Armin König

Angela Merkel hat Muttis Klügsten gefeuert – Ein Ballack der Politik?

Versuch eine Analyse

 

Er hat alles gewollt und alles verloren: Norbert Röttgen, Muttis Klügster, Kronprinz, Modernisierer, ewiger Aufsteiger.

Was wurde in den Tagen nach der Wahlniederlage und dem ungewöhnlichen Rausschmiss Röttgens durch die Kanzlerin spekuliert. Die Presse war gut informiert. Die Zuträger hatten wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Nach einer Flut desaströser Berichte dürfte Röttgen nach einer Phase des Schocks und der Zerknirschung seinerseits dazu beigetragen haben, der Berichterstattung einen etwas anderen Drive zu geben, allerdings ohne großen Erfolg.

Natürlich wog es schwer, dass der Bundesumweltminister und nordrhein-westfälisch CDU-Landesvorsitzende die Landtagswahl an Rhein und Ruhr krachend verloren hatte. Natürlich verübelten ihm die Wählerinnen und Wähler, dass er im Fall einer Wahlniederlage nicht nach NRW wechseln wollte, weil er lieber sein Berliner Ministeramt behalten und die Energiewende und die Umweltpolitik maßgeblich und als Schlüsselperson gestalten wollte.  Natürlich spielte es eine Rolle, dass er mit seinem Ego-Trip die Eigenen brüskiert und schließlich ins Abseits gestellt hatte.

Viel schwerer aber wogen zwei kapitale Fehler: Er gefährdete die Regierungsmehrheit der Kanzlerin und – was noch schlimmer wog – er hatte die Landtagswahl ohne Not zum Plebiszit über die Euro-Sparpolitik der  Bundeskanzlerin gemacht. Die desaströse Niederlage Röttgens beschädigte damit auch die Kanzlerin. Schon dies wäre Grund genug gewesen, ihn auszuwechseln, auch wenn Betroffenheitslyriker in Medien und Parlamenten nun den Stil der Entlassung geißeln.

Wer versagt, muss gehen. Das ist die Regel in Politik, Sport, Wirtschaft und Gesellschaft. Jeder Trainer wechselt Spieler aus, die leichtsinnig Elfmeter verursachen, Elfmeter verschießen, eigensinnig spielen, Gegner vom Feld grätschen und dafür gelbe Karten bekommen und was es sonst noch an inidividuellen Fehlern gibt. Röttgen hat solche Fehler begangen und ein Debakel verursacht – ein 0:5 sozusagen – mit Ansage. Da hilft es nichts, darüber zu lamentieren, dass das Spiel zum falschen Zeitpunkt stattfand, die vorgezogene Wahl also nicht in Röttgens Konzept passte.

Trotzdem hätte man ihn im Spiel belassen können – als Typus eines neuen Spielers, der für Effizienz steht, das geschmeidige Funktionieren, den schnellen Wegbeißreflex. Eine Art Ballack der Politik. Aber auch Michael Ballack ist ausgemustert worden, als er nicht mehr ins Konzept des Bundestrainers passte, obwohl er lange Papis Klügster und  Schönster war. Ein bisschen Ballack war auch Röttgen. Eigentlich hätte er schon länger zur Auswechslung angestanden. Aber er war wichtig, er hatte eine zentrale Aufgabe im Spielaufbau zu bewältigen, und es hätte Ärger gegeben, wenn man ihn trotz mangelnder Torerfolge und zahlreicher Fehlpässe  zu früh aus dem Spiel genommen hätte. Energiepolitisch blieb er weit unter den Erwartungen. Zwar provozierte er Gegner und neigte zu Egotrips, aber es gab Schlechtere in der Mannschaft: Rösler und Co.

Röttgen, der immer ein kluges Statement vor, während und nach dem Spiel abgeben konnte, hätte also bleiben können. Warum wurde er trotzdem gefeuert? Weil er nicht selbst gehen wollte, wie alle Zeitungen im Gleichklang schreiben? Weil er den richtigen Ton im Wahlkampf nicht gefunden hatte? Klingt nachvollziehbar, überzeugt mich aber nicht.

Wäre ich Profiler, werde ich sagen: Die Ermittlungen gehen in die falsche Richtung. Etwas stimmt nicht an dieser Version, so plausibel sie auf den ersten Blick klingt, so viel die Rechercheure auch zusammengetragen haben.

Angela Merkel sei eine gnadenlose Egomanin, hat ein ehemaliger Ministerpräsident einmal verlauten lassen. Sie vergesse nichts und spiele nur ihr Spiel. Eiskalt. Wer ihr die Loyalität verweigere, wer ihr die Macht streitig mache, wer sie herausfordere, wer nicht in ihre Figurenkonstellationen passe, werde ausgemustert.

Dann gibt es eine schlüssige Variante: Röttgen hat gegen die eiserne Regel der Politik verstoßen, nie die Loyalität zum Leitwolf oder zur Leitwölfin aufzugeben. Er hat diese Loyalität aber in der Stunde größter Not aufgekündigt, hat Merkel in seinen Abwärtsstrudel hineingezogen, hat die Chefin in größte Schwierigkeiten gebracht.

