BVerfG, 1 BvR 1891/05 vom 9.3.2010, Absatz-Nr. (1 – 39), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20100309_1bvr189105.html
Es ist eine wegweisend Entscheidung für alle privaten Blogger, Twitterer und Webseitenbetreiber, die das Bundesverfassungsgericht getroffen hat. Damit wird der Verfassungsbeschwerde eines Webseitenbetreibers stattgegeben, der unter anderem eine Webseite veröffentlicht hatte, in der es um juristische Nachrichten für kritische Leute ging. Er veröffentlichte Ende Oktober 2003 auszugsweise eine Meldung aus den „t-online Nachrichten“, die ihrerseits auf den Meldungen der Presseagenturen beruhte. Die Nachricht auf der Website des Beschwerdeführers lautete: „Polizei sucht Hasch im Hause P.“ – da P. eine prominente Politikerin der „F.-Partei“ (BVerfG) war, schlug die Meldung hohe Wellen. Die damals als Generalsekretärin amtierende Dame setzte sich erfolgreich gegen Berichte zur Wehr.
Durfte unser Webseitenbetreiber die Meldung also gar nicht veröffentlichen, wie das Hanseatische OLG entschied?
Schon die Annahme der Verfassungsbeschwerde durch das Karlsruher Gericht signalisierte, dass es um grundlegende Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit ging.
Was der 1. Senat unter Präsident Papier entschied, hat grundsätzliche Bedeutung und widerspricht diametral der Spruchpraxis aus Hamburg.
Schon der erste Satz aus den Gründen für die Verfassungsgerichtsentscheidung klingt wie eine Ohrfeige: „Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für das Verhältnis des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu dem ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei der Berichterstattung über Strafverfahren (vgl. BVerfGE 35, 202 <220 f.>; 97, 391 <404 f.>; 119, 309 <321 ff.>).“ Das sitzt.
Das Gericht führt aus, dass die Verfassungsbeschwerde über die Grundrechtsverletzung zur Meinungsfreiheit begründet ist. „Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>), was bei dem hier zu beurteilenden Bericht über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren offensichtlich der Fall ist.“
Selbstverständlich sei zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht abzuwägen. „Hierunter fallen insbesondere § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 analog BGB, auf die das Oberlandesgericht den Unterlassungsanspruch gestützt hat. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Doch müssen sie hierbei das eingeschränkte Grundrecht seinerseits interpretationsleitend berücksichtigen, damit sein Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 85, 1 <16>; 99, 185 <196>, stRspr). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>; 114, 339 <348>).“ Das Bundesverfassungsgericht kommt zu der Auffassung, dass das Hamburger Oberlandesgericht „fehlerhaft gewichtet“ hat.
Die folgenden Ausführungen sind wegweisend für alle künftigen Urteile udn Etnscheidungen:
„Die Ausführungen des Berufungsurteils zu dem Gewicht der für die Veröffentlichung streitenden Belange unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Erwägung des Oberlandesgerichts, der Berichterstattungsgegenstand sei objektiv belanglos und begründe daher jedenfalls kein das Interesse des Klägers, ungenannt zu bleiben, überwiegendes öffentliches Informationsinteresse, deutet auf ein grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit hin. Sie lässt nämlich nicht hinreichend erkennen, ob das Gericht sich bewusst war, dass es zunächst vom Selbstbestimmungsrecht der Presse oder auch des journalistischen Laien als Trägers der Meinungsfreiheit umfasst ist, den Gegenstand der Berichterstattung frei zu wählen, und es daher nicht Aufgabe der Gerichte sein kann zu entscheiden, ob ein bestimmtes Thema überhaupt berichtenswert ist oder nicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. April 2001 – 1 BvR 758/97 u.a. -, NJW 2001, S. 1921 <1922>).“
Es folgt ein weiterer Satz, der klar und deutlich die Meinungsfreiheit auch im Internet verbürgt:
„Die Meinungsfreiheit steht nicht unter einem allgemeinen Vorbehalt des öffentlichen Interesses, sondern sie verbürgt primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann. Angesichts dessen stellt es eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung dar, wenn das Oberlandesgericht dem Kläger vorliegend allein deshalb einen Unterlassungsanspruch zuerkannt hat, weil dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.“
Süffisant stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass schon die Zahl weiterer Presseveröffentlichung zur Haschpflanze der Einschätzung der Hamburger Richter widerspricht, es handele sich um eine Belanglosigkeit, für die es keine öffentliches Interesse gebe.
Für Blogger und Twitterer, die Links auf Meldungen setzen, sind auch die folgenden Ausführungen von wesentlicher Bedeutung: „Nicht mit ausreichendem Gewicht in die Abwägung eingestellt hat das Oberlandesgericht weiter den Umstand, dass über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger bereits durch eine Vielzahl anderer Medien berichtet worden und es dadurch bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt war. Das Gericht führt hierzu – durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil – lediglich aus, dass der bereits geschehene rechtswidrige Eingriff nicht perpetuiert werden dürfe. Es trifft zwar zu, dass der Verweis auf das rechtswidrige Verhalten Dritter einen Störer grundsätzlich nicht entlasten kann. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei dem hier auf Seiten des Klägers zu berücksichtigenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht um eine statische, für alle Zeiten feststehende Größe handelt, sondern dass sein Bestand in gewissem Umfang auch von der tatsächlichen Anerkennung durch die Öffentlichkeit abhängt und es seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist (vgl. BVerfGE 82, 236 <269>; 97, 125 <149>). Der Umstand, dass eine – wahre – Tatsache bereits einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist und deren Sicht auf die betroffene Person schon wesentlich mitprägt, ist daher jedenfalls geeignet, das Gewicht ihrer Weiterverbreitung gegenüber dem Ersteingriff erheblich zu mindern (vgl. BGH, NJW 1999, S. 2893 <2895> unter Verweis auf EGMR, NJW 1999, S. 1315 <1318>).“
Und schließlich dürfen Blogger und Webseitenbetreiber bei staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilungen darauf setzen, dass diesen ein besonderes Vertrauen entgegengebracht werden darf.
Also: Wer sorgfältig bloggt und webbt, hat (fast) nichts zu befürchten.
Armin König