen. Und nicht nur der Sängerinnen und Sänger wegen. Auch wegen des Bühnenbilds voller greller Ampeln, der Ausstattung mit Manga und Pokahontas-Figruen, wegen der rasanten Inszenierung und des immer höchst präsenten Orchesters.
Absolut hörens- und sehenswert, Alda.
Natürlich wollte ich schon beim Verlassen des Theaters wissen, wer dieser sensationelle Regisseur Tomo Sugao ist (toll, dass die Musikdramaturgie ihn engagiert hat für diese Produktion):
Tomo Sugao wurde in Sapporo geboren und wuchs in Chicago, Michigan, Amsterdam, Düsseldorf und Tokio auf. Mit 4 Jahren begann er Geigenunterricht und spielte in verschiedenen Orchestern, darunter das Junior Philharmonic Orchestra in Tokio und das Asian Youth Orchestra.
Sein Regiedebüt gab er mit 19 Jahren mit Mozarts Die Zauberflöte. Nach dem Studium arbeitete er als Spielleiter und Regieassistent am New National Theatre in Tokio (2004-2008) und an der Komischen Oper Berlin (2008-2012).
Er inszenierte zahlreiche Werke, darunter Robin Hood (2014) in Zürich, Norma (2015) in Prag und mehrere Produktionen am Nissay Theatre in Tokio. Weitere Inszenierungen umfassen Les Huguenots (2016) und Götterdämmerung (2019) in Würzburg, Freischütz (2017) in Hyogo, sowie Produktionen in der Philharmonie Luxembourg, Dortmund, Bielefeld und am Saarländischen Staatstheater.
Im Jahr 2021 führte er Regie bei seinem ersten Filmprojekt Der arme Matrose. Sugao erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Gotoh Cultural Award (2012). Sugao wurde als eine der „10 wichtigsten Inszenierungen 2018“ für Nixon in China ausgezeichnet.
Seit Dezember 2022 ist Tomo Sugao Hausregisseur und stellvertretender Operndirektor am Staatstheater Cottbus.
So hat auch Oper große Gesellschaftsrelevanz.
Erste Sahne, Bodo Busse.