Es heißt, sie habe ihm dienstags noch eine Chance gegeben, selbst ohne Gesichtsverlust aus der Sache rauszukommen. Erst Mittwochs habe sich das Blatt gewendet. In der Kabinettssitzung sei die Stimmung eiskalt gewesen. Mittags ließ Merkel Röttgen über die Klinge springen. Gnadenlos und zornig. Man sah den Zorn in jeder Falte ihres Gesichts. Was war da vorgefallen? Hatte Röttgen  der Kanzlerin wirklich die Stirn geboten? Vielleicht. Aber eigentlich passt das Szenario nicht.

Es gab aber an diesem Mittwoch eine mediale Besonderheit: Die ZEIT erschien wegen des Feiertags Christi Himmelfahrt einen Tag früher. Landete ein Vorabbericht am Mittwochvormittag bei der Kanzlerin und ihren Getreuen? Ist möglicherweise der Casus belli erst an diesem Mittwoch durch mediale Ereignisse eingetreten? Durch die Berichterstattung der ZEIT? Wir wissen es nicht. Aber spekulieren dürfen wir schon.

In dieser Zeit Nr. 21 vom 16. Mai 2012 steht auf Seite 2 der Artikel „Abgeschminkt – Norbert Röttgen wollte sich von  Angela Merkel emanzipieren. Nur braucht er sie mehr als je zuvor“.

In diesem gut geschriebenen Feature von Matthias Geis stehen verhängnisvolle Sätze. Etwa, dass Röttgen sich als „Muttis klügster Kritiker“ verstand. Und dass „diese Rolle auf Dauer nicht nur theoretischer Natur bleiben sollte.“ Und dass er den Landesvorsitz in NRW „nicht um der Macht im Lande willen angestrebt“ hatte, sondern „um der Macht im Bund willen.“ Dafür hatte er 2010 auch in Kauf genommen, „im Fall des Falles das Amt des Spitzenkandidaten zu übernehmen“. Und nun passierte dies viel schneller als erwartet, weil irgendein liberaler Depp dem Haushalt nicht zugestimmt und damit eine hoppla-hopp-Neuwahl ausgelöst hatte, die Röttgen auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Denn der hatte ein Ziel, für das er Zeit brauchte: „Irgendwann wollte Röttgen es nicht mehr nur besser wissen, sondern bessern machen, vormachen. Dafür brauchte er den Vorsitz des größten Landesverbands. Er erschien ihm als geeigneter Ausgangspunkt für seine Emanzipation von Merkel. Für Röttgen war es die erste Etappe auf dem Weg, selbst von der intellektuellen zur machtpolitischen Alternative in der Union zu werden. Dafür ist er das Risiko eingegangen, das ihm jetzt zum Verhängnis wurde.“ Schreibt ein brillanter Matthias Geis in der ZEIT.

Ich stelle mir vor, wie der ZEIT-Artikel der Kanzlerin in der Pressemappe gereicht wird. Wie sie innerlich kocht, wie sie Satz für Satz seziert. Und wie sie schließlich die Sätze im drittletzten Absatz liest, innerlich bebend: „Selbstverständlich lässt Angela Merkel die Forderung seiner Gegner, er müsse nun auch das Umweltminsiterium räumen, einfach verpuffen. Doch jedes Mal, wenn sie sich jetzt schützend vor Röttgen stellt wird sie ihm damit zugleich die ganze Vergeblichkeit seines Aufbruchs vor Augen führen. Die Emanzipation von Merkel endet in ihren schützenden Armen.“

Spätestens da wusste sie, was zu tun war. Wenn es denn so war.  Sie hatte keine Wahl. Sie musste den Uneinsichtigen abschießen.

So ist Politik, so ist Wirtschaft, so ist Sport. So ist unser System geworden. Es ist nur das passiert, was seit Jahren permanent in diesem unserem Lande geschieht: In einer gnadenlosen Wolfsgesellschaft, in der die Gesetze des Darwinismus über Emotionalität und Solidarität, Loyalität und gelegentliche Humanität gesiegt haben, ist für Niederlagen kein Platz mehr. All die Tränen, die nun über Röttgen und die Demokratie und das System vergossen werden, sind Krokodilstränen. Pardon wird nicht gegeben.

Selbst wenn meine Annahmen zum Tathergang nicht zutreffen, bleiben die Folgerungen richtig. Das System zwingt zur Gnadenlosigkeit. Und der Boulevard und seine politischen Büchsenspanner haben maßgeblichen Anteil daran. Die Art und Weise, wie Christian Wulff zur Strecke gebracht wurde, hat die Strukturen der Aus- und Abschaltung deutlich gemacht.

Angela Merkel ist die Protagonistin einer Machtmaschine, die sich selbst genügt, wenn am Ende marktkonforme Ergebnisse stehen. Norbert Röttgen konnte diese marktkonformen Ergebnisse nicht mehr liefern. Deshalb musste er gehen. Es war rational die richtige Entscheidung. Er hat sie selbst beschleunigt.

Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen. So enden in Deutschland Karrieren hoffnungsvoller Männer. Wozu noch eine Frauenquote, wenn sich die Männer selbst vom Feld schießen. Oder schießen lassen?

Armin